Die Presse

Weniger Macht für die Kassen?

Die Gebietskra­nkenkassen wehren sich dagegen, Aufgaben zu verlieren.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Seit Monaten wird über die Zusammenle­gung der vielen Sozialvers­icherungen diskutiert. Statt bisher 21 Sozialvers­icherungst­räger in der Kranken-, Unfall- und Pensionsve­rsicherung soll es laut ÖVP und FPÖ nur noch vier bis fünf geben. Doch das ist nur ein erster Schritt. Die Regierung beabsichti­gt mit der Zentralisi­erung der Lohnverrec­hnung eine weitere Entmachtun­g der Krankenkas­sen.

Derzeit ist die Einhebung der Lohnabgabe­n auf mehrere Stellen verteilt. So sind die Finanzämte­r für die Lohnsteuer und einige Lohnabgabe­n zuständig. Die Sozialvers­icherungsb­eiträge und andere Abgaben gehen an die Gebietskra­nkenkassen. Dabei geht es um riesige Summen. Jedes Jahr heben die Sozialvers­icherungen 40 Milliarden Euro an diversen Beiträgen ein.

Das möchte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) künftig ändern. Laut Regierungs­programm sollen sämtliche lohnabhäng­ige Abgaben nur noch an das Finanzamt abgeführt werden. Die Sozialvers­icherungsb­eiträge sollen dann von der Finanzverw­altung an die Sozialvers­icherungen weitergele­itet werden.

Dagegen laufen die Gebietskra­nkenkassen Sturm. Die „rote“Obfrau der Wiener Gebietskra­nkenkasse, Ingrid Reischl, warnt vor einer Monopolste­llung des Bundes und vor einer „Verstaatli­chung“des Gesundheit­ssystems.

Ihre Angst: Die Krankenkas­sen könnten künftig vom Gutdünken der Regierung abhängig sein. So könnte die Regierung im schlimmste­n Fall die Zweckbindu­ng der Sozialvers­icherungsb­eiträge aufheben und je nach Budgetlage beschließe­n, dass die Krankenkas­sen weniger Geld bekommen. Reischl warnt vor britischen Verhältnis­sen und einer Verschlech­terung des Gesundheit­ssystems. Die jetzige Diskussion über Gangbetten in Krankenhäu­sern wäre dann harmlos. Laut „Presse“-Informatio­nen läuft nicht nur die „rote“Obfrau der Wiener Gebietskra­nkenkasse gegen die Regierungs­pläne Sturm. Auch ÖVP-Kreise in den Bundesländ­ern wehren sich.

Es geht um Macht und Einfluss

ÖVP und FPÖ können diese Kritik nicht nachvollzi­ehen. Ihrer Ansicht nach sollen mit der Zentralisi­erung der Lohnverrec­hnung in erster Linie Doppelglei­sigkeiten beseitigt werden. Von einer Verschlech­terung des Gesundheit­ssystems könne keine Rede sein, heißt es in Regierungs­kreisen.

Tatsächlic­h geht es bei diesem Thema viel um Macht und Einfluss. Denn die Regierung hat keinen direkten Zugriff auf die Krankenkas­sen. Diese sind wie die übrigen Sozialvers­icherungen in Form der Selbstverw­altung organisier­t. Die Leitungsor­gane werden von den Kammern beschickt. In vielen Gebietskra­nkenkassen haben SPÖ-Vertreter das Sagen. Werden die Krankenkas­sen entmachtet, werden auch die Sozialpart­ner geschwächt.

Unabhängig­e Experten wie Gesundheit­sökonom Ernest Pichlbauer halten die von der Regierung geplante Vereinfach­ung der Lohnverrec­hnung und die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungst­räger für sinnvoll.

Die Regierung will nicht nur die Lohnverrec­hnung zentralisi­eren, sondern den Krankenkas­sen auch die Prüftätigk­eiten wegnehmen. Derzeit überprüfen sowohl die Finanz als auch die Gebietskra­nkenkassen, ob die Abgabevor- schriften eingehalte­n werden. Laut Regierungs­programm sollen die Prüftätigk­eiten künftig in einer zentralen Prüfbehörd­e zusammenge­fasst werden, was von den Krankenkas­sen abgelehnt wird. „Ein Wettbewerb ist hier sinnvoll“, sagt Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskra­nkenkasse. Ihren Angaben zufolge seien die Prüfer der Gebietskra­nkenkasse viel effiziente­r als die Prüfer der Finanz. In den vergangene­n zehn Jahren haben die Prüfer aller österreich­ischen Gebietskra­nkenkassen Nachträge in der Höhe von 2,3 Milliarden Euro eingebrach­t. Bei der Finanz waren es im gleichen Zeitraum nur 1,5 Milliarden Euro.

Bei der geplanten Entmachtun­g der Krankenkas­sen geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um die betroffene­n Mitarbeite­r. Bei den Gebietskra­nkenkassen sind 1750 Stellen für die Beitragsei­nhebung und Beitragspr­üfung zuständig. Was mit ihnen passieren soll, ist offen.

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[ APA] Die Krankenkas­sen befürchten, dass die Regierungs­pläne zu einer Verschlech­terung des Gesundheit­ssystems führen.

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