„Ich will alle Register ziehen“
Oper. Fred´eric´ Chaslin dirigiert heute den Opernball. Er schrieb auch einen Roman über Mahler – und arbeitet an einem Musical mit Pl´acido Domingo.
Fred´eric´ Chaslin ist für Scherze zu haben. In Venedig, erzählt er, habe er sich im Karneval bei einer Aufführung von „Hoffmanns Erzählungen“als Antonia verkleidet. „Es hat ein bisschen gedauert, bis mich meine Musiker erkannt haben.“Chaslin ist auch kein Freund künstlerischen Elitentums. In seinem ersten Buch nimmt er die zeitgenössische Musik kritisch unter die Lupe. In der Übersetzung verstehe er „nicht mehr, was ich selbst geschrieben habe“.
An seinen Sprachkenntnissen liegt das nicht – der französische Dirigent, der heute Abend auch die Eröffnung des Opernballs dirigiert, spricht fließend Deutsch. Eher an seinem skeptischen Blick auf unnötig Kompliziertes. Einen Text von Pierre Boulez, dessen Assistent er war, habe er einst „lang bearbeiten müssen, um zu merken, dass er etwas ganz Einfaches sagt“.
Sehr ähnlich sei es auch in der Musik. Zeitgenössische Musik wirke oft extrem kompliziert. „Aber was bleibt denn in unserer Seele?“, fragt Chaslin und antwortet selbst: die schöne Melodie. Es sei „das Schwierigste, eine schöne Melodie zu schöpfen“. Zwölftonmusik? Bloße „Ingenieursarbeit“.
Noch nicht übersetzt ist Chaslins jüngstes Buch, ein Roman, in dem er Mahler zurückkommen lässt, um seine unvollendete zehnte Sinfonie selbst fertigzustellen – indem er einen kleinen Wiener Kapellmeister dazu bringt, wie ein Genie zu denken. Dahinter steht Chaslins Überzeugung, „dass sich jeder immer verbessern kann. Es ist nie alles entschieden. Wagner war mit 20 auch noch medioker.“Das, glaubt er, sei überhaupt die größte Be- gabung: „Den Willen zu haben, nie aufzuhören, Fortschritte zu machen.“
Bestes aktuelles Beispiel dafür sei Placido´ Domingo, der sei „wie sein eigener Avatar“. Er kenne Profi-Dirigenten, die nicht so gut dirigieren würden wie Domingo. „Er hat Musikalität und Gefühl.“Für ihn schreibt Chaslin, der auch komponiert, an einem Bühnenwerk über den Grafen von Monte Christo. Welche Rolle er darin denn wolle, habe er Domingo gefragt. Natürlich Monte Christo, sei die Antwort gewesen. Dass der Held doch immer ein Tenor sei (und Domingo mittlerweile Bariton), habe als Argument nicht gezogen. „Er hat mich überzeugt“, seufzt Chaslin, und gut, nach 20 Jahren im Kerker sei Monte Christo ja auch wirklich eine dunkle Gestalt.
In Wien dirigiert der Mittfünfziger gerade „Faust“und „Liebestrank“, „Don Pasquale“und „Turandot“„mit meinem Freund Roberto Alagna“. Die beiden seien fast zur gleichen Zeit am gleichen Ort geboren worden, kennengelernt hätten sie sich aber erst vor 20 Jahren in Wien. Auch für die „Tosca“ist er eingesprungen – etwas, das auch Karajan gern getan habe. „An-
(geb. 1963 in Paris) ist Dirigent, Komponist und Pianist. Er studierte am Conservatoire de Paris und am Salzburger Mozarteum, war Assistent von Daniel Barenboim und Pierre Boulez. Seit 2001 ist er Musikdirektor des Jerusalem Symphony Orchestra. An der Wiener Staatsoper dirigierte er über 200 Vorstellungen – und nun die Eröffnung des Opernballs. Der ORF überträgt ab 21.10 Uhr, davor zeigt er um 20.15 die Doku „Sehen und gesehen werden“. geblich hat er gesagt, man sollte die ,Tosca‘ einmal im Monat dirigieren – das reinigt von jeder Aggressivität: Man tötet einen Sopran, einen Tenor und einen Bariton.“Wobei, er wolle das natürlich nicht. „Sänger sind gute Leute. Lieber . . .“Chaslin bricht ab, verkneift sich, wem er gern etwas antäte. „Sonst schreiben Sie es noch.“
Drei Opern hat er bisher geschrieben, zwei über Mumien und Vampire; „Wuthering Heights“basiert auf dem Roman von Emily Bronte.¨ Schon da hieß es, seine Melodien erinnerten an ein Musical. Für Chaslin nichts, wofür man sich schämen müsste. „Monte Christo wird sogar ganz sicher ein Musical sein.“Oder jedenfalls nicht das, was man heute unter ernster Oper verstehe. „Aber wenn Bizet ,Carmen‘ heute schriebe, würde man auch ihm sagen, dass das keine ernste Oper ist.“Und Verdi würde man überhaupt an den Broadway verweisen.
Dirigiert, erzählt Chaslin, habe er laut seiner Mutter schon als Kind. „Dabei hatten wir keinen Fernseher, ich hatte keine Ahnung, dass es Leute gibt, die das wirklich tun.“Bei den Jesuiten habe er früh die Orgel in Besitz genommen. Er liebe das Klavier, aber im Vergleich zur Orgel sei es wie ein SchwarzWeiß-Foto. Nur die Orgel habe alle Farben, an ihr habe man die Macht, alle Register zu ziehen. Ein Orchester zu dirigieren sei ähnlich. Nichts davon möchte er missen, vor allem nicht das Komponieren. „Es ist eine sehr starke Droge, man befindet sich in einer anderen Zeit, in einem anderen Raum.“
Wobei, gutem Essen ist der begeisterte Koch, der in Paris auf einem Hausboot lebt, auch nicht abgeneigt. Dabei favorisiert er Bouillabaisse. „Mein Traum ist, nächstes Jahr dafür in Paris ein Restaurant zu eröffnen.“