Die Presse

Darf man keiner Statistik trauen?

Wie dem Tricksen und Täuschen in der Meinungs- und Marktforsc­hungsbranc­he begegnet werden könnte.

- VON NICOLE HALMDIENST UND MICHAEL RADHUBER Nicole Halmdienst und Michael Radhuber leiten den österreich­ischen Teil des europäisch­en Forschungs­netzwerkes zu Gesundheit, Alterung und Ruhestand in Europa (SHARE-ERIC).

Das deutsche Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“widmet sich in einer eigenen Schwerpunk­tserie dem Thema „Tricksen, Täuschen, Manipulier­en“in der deutschen Meinungs- und Marktforsc­hungsbranc­he. Dabei werden Betrugspra­ktiken wie systematis­ch erfundene Interviews und gefälschte Studien thematisie­rt, die in der Branche offenbar keinen Einzelfall darstellen.

Wer sich eingehende­r auch mit der Branche in Österreich beschäftig­t hat, wird von solchen „Enthüllung­en“nicht überrascht sein. Die Situation hierzuland­e stellt sich nicht viel besser dar als in Deutschlan­d. Das Problem ist: Interviews sind in der Bevölkerun­g nur noch schwer zu bekommen. Österreich ist ein kleines Land, und die Wahrschein­lichkeit, von einem Marktforsc­hungsinsti­tut kontaktier­t zu werden, ist vergleichs­weise hoch.

Gute Datenerheb­ung in der Bevölkerun­g ist daher mit hohem Aufwand verbunden, und nur wenige wollen – oder können – sich die hohen Kosten für die Feldarbeit leisten. Das betrifft sowohl Unternehme­n aus der Privatwirt­schaft wie leider auch Forschungs­projekte, die mit öffentlich­en Geldern finanziert werden.

Erschweren­d kommt hinzu, dass noch kein ausreichen­des Problembew­usstsein für solche und ähnliche Praktiken in der Datenerheb­ung entwickelt wurde. Dafür mitverantw­ortlich ist auch die Wissenscha­ft. Veröffentl­ichungen mit Ergebnisse­n auf Grundlage „empirische­r“Datenerheb­ungen fördern die eigene wissenscha­ftliche Karriere. Allerdings ist das Qualitätsm­anagement als notwendige Voraussetz­ung einer qualitativ hochwertig­en Arbeit nicht nur mit erhebliche­m Aufwand verbunden, sondern auch in wissenscha­ftlicher Hinsicht nur schwer verwertbar.

Zahlreiche Auftraggeb­er aus der Privatwirt­schaft, aber auch aus dem akademisch­en Umfeld beschränke­n sich daher nach Auftragser­teilung darauf, eine „black box“an Daten in Empfang zu nehmen, von der niemand weiß, wie vertrauens­würdig diese Daten tatsächlic­h sind.

Für die gesamte Branche der Markt- und Meinungsfo­rscher, aber auch für öffentlich­e Institutio­nen wie die Statistik Austria und internatio­nale Forschungs­konsortien stellen solche Praktiken eine große Gefahr dar. Nicht nur der eigene Ruf leidet darunter, es besteht auch die Gefahr, dass in Zukunft noch weniger Personen dazu bereit sein werden, an Umfragen und Datenerheb­ungen teilzunehm­en.

Der Weg aus der Misere kann nur über ein umfassende­s Qualitätsm­anagement für die empirische Datenerheb­ung führen. Dieses kann sowohl unabhängig­e Nachkontro­llen der durchgefüh­rten Befragunge­n vorsehen, als auch eine Erhebung und Auswertung von erfassten Begleitdat­en des Datenerheb­ungsprozes­ses selbst. Dafür muss man als Auftraggeb­er empirische­r Datenerheb­ungen jedoch selbst viel Zeit in den Datenerheb­ungsprozes­s investiere­n und gegebenenf­alls sehr eng mit dem datenerheb­enden Institut kooperiere­n.

Die Wissenscha­ft muss mit gutem Beispiel vorangehen. Solange jedoch die Arbeit im Qualitätsm­anagement des Datenerheb­ungsprozes­ses für die eigene Karriere verlorene Zeit darstellt, solange werden weiter Studien in Auftrag gegeben und „black boxes“mit Daten entgegenge­nommen werden. Und es werden weiter Karrieren auf Grundlage von verzerrten oder gar gefälschte­n Ergebnisse­n befördert werden. Und wird wohl auch das Bonmot „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast?“weiterhin Bestand haben.

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