Jerusalem: Dritte Intifada abgesagt?
Der US-Präsident zwingt die Konfliktparteien, realistische Visionen auf dem Boden der Tatsachen zu entwerfen.
Wo bleibt die dritte Intifada, die für viele Beobachter einzig mögliche Reaktion auf den vermeintlich fahrlässigen Jerusalem-Alleingang des Amerikaners mit der seltsamen Frisur? Das Heilige Land sah bisher zwei solcher Aufstandsbewegungen gegen die von den Palästinensern als Besatzung wahrgenommene israelische Präsenz in ihren Gebieten; 1987 bis 1991 und 2000 bis 2004.
Es fehlt – erstens – schlicht der Wille zu einer neuen Intifada. Die Menschen sind müde, desillusioniert, perspektivlos. Dem wird schnell hinzugefügt: Ja, denn die israelische Besatzung habe da ganze Arbeit geleistet.
Was aber sogleich ergänzt werden muss: Die flächendeckende Korruption in der Westbank hat eine identitätsstiftende Nationwerdung nicht befördert, sondern das Volk von der Führung entfremdet; es misstraut den Machthabern. Was palästinensische Bürger aber schon von der eigenen Regierung nicht bekommen, erwarten sie noch weniger von der israelischen.
Es fehlt – zweitens – an Waffen. Palästinensischen Kämpfern stehen heute nicht mehr jene Arsenale und Versorgungswege zur Verfügung, die die ersten beiden Intifada lange Zeit befeuern konnten. Hier zeigt sich die Effizienz der israelischen Armee. Es ist keine Marotte unserer Tage, dass palästinensische Attentäter nun zu Messern und Schraubenziehern greifen. Deshalb spricht die lokale israelische Presse auch von einer „Welle des Terrors“einzelner Angreifer, nicht von einer Intifada.
Drittens fehlt es am Rückhalt durch potenzielle Financiers; ein zielorientierter, die Massen mobilisierender Aufstand will auch bezahlt sein. Und die palästinensische Wirtschaft ist ohne europäische, amerikanische und auch israelische Unterstützung nicht wachstumsfähig.
Gewiss, an diesen drei Aspekten ließe sich arbeiten, wollte man eine weitere Intifada heraufbeschwören. Sie wäre allerdings im Moment die falsche Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen im Land.
US-Präsident Donald Trump hat in seiner Jerusalem-Rede genaue Grenzen einer israelischen Hauptstadt gar nicht definiert, an zwei Stellen sogar ausdrücklich verneint. Ein arabisches Jerusalem könnte also immer noch auch einem palästinensischen Staat dienen. Für das unmittelbare Lebensgefühl der Menschen vor Ort hat sich so kaum etwas verändert; der Groll der Straßen im Osten ist schnell verpufft.
Trump will das Pferd von hinten aufzäumen, indem er die Konfliktparteien zwingt, realistische Visionen auf dem Boden der Tatsachen zu entwerfen. Bisher beherrschten Wünsche und Träume die öffentliche Meinung.
Die USA haben zudem nicht vor, sich über diese Initialzündung hinaus maßgeblich einzubringen. Die wichtigsten Fragen müssen vor Ort beantwortet werden, wenn die Lösung belastbar sein soll. Während sich arabische und israelische Politiker früher bei Vorschlägen von außen auf einen Boykott durch Gesprächsverweigerung einigten oder durch taktische Manöver Ablenkung schafften, liegt nun der Ball in ihrem schönsten Garten – Jerusalem – für sie allein bereit.
Fern der Entrüstungsinszenierungen auf der einen und den Huldigungsadressen der anderen Seite werden hier all diese Aspekte durchaus wahrgenommen. Und wenn die Wolken sich über der Stadt wieder lichten, können sie auch zum Zug kommen. Zumindest darf man das begründet hoffen. Denn neues Sterben auf beiden Seiten kann für niemanden eine wünschenswerte Antwort auf Trump sein.