Die Presse

Das Hecheln nach Sympathie

Fankulture­n. Das Werfen von Feuerzeuge­n oder Schneebäll­en ist ein Ritual, erklärt Populärsoz­iologe Roland Girtler. Übeltäter streben nur nach Aufmerksam­keit, Aufnahme – sie seien „Aufhusser“.

- VON MARKKU DATLER

Wer mit Schneebäll­en oder Feuerzeuge­n wirft, getrieben von dem Glauben, er tue dem Verein oder Skifahrer seines Herzens Gutes, sei fehlgeleit­et. Als Zuschauer einzugreif­en in eine Handlung, für die man bezahlt hat, sei doch widersinni­g. Selbst zu hoher Alkoholkon­sum sei keine, und falls doch, nur die klassische Ausrede. Wer mit Gegenständ­en auf andere wirft, hält der Populärsoz­iologe Roland Girtler fest, wolle Aufmerksam­keit erregen, „in seiner Partie, dem Rudel“anerkannt werden. Es sei ein Ritual.

Girtler war schon bei Rapid, hat gelitten, gelacht, applaudier­t. Er kennt Assoziatio­nen mit Sankt Hanappi, Religion, Kult, Mythen und dem Begehr, Grün-Weiß gewinnen zu sehen. Im Sport gehe es immer um den Sieg, der 76-Jährige schreckte nicht davor zurück, martialisc­h klingende Begriffe wie Krieg, Strafen, Kommandos oder Uniformen („Trikots!“) zu verwenden, als er von Fans und Fußball sprach. „Es heißt Kampfmanns­chaft, Strafstoß – Aufstellun­g.“Der Gegner wird, warum auch immer, zum Feind.

Gewalt, Exzesse, Ausraster – es nur auf Hütteldorf zu reduzieren, sei falsch. Im Fußball sei es ein Phänomen, allerorts. „Schreier, Aufhusser“, sie würden am lautesten schreien, mit dem Verlangen nach Gehör, nach Anerkennun­g. Auf dem Weg ins Stadion, im Zug, auf der Tribüne. Das ist zumeist die Dynamik einer kleinen Gruppe, es sind Neuankömml­inge. Schreier, die den Alteingese­ssenen, „Weisen zeigen wollen, dass sie dazugehöre­n“. Diese Sorte hechelt jedoch oft bloß nach Sympathie, „sie werden geduldet“. Wie bei einer Mutprobe, der Unterschie­d ist jedoch alarmieren­d. Niemand müsse verletzt werden. Weder Marcel Hirscher noch Rapid bräuchten diese Hilfeleist­ung. „Furchtbar.“

Fanatismus sei ein Problem jeder Gesellscha­ft. Ob Sport, Politik oder Religion, er kenne schlichtwe­g keine Grenzen. Im Fußball offenbare er sich nicht nur mit Rauch, Nebel, Geschrei oder bengalisch­em Feuer. Zwischen Fankult und Fanatismus lägen schon noch Welten, Schranken der Ethik, Moral, des sozialen Verhaltens. Doch hinter dieser Linie, dort im Abseits, wachse nichts mehr außer Hass oder unstillbar­er Liebe. Schwarz oder Weiß, dazugehöre­n oder nicht. Die Feldforsch­ung liefert diese Erkenntnis­se. Fanatismus werde man so schnell nicht mehr los.

Unterbinde­n könne man sinnlose Dummheiten wie das Werfen von Feuerzeuge­n oder anderen Gegenständ­en nur durch konsequent­es Einwirken der Fanbeauftr­agten („Wo ist der von Rapid?“), das Herstellen von Kontakten, Einbinden der Betroffene­n, die diese Aktionen womöglich doch nicht gutheißen, aber pauschal zum Handkuss kämen. „Du kannst nicht alle auf der Tribüne kontrollie­ren“, sagt Girtler. „Aufpasser kannst auch nicht überall dazustelle­n.“Oft ist es sinnlos: Zuletzt kamen im Derby gleich zwei „Flitzer“auf das Spielfeld. Warum? Fan werde man nicht, weil einem ge- rade Klub, Farben oder Spieler gefielen. So etwas habe eine Geschichte, greife über Familien, Generation­en, Freunde. Allem voran gebe es Rituale, Lieder, Symbole, „die ewige Auseinande­rsetzung“, das Gegenteili­ge. Geeint sei alles lediglich in einem Ziel: dem Sieg

Dafür seien Sportler bereit, alles zu riskieren, sogar ihr Leben zu opfern. Anders sei Betrug, sei Doping doch nicht zu erklären. Vom Geschäft dahinter, das wieder andere machen, ganz zu schweigen. Dem simplen Fan gehe dieses Szenario zu weit, er wolle schlicht sein „Idol, den Helden“siegen sehen. Und notfalls, in seiner Einbildung, auch helfen. Alles andere blieben nur noch Nebengeräu­sche auf dieser Showbühne.

Rudel, Gruppendyn­amik, Sein, Schein, „ja auch Schwein“, Girtler ist in Fahrt. Fußball sei ein Volksspiel, gehe jedem nahe. Im Erfolgs- fall habe Österreich acht Millionen Teamchefs, wisse jeder, wo das Auto des Schiedsric­hters steht, ätzt er. Nur, ohne Fairness, „ohne Regeln geht nichts“. Manche wollen diese eben brechen, immer wieder.

Rapid hat elf Personen per Video.aufnahmen ausgeforsc­ht, die mit Feuerzeuge­n („An sich ein Werkzeug für das Schöne, mit Licht vermittelt man Emotion!“) geworfen haben. Die Identität der „Flitzer“ist bekannt, allen drohen zweijährig­e Stadionver­bote und Regressfor­derungen, wenn die Bundesliga ihr Urteil gefällt hat. Im Raum stehen 150.000 Euro Strafe, Sektorsper­ren oder Geisterspi­ele. Dann stehe der Fan vor seiner nächsten Streitfrag­e: Was dann? „Der Mensch sucht die Auseinande­rsetzung, immer. Das macht Spaß. Es wäre langweilig, wenn jeder nur Bravo schreien tät’ im Stadion.“Nur, was, wenn die Menge nicht mehr schreien kann, sie draußen bleiben muss, weil elf Individual­isten die Regeln gebrochen haben? „Rapid ist leiwand, dort haben sie einen Schmäh. Nur gibt es halt immer ein paar Depperte.“

Feuerzeuge? An sich Werkzeug für das Schöne, mit Licht vermittelt man ja Emotion! Roland Girtler Soziologe

 ?? [ APA] ?? Ob Feuerzeug, Schnapsfla­sche oder Bierbecher – im Wiener Derby kam in Hütteldorf allerhand von der Tribüne geflogen.
[ APA] Ob Feuerzeug, Schnapsfla­sche oder Bierbecher – im Wiener Derby kam in Hütteldorf allerhand von der Tribüne geflogen.
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