Die Presse

Im Pop-Seniorencl­ub ist es gar nicht so fad

Neues Album. Sie hatte es einst sehr eilig. Nun ist die schottisch­e Band Franz Ferdinand auch schon im Zustand der Reife angelangt: Gitarrenpo­p, der weiß, dass seine Geschichte vorbei ist. Und damit ganz gut leben kann.

- VON THOMAS KRAMAR

This is the start of a whole new era“: Mit diesen Worten kündigte die schottisch­e Band Franz Ferdinand ihr neues Album an, das „Always Ascending“heißt. Diese Art von offensivem Optimismus stimmt leicht traurig, wir denken an den Satz, der auf dem Cover von „Let It Be“(1970) stand: „This is a new phase Beatles album.“Oder an die gute Tony Buddenbroo­k, die zur Taufe ihres Neffen Hanno jubelt: „Wir Buddenbroo­ks pfeifen doch nicht aus dem letzten Loch, Gott sei Dank, wer das glaubt, der irrt im höchsten Grade! ( . . . ) Jetzt ist mir, als ob noch einmal eine ganz neue Zeit kommen muss!“

Als Tony B. das sagt, ist der Verfall ihrer Familie längst unaufhalts­am; als „Let It Be“erschien, waren die Beatles schon hinüber. Und hat der namensgebe­nde Thronfolge­r, bevor er nach Sarajewo aufbrach, nicht Ähnliches geäußert?

Nein, das heißt nicht, dass Franz Ferdinand als musikalisc­hes Kollektiv zwingend dem Ende nahe sind; diese Band, die 2004 so ziemlich das Neueste, Schnellste, Stilsicher­ste war, was der Gitarrenpo­p zu bieten hatte, hat sich auch durchaus nicht fahrlässig verschliss­en. Eher geschont: „Always Ascending“ist (wenn man das Gemeinscha­ftsprojekt mit den Sparks mitrechnet) ihr sechstes Album. Sechs Alben in 13 Jahren – die Beatles, um beim großen Vergleich zu bleiben, haben in acht Jahren, knapp gerechnet, 13 Alben veröffentl­icht . . .

Ganz ohne Bosheit: Der Gitarrenpo­p hat es nicht mehr eilig. Er hat – wie der Jazz, wie der Blues – seine Entwicklun­gsgeschich­te hinter sich. Im Grunde ist alles gesagt, man kann es nur mehr anders sagen. Das gilt auch für die Musik, die Franz Ferdinand in ihren atemlosen Anfangszei­ten spielten, als sie – als vorderste einer ganzen Riege von Bands, z. B. Block Party, Max¨ımo Park – entdeckten, dass Gitarrenpo­p nicht so dröge wie der Britpop a` la Oasis und auch nicht so erdig, so rockig, so hemdsärmli­g wie der Grunge aus Amerika sein muss. Natürlich, das war auch nichts Neues damals. Aber es war eine originelle Wiederentd­eckung der New Wave, der nervösen Punk-Funk-Fusion der späten Siebziger und frühen Achtziger. Und Franz Ferdinand wollten, dass es sich neu anfühlt. Also zogen sie sich knapp geschnitte­ne Sakkos an, übten, die Saiten knapp anzureißen, und zwängten sich vor den coolen Clubs in die Schlange.

Was man mit 32 Jahren – so alt war Bandchef Alex Kapranos beim Durchbruch seiner Band schon! – ja noch halbwegs ohne Gesichtsve­rlust machen kann. Obwohl . . . „At the Over-thirties Singles Night it’s bleak“, singt Kapranos im neuen Song „Lois Lane“. („Seniorencl­ub“hieß eine entspreche­nde Veranstalt­ung einst im Wiener U4.) Mit 24, erklärte Kapranos in einem Interview, seien ihm solche Abende als „das Deprimiere­ndste der Welt“erschienen. Aber heute sei es ja auch leichter, als Popmusiker zu altern.

Deprimiere­nd: Seit einigen Jahren scheint es das dringlichs­te Thema im Pop zu sein, wie man altert, altern soll, altern muss. Wobei Franz Ferdinand die Sache natürlich überdurchs­chnittlich gewitzt angehen: „We’re going to America, gonna tell them ab- out the NHS“(also über das im Vergleich zu den USA noch halbwegs soziale britische Gesundheit­ssystem), singen sie in „Huck & Jim“– zu einer rauchigen Gitarre, die so mühselig und beladen wirkt, dass es als ironischer Kommentar zum Thema gemeint sein muss.

Oder? Wie schwerfäll­ig, wie langsam sind Franz Ferdinand geworden? Setzt ihnen . . . äh, die Reife zu? Nicht arg. Gewiss, oft klingen ihre neckischen Off-beats allzu routiniert. Manchmal sogar nervend. Aber manchmal fügen sie ihren alten Rezepten ungewohnte, wenn auch nicht gerade exotische Gewürze hinzu: in „Lois Lane“z. B. die billig glänzenden Keyboards. Darin geht es übrigens – im Zeichen der Superman-Gefährtin Lois Lane – um einen oft unterschät­zten Berufsstan­d: „So you got an HND (einen kleineren akademisch­en Titel, Anm.) in journalism, because journalism could change the world, and if you changed the world, then you could be happy.“So ist das.

Ziemlich gewitzt (und hübsch langsam) ist „The Academy Award“: Alex Kapranos surft etwas gelangweil­t durchs Internet, stößt auf Fehlermeld­ungen („1404 – gateway not found“), Selfies, verfremdet­e Popzitate („love is the drag, we don’t need to score“), Einsamkeit („Hikikomori“, das sind japanische Jugendlich­e, die in ihren Zimmern bleiben), Populärwis­senschaft („The secret of longevity“). Sein Resümee ist nicht überrasche­nd, es fasst ein altes Motiv des britischen Pop neu: Wir sind alle Stars im Film unseres Lebens, wir haben alle die Kamera in der Hand . . . „Everybody’s a dreamer, everybody’s a star“, hieß es einst bei den Kinks in „Celluloid Heroes“, und Kapranos klingt hier tatsächlic­h wissend-gerührt wie einst Ray Davies.

Keine neue Ära, aber es wirkt.

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