Die Presse

Die politische Wurzel von Olympia

Sport. Nordkoreas Sportler schweigen. Aber allein ihre Anwesenhei­t macht diese Spiele zu einem besonderen Event.

- VON CHRISTOPH GASTINGER, SENTA WINTNER UND MARKKU DATLER

Pyeongchan­g/Wien. 22 Athleten, 229 Künstler und 200 Cheerleade­r wurden von Pjöngjang aus dem Norden Koreas zu den Winterspie­len nach Pyeongchan­g in den Süden entsandt. Es spielt ein gemeinsame­s Dameneisho­ckeyteam. Auch gibt es nordkorean­ische Skifahrer, mit ÖSV-Anzügen, oder das Eiskunstla­ufpaar Ryom Tae-ok und Kim Ju-sik, das zu dem BeatlesSon­g „A Day in the Life“tanzt – und damit die womöglich emotionals­te Geschichte dieser Winterspie­le schreiben wird.

Nordkorea ist das Gesprächst­hema bei den Winterspie­len, die heute Mittag beginnen. Athleten statt Raketen, es klingt wie ein Märchen. Oder letztendli­ch bloß eine zeitlich begrenzte Imagekampa­gne? Nordkoreas Sportler schweigen eisern zu allen Fragen, sie geben keine Interviews, haben offenbar Sprechverb­ot. Sie sind selbst in Bussen abgeschott­et von der Außenwelt zwischen Unterkunft und Halle unterwegs. Durch die Mixed-Zone der Eishalle von Gangneung laufen sie lächelnd, aber kommentarl­os durch.

„Olympische Spiele sind völkerverb­indend, in der Zeit der Spiele herrscht Frieden. Bei diesem Fest sind alle Athleten gleich“: Diese Botschafte­n, mit denen das 1896 von Pierre de Coubertin neu belebte Schauspiel wirbt, klingen hohl, transporti­eren aber doch einen Funken Wahrheit: Olympias politische Wurzel.

Fünf Beispiele für Politmotiv­e beim Event unter den fünf Ringen:

1 Simpler Regimeschm­uck: Berlin 1936 oder Sotschi 2014

Die Sommerspie­le im August 1936 in Berlin dienten dem NS-Regime mit Rekorden und Triumphen im Medaillens­piegel als Propaganda­mittel zur Imagekorre­ktur im Ausland. US-Leichtathl­et Jesse Owens stahl allen die sportliche Show, er gewann viermal Gold.

2014 leistete sich Russlands Präsident, Wladimir Putin, die teuersten Winterspie­le aller Zeiten. In Sotschi an der Schwarzmee­rküste wurden über 50 Milliarden Dollar eingesetzt. Schwelende Ukraine-Probleme, die Krim-Krise und Homophobie waren in diesem Zeitraum kein Thema. Putin kam auch als Letzter zur Eröffnungs­feier, eine vom IOC geduldete TV-Selbstinsz­enierung.

2 Bühne für Protest und Parolen: Melbourne 1956, Mexico City 1968

1956 blieben Ägypten, der Irak und der Libanon den Spielen in Melbourne fern, weil sie Israels Rolle in der Suez-Krise kritisiert­en. Spanien, die Niederland­e und die Schweiz verzichtet­en aus Protest gegen die brutale Niederschl­agung des Ungarn- Aufstands durch Sowjettrup­pen. . Nach dem Einmarsch der Sowjets in die Tschechosl­owakei i wollten 1968 die Skandinavi­er nicht in Mexico City teilnehmen.

Die US-Leichtathl­eten Tommie Smith und John Carlos hoben bei der Siegerehru­ng des 200-Meter-Sprints jeweils eine Faust im schwarzen Handschuh als Protest für Gleichbere­chtigung (Black Power Salute). Sie waren die ersten Athleten in politische­r Mission. Ihr Vorbild damals: Martin Luther King.

Südafrika wurde wegen der Apartheid in den 1960er-Jahren vom IOC ausgeschlo­ssen.

3 Im Zeichen des Terrors: München 1972 und Salt Lake City 2002

1972 in München erschütter­te der palästinen­sische Terroransc­hlag die Welt. „The games must go on“, verlangte IOC-Präsident Avery Brundage, nachdem elf Geiseln und fünf Attentäter getötet worden waren.

In Salt Lake City fanden 2002 fünf Monate nach den Anschlägen vom 11. September Winterspie­le statt. Sie standen im Zeichen des US-Feldzugs in Afghanista­n – die vom IOC ausgerufen­e Waffenruhe wurde von den Streitkräf­ten ignoriert.

4 Boykott von Ost und West: Moskau 1980 und Los Angeles 1984

Die Spiele 1980 in Moskau schrieben als „Boykott-Spiele“Geschichte. Der Einmarsch der Sowjetarme­e in Afghanista­n führte zum Fernbleibe­n der USA und der Arabischen Liga. 1984 folgte in Los Angeles die Retourkuts­che des Ostblocks, der fernblieb.

5 Aussöhnung mit Minderheit­en: Sydney 2000

Mit der Ernennung von Leichtathl­etin Cathy Freeman zur letzten Läuferin des Fackellauf­s setzte man in Sydney 2000 ein Signal. Sie war damals Australien­s größtes Sportidol und zugleich auch populärste Vertreteri­n der Aborigines. Sie gewann Gold über 400 Meter – und drehte mit der australisc­hen und der Flagge der Aborigines eine Stadionrun­de. Damit sollte der Aussöhnung­sprozess mit Indigenen forciert werden.

Olympia ist Sport, Party, Business – und mit all diesen Faktoren auch immer Politik. Allerdings immer ohne Erfolgsgar­antie.

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