Darf man keiner Statistik trauen?
Wie dem Tricksen und Täuschen in der Meinungs- und Marktforschungsbranche begegnet werden könnte.
Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“widmet sich in einer eigenen Schwerpunktserie dem Thema „Tricksen, Täuschen, Manipulieren“in der deutschen Meinungs- und Marktforschungsbranche. Dabei werden Betrugspraktiken wie systematisch erfundene Interviews und gefälschte Studien thematisiert, die in der Branche offenbar keinen Einzelfall darstellen.
Wer sich eingehender auch mit der Branche in Österreich beschäftigt hat, wird von solchen „Enthüllungen“nicht überrascht sein. Die Situation hierzulande stellt sich nicht viel besser dar als in Deutschland. Das Problem ist: Interviews sind in der Bevölkerung nur noch schwer zu bekommen. Österreich ist ein kleines Land, und die Wahrscheinlichkeit, von einem Marktforschungsinstitut kontaktiert zu werden, ist vergleichsweise hoch.
Gute Datenerhebung in der Bevölkerung ist daher mit hohem Aufwand verbunden, und nur wenige wollen – oder können – sich die hohen Kosten für die Feldarbeit leisten. Das betrifft sowohl Unternehmen aus der Privatwirtschaft wie leider auch Forschungsprojekte, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass noch kein ausreichendes Problembewusstsein für solche und ähnliche Praktiken in der Datenerhebung entwickelt wurde. Dafür mitverantwortlich ist auch die Wissenschaft. Veröffentlichungen mit Ergebnissen auf Grundlage „empirischer“Datenerhebungen fördern die eigene wissenschaftliche Karriere. Allerdings ist das Qualitätsmanagement als notwendige Voraussetzung einer qualitativ hochwertigen Arbeit nicht nur mit erheblichem Aufwand verbunden, sondern auch in wissenschaftlicher Hinsicht nur schwer verwertbar.
Zahlreiche Auftraggeber aus der Privatwirtschaft, aber auch aus dem akademischen Umfeld beschränken sich daher nach Auftragserteilung darauf, eine „black box“an Daten in Empfang zu nehmen, von der niemand weiß, wie vertrauenswürdig diese Daten tatsächlich sind.
Für die gesamte Branche der Markt- und Meinungsforscher, aber auch für öffentliche Institutionen wie die Statistik Austria und internationale Forschungskonsortien stellen solche Praktiken eine große Gefahr dar. Nicht nur der eigene Ruf leidet darunter, es besteht auch die Gefahr, dass in Zukunft noch weniger Personen dazu bereit sein werden, an Umfragen und Datenerhebungen teilzunehmen.
Der Weg aus der Misere kann nur über ein umfassendes Qualitätsmanagement für die empirische Datenerhebung führen. Dieses kann sowohl unabhängige Nachkontrollen der durchgeführten Befragungen vorsehen, als auch eine Erhebung und Auswertung von erfassten Begleitdaten des Datenerhebungsprozesses selbst. Dafür muss man als Auftraggeber empirischer Datenerhebungen jedoch selbst viel Zeit in den Datenerhebungsprozess investieren und gegebenenfalls sehr eng mit dem datenerhebenden Institut kooperieren.
Die Wissenschaft muss mit gutem Beispiel vorangehen. Solange jedoch die Arbeit im Qualitätsmanagement des Datenerhebungsprozesses für die eigene Karriere verlorene Zeit darstellt, solange werden weiter Studien in Auftrag gegeben und „black boxes“mit Daten entgegengenommen werden. Und es werden weiter Karrieren auf Grundlage von verzerrten oder gar gefälschten Ergebnissen befördert werden. Und wird wohl auch das Bonmot „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast?“weiterhin Bestand haben.