Das Hecheln nach Sympathie
Fankulturen. Das Werfen von Feuerzeugen oder Schneebällen ist ein Ritual, erklärt Populärsoziologe Roland Girtler. Übeltäter streben nur nach Aufmerksamkeit, Aufnahme – sie seien „Aufhusser“.
Wer mit Schneebällen oder Feuerzeugen wirft, getrieben von dem Glauben, er tue dem Verein oder Skifahrer seines Herzens Gutes, sei fehlgeleitet. Als Zuschauer einzugreifen in eine Handlung, für die man bezahlt hat, sei doch widersinnig. Selbst zu hoher Alkoholkonsum sei keine, und falls doch, nur die klassische Ausrede. Wer mit Gegenständen auf andere wirft, hält der Populärsoziologe Roland Girtler fest, wolle Aufmerksamkeit erregen, „in seiner Partie, dem Rudel“anerkannt werden. Es sei ein Ritual.
Girtler war schon bei Rapid, hat gelitten, gelacht, applaudiert. Er kennt Assoziationen mit Sankt Hanappi, Religion, Kult, Mythen und dem Begehr, Grün-Weiß gewinnen zu sehen. Im Sport gehe es immer um den Sieg, der 76-Jährige schreckte nicht davor zurück, martialisch klingende Begriffe wie Krieg, Strafen, Kommandos oder Uniformen („Trikots!“) zu verwenden, als er von Fans und Fußball sprach. „Es heißt Kampfmannschaft, Strafstoß – Aufstellung.“Der Gegner wird, warum auch immer, zum Feind.
Gewalt, Exzesse, Ausraster – es nur auf Hütteldorf zu reduzieren, sei falsch. Im Fußball sei es ein Phänomen, allerorts. „Schreier, Aufhusser“, sie würden am lautesten schreien, mit dem Verlangen nach Gehör, nach Anerkennung. Auf dem Weg ins Stadion, im Zug, auf der Tribüne. Das ist zumeist die Dynamik einer kleinen Gruppe, es sind Neuankömmlinge. Schreier, die den Alteingesessenen, „Weisen zeigen wollen, dass sie dazugehören“. Diese Sorte hechelt jedoch oft bloß nach Sympathie, „sie werden geduldet“. Wie bei einer Mutprobe, der Unterschied ist jedoch alarmierend. Niemand müsse verletzt werden. Weder Marcel Hirscher noch Rapid bräuchten diese Hilfeleistung. „Furchtbar.“
Fanatismus sei ein Problem jeder Gesellschaft. Ob Sport, Politik oder Religion, er kenne schlichtweg keine Grenzen. Im Fußball offenbare er sich nicht nur mit Rauch, Nebel, Geschrei oder bengalischem Feuer. Zwischen Fankult und Fanatismus lägen schon noch Welten, Schranken der Ethik, Moral, des sozialen Verhaltens. Doch hinter dieser Linie, dort im Abseits, wachse nichts mehr außer Hass oder unstillbarer Liebe. Schwarz oder Weiß, dazugehören oder nicht. Die Feldforschung liefert diese Erkenntnisse. Fanatismus werde man so schnell nicht mehr los.
Unterbinden könne man sinnlose Dummheiten wie das Werfen von Feuerzeugen oder anderen Gegenständen nur durch konsequentes Einwirken der Fanbeauftragten („Wo ist der von Rapid?“), das Herstellen von Kontakten, Einbinden der Betroffenen, die diese Aktionen womöglich doch nicht gutheißen, aber pauschal zum Handkuss kämen. „Du kannst nicht alle auf der Tribüne kontrollieren“, sagt Girtler. „Aufpasser kannst auch nicht überall dazustellen.“Oft ist es sinnlos: Zuletzt kamen im Derby gleich zwei „Flitzer“auf das Spielfeld. Warum? Fan werde man nicht, weil einem ge- rade Klub, Farben oder Spieler gefielen. So etwas habe eine Geschichte, greife über Familien, Generationen, Freunde. Allem voran gebe es Rituale, Lieder, Symbole, „die ewige Auseinandersetzung“, das Gegenteilige. Geeint sei alles lediglich in einem Ziel: dem Sieg
Dafür seien Sportler bereit, alles zu riskieren, sogar ihr Leben zu opfern. Anders sei Betrug, sei Doping doch nicht zu erklären. Vom Geschäft dahinter, das wieder andere machen, ganz zu schweigen. Dem simplen Fan gehe dieses Szenario zu weit, er wolle schlicht sein „Idol, den Helden“siegen sehen. Und notfalls, in seiner Einbildung, auch helfen. Alles andere blieben nur noch Nebengeräusche auf dieser Showbühne.
Rudel, Gruppendynamik, Sein, Schein, „ja auch Schwein“, Girtler ist in Fahrt. Fußball sei ein Volksspiel, gehe jedem nahe. Im Erfolgs- fall habe Österreich acht Millionen Teamchefs, wisse jeder, wo das Auto des Schiedsrichters steht, ätzt er. Nur, ohne Fairness, „ohne Regeln geht nichts“. Manche wollen diese eben brechen, immer wieder.
Rapid hat elf Personen per Video.aufnahmen ausgeforscht, die mit Feuerzeugen („An sich ein Werkzeug für das Schöne, mit Licht vermittelt man Emotion!“) geworfen haben. Die Identität der „Flitzer“ist bekannt, allen drohen zweijährige Stadionverbote und Regressforderungen, wenn die Bundesliga ihr Urteil gefällt hat. Im Raum stehen 150.000 Euro Strafe, Sektorsperren oder Geisterspiele. Dann stehe der Fan vor seiner nächsten Streitfrage: Was dann? „Der Mensch sucht die Auseinandersetzung, immer. Das macht Spaß. Es wäre langweilig, wenn jeder nur Bravo schreien tät’ im Stadion.“Nur, was, wenn die Menge nicht mehr schreien kann, sie draußen bleiben muss, weil elf Individualisten die Regeln gebrochen haben? „Rapid ist leiwand, dort haben sie einen Schmäh. Nur gibt es halt immer ein paar Depperte.“
Feuerzeuge? An sich Werkzeug für das Schöne, mit Licht vermittelt man ja Emotion! Roland Girtler Soziologe