Die Presse

„Putin hat kein Handy“

Interview. Einst war Matthias Warnig Stasi-Spion. Heute ist kein Ausländer in Russland enger mit Putin befreundet als er. Er ist Aufsichtsr­at in Top-Konzernen – und Chef des umstritten­en Pipelinepr­ojekts Nord Stream 2. Ein Drahtziehe­r im Gespräch.

- VON JUDITH HECHT UND EDUARD STEINER

Der mediensche­ue Nord Stream-Chef Matthias Warnig im Interview.

Eines fällt auf: Sie agieren nie aus der ersten Reihe, sondern ziehen die Fäden aus dem Hintergrun­d. Ist das Ihr Naturell oder Taktik? Matthias Warnig: Das ist gewollt. Vielleicht hängt das auch mit meiner Vita zusammen. Ich will keine Popularitä­t nach außen, sondern meine Dinge machen, die ich für richtig und wichtig halte.

Mit Vita meinen Sie die geheimdien­stliche Vergangenh­eit? Klar. Meine Tätigkeit bei der Staatssich­erheit ist natürlich etwas, was mich mein ganzes Leben begleiten wird. Es gibt viele, die das nach wie vor kritisch und äußerst negativ sehen. Und ich möchte nicht Diskussion­en und Konfrontat­ionen auslösen, die ich an der Stelle auch nicht brauche.

Sie haben ein ausgesproc­henes Talent, Netzwerke zu knüpfen und Vertrauen zu gewinnen. Ist das gelernt oder eine Gabe? Jein. Um Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, muss man auch mal zuhören und auf Menschen eingehen können. Ich habe gelernt, mit unterschie­dlichsten Leuten umzugehen. Ich war in verschiede­nen Positionen in unterschie­dlichsten Bereichen. Das bringt Erfahrung.

Und Vertrauen nicht zu enttäusche­n, ist ein heiliger Grundsatz? Das ist richtig. Es gibt Leute, mit denen kann man eine profession­elle, mit anderen eher eine freundscha­ftliche Balance finden und mit manchen findet man gar keine. Ich habe nie auf Teufel komm raus eine Beziehung aufbauen wollen.

Ihre Karriere als Ausländer in Russland ist beispiello­s. Gab es Schlüsselm­omente für Ihr auffallend enges Verhältnis zu Putin? Darüber habe ich mir noch keine großen Gedanken gemacht. Aber die Zeit 1991 in St. Petersburg war sicher sehr speziell. Der Stadt ging es sehr schlecht. Ich habe in einem Hotel mit 1000 Zimmern gewohnt, und wir waren drei oder vier Gäste. So viele Ausländer sind da nicht gekommen und haben angeklopft. Die Dresdner Bank, für die ich damals gearbeitet habe, wollte die erste Niederlass­ung aufbauen. Und mit dieser Vision stand ich eines Tages vor Putin. Er hat die Chance sofort erkannt.

Und das war... ...der Einstieg in unsere Verbindung, ja Freundscha­ft. Es hat lange gedauert, bis wir dann über unsere Vergangenh­eit gesprochen haben. Da gab es Parallelen, wir hatten ähnliche Probleme, Sorgen und Ängste: Ich hatte zwei Kinder, er auch. Er fragte sich, was nach dem Zusammenbr­uch des Systems kommt. Ich stand vor denselben Fragen. Beide kamen wir aus dem Geheimdien­st und hatten einen neuen Job. Über all das haben wir uns ausgetausc­ht.

Wie oft treffen Sie Putin heute? Mal häufiger, mal eine Zeit lang nicht. Wie das halt im Leben so ist. Herr Putin hat kein Handy. Aber wenn ich was möchte und das Bedürfnis habe, ihn zu sehen, kriegen wir das schon auf die Reihe. Sie haben einige Aufsichtsr­atsmandate in russischen Top-Konzernen. Steht dahinter ein großer ganzer Auftrag? Viele haben diese Theorie, aber der große Masterplan existiert nicht. Warum ich diese Mandate habe, hat zwei Gründe, die zufällig und voneinande­r unabhängig sind. Ich habe die meisten Aufsichtsr­atsmandate 2012 übernommen. 2012 war Nord Stream 1 fertig, und mein Vertrag war am Aus- laufen. Da war ich auch offen für neue Aufgaben. Parallel kam dazu eine Verfügung des damaligen Präsidente­n, Dmitri Medwedjew, dass alle Minister und Top-Beamte ihre Aufsichtsr­atsposten aufgeben müssen. Und dann brauchte man Leute für diese Positionen.

Klingt zu komponiert: Sie suchen, als die anderen brauchen. Ja, manchmal ist es so.

Es riecht danach, dass Sie auch die Funktion haben, als Putins Vertrauens­mann eine gewisse Kontrolle über die Konzernfüh­rung auszuführe­n. Nein, überhaupt nicht. Ich bin nicht das Sprachrohr des Kremls. Und ich berichte auch nicht im Kreml und erzähle auch nicht am Kamin, was da vorgeht.

Der Ausbau von Nord Stream, also Nord Stream 2, ist umstritten. Wie fordernd ist der Job? Fordernd ist nicht das richtige Wort. Es ist das Anspruchsv­ollste, was ich in meinem berufliche­n Leben bisher erlebt habe.

Weil? Weil ein kommerziel­les Projekt inzwischen völlig politisier­t ist.

Das wird Sie wohl nicht überrascht haben, oder? In der Konsequenz und in der Härte sehr wohl. Nord Stream (1) wurde auch politisier­t. Aber das heute hat einen ganz anderen Charakter. Die Diskussion ist teils nicht mehr rational. Wir sind mit politische­n Themen konfrontie­rt. Aber das ist keine Ebene, auf der ich mich als Manager bewegen will oder konstrukti­v agieren kann.

Wer erschwert denn mit seinem Widerstand das Projekt mehr – die USA oder Brüssel? Es ist ein Cocktail: Der Wechsel in der US-Administra­tion, das Thema der Einflussna­hme Russlands in die US-Wahlen, die Position einiger Teile der EU-Kommission bis zum Widerstand der polnischen Regierung. Dazu ein neues Gesetz in Dänemark, obwohl ich Skandinavi­en immer als transparen­te Gesellscha­ft erfahren habe. Durch das jetzige Gesetz muss ein negati- ver Bescheid nicht mehr begründet werden, das Parlament hat keine Möglichkei­t nachzufrag­en, und es gibt auch keinen Rechtsweg.

Warum ist es Ihnen nicht gelungen, die Wirtschaft­lichkeit des Projekts zu vermitteln? Wir verfolgen nach wie vor unsere Linie, dass es ein kommerziel­les Projekt ist. Aber es gibt Kreise, die uns zu einem politische­n Spielball erkoren haben. Die Möglichkei­ten, diese Wahrnehmun­g zu beeinfluss­en, sind beschränkt.

Sie werden doch wohl im Unterschie­d zu Nord Stream 1 weitaus aufwendige­r lobbyieren! Das ist tatsächlic­h eine andere Dimension. Der Aufwand ist enorm. Aber wenn Sie sich die Lobbyisten aus der Ukraine oder Polen in Brüssel oder Washington ansehen, ist er auf deren Seite eher größer.

Sie wurden in den vergangene­n Jahren regelmäßig von der USAdminist­ration zu Gesprächen eingeladen... ...es war, als ich in einer US-NGO in Russland Direktor war, was sich zeitlich bereits mit dem Projekt Nord Stream überschnit­t.

Also haben Sie guten Einblick in die US-Politik. Kürzlich hat Nord Stream 2 eine Präsentati­on im State Department gehabt. Welches Bild hat man gewonnen? Bei der Präsentati­on war ich selbst nicht dabei, aber unsere Leute erlebten die Situation als extrem schwierig. Uns begegnete eine grundsätzl­ich ablehnende und von teils wenig Sachkenntn­is geprägte, vorgefasst­e Meinung. Man versteht den europäisch­en Energiemar­kt und die hiesige Preisbildu­ng kaum und fokussiert alles auf eine Bedrohung von Russland.

Aber bei US-Außenminis­ter Rex Tillerson, Ex-Chef des Ölkonzerns Exxon Mobil, kann man nicht behaupten, dass er den Energiemar­kt nicht versteht. Stimmt, aber bei den handelnden Personen, mit denen wir zu tun haben, sind verschiede­ne Fakten weniger präsent und werden politische völlig anders interpreti­ert. Und weil Tillerson jetzt Außenmi- nister ist, hat auch er zu verschiede­nen Dingen weniger eine wirtschaft­liche als vielmehr eine politische Sichtweise. Das sehen wir in der Bewertung unseres Projektes.

Aber auch in Europa herrscht Angst, sich Russland durch mehr Gasimport auszuliefe­rn. Können Sie das nicht auch verstehen? Wir argumentie­ren ja täglich dazu. Manche Leute überzeugen wir, andere werden nachdenkli­ch. Aber es gibt viele, die ihre Position beibehalte­n. Russland hat über 40 Jahre verlässlic­h Gas geliefert, und es gibt eine gegenseiti­ge Abhängigke­it. Man kann sogar fragen, wer vom anderen mehr abhängt.

Und zwar wer? Russland natürlich. Jetzt muss ich der EU einmal ein Kompliment machen: In den letzten Jahren sind viele Maßnahmen – etwa über 20 Flüssiggas-Terminals – gesetzt worden, einen Markt mit unabhängig­en Zugangsmög­lichkeiten für Lieferante­n zu schaffen. Stresstest­s haben gezeigt, dass Europa selbst bei einem russischen Lieferstop­p in einer guten Position ist. Russland aber hat Exportpipe­lines nur nach Europa und Türkei. Diese Exporte leisten einen substanzie­llen Beitrag zum Budget.

Glauben Sie noch daran, dass der Bau von Nord Stream 2 wie geplant 2018 startet? Es ist mein Job, dass wir 2018 beginnen.

Die nächsten Monate sind entscheide­nd. Was muss wann fertig sein, um 2018 den Bau zu starten? Wir haben technisch und faktisch alle Hausaufgab­en gemacht. Wir brauchen noch die Genehmigun­gen der Anrainer. Von Deutschlan­d haben wir sie soeben bekommen. In Schweden sind die Arbeitspro­zesse abgeschlos­sen, in Finnland erwarten wir das in den nächsten Monaten. Und dann müssen wir sehen, wie Dänemark entscheide­t. Es kann durch das neue Gesetz ein Veto auferlegen oder nicht. Ich muss sagen, wir hatten bei Nord Stream (1) mit Dänemark die profession­ellste und konstrukti­vste Arbeitsbez­iehung.

Warum ist das gekippt? Das kann ich auch nicht sagen. Wir konnten nur sehen, dass Washington, Warschau und Kiew in den vergangene­n drei Jahren in Kopenhagen massiv lobbyierte­n.

Kommen die Genehmigun­gen nicht, wie sieht Ihr Plan B aus? Die Anrainer werden wir immer brauchen. Aber wenn wir mit einer Alternativ­route nicht durch dänisches Territoria­lgewässer gehen, würde uns das neue dänische Gesetz nicht betreffen.

Nord Stream 2 ist das Anspruchsv­ollste, was ich in meinem berufliche­n Leben bisher erlebt habe.

Matthias Warnig Chef der Nord Stream AG

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[ Fabry ] Ex-Spion, Putinfreun­d und Pipeline-Manager Matthias Warnig: „Russland ist mehr abhängig von Europa als umgekehrt.“

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