Olympische Beinfreiheit im Winter
Sport und Kultur. Warum sich Hemingway fürs Skifahren den Bart wachsen ließ und ein Russe unter falschem Namen Olympia-Gold holte: Der Germanist Klaus Zeyringer hat eine Kulturgeschichte der Olympischen Winterspiele geschrieben.
Schnee und Eis, das passt auf den ersten Blick vielleicht zum Olymp – aber nicht unbedingt zu Olympia und den Sportkämpfen der Griechen. „Weder schrieb Pindar eine Zeile darüber, dass die Spartaner einen Hang hinunter schussgefahren wären, noch schuf Phidias die Statue eines Mazedoniers, der sich durch ein Slalomtor schlängelt“, ätzte einmal die „New York Times“. Der Vorbehalt gegen Winterspiele war alt. 1924 wurden sie dann doch eingeführt, wenn auch noch nicht offiziell. Erst im Nachhinein wurde die „Wintersportwoche der Olympischen Spiele“zu den ersten Olympischen Winterspielen erklärt.
Dass deren Geschichte auch Menschen fesseln kann, die noch nie ein Skirennen gesehen haben, hat nun der sportbegeisterte österreichische Germanist Klaus Zeyringer bewiesen. Zwei Jahre nach Erscheinen seiner Kulturgeschichte der Olympischen Sommerspiele ist sein Winter-Pendant erschienen: „Olympische Spiele. Eine Kulturgeschichte von 1896 bis heute: Winter“. Es erzählt weniger systematisch als in aussagekräftigen und oft anekdotischen Details von der Geburt der Spiele in den frühen Jahren der Wintersportindustrie bis zur Korruption und Megalomanie der vergangenen Jahre.
Zeyringer findet darin sogar für Künstler wie Francesco Petrarca, Richard Strauss oder Ernest Hemingway Platz. Expeditionsforscher wie Julius Payer und Fridtjof Nansen hatten die Europäer im 19. Jahrhundert mit den Skiern bekannt gemacht, Hemingway gehörte in der Zeit der ersten Winterspiele zu den größten Fans der neuen Sportart. Das Tiroler Tal Montafon bezeichnete er als sein „privates Paradies“, er ließ sich einen Bart wachsen, der ihn bei Stürzen schützen sollte, schrieb nebenbei für ein Vorarlberger Lokalblatt über Theateraufführungen und verarbeitete seine Ski-Erlebnisse in der Erzählung „Schnee am Kilimandscharo“.
Den ersten Eiskunstlauf-Goldsieger der Olympischen Spiele gab es lang vor den Winterspielen, erfährt man hier. 1908 war Eiskunstlauf Teil der Sommerspiele, der russische Zarenbeamte Nikolai Kolomenkin trat dort unter falschem Namen an. Ein Staatsdiener dürfe nicht „wie ein Clown übers Eis hopsen“, so seine Vorgesetzten. Vier Jahre später wurde er beim Schießen Vierter – unter seinem richtigen Namen.
Luis Trenker im Bob
Als im französischen Chamonix die ersten Winterspiele stattfanden, war das Wetter grauenhaft. Das schadete nicht nur dem Sport. Der Wind verwehte trotz vieler Lautsprecher die Klänge des Streichquartetts, das zu den Wettkämpfen aufspielte. Dafür faszinierte die österreichische Eislauf-Weltmeisterin Herma Szabo´ unter anderem modisch; als Erste trat sie nicht im langen Kleid, sondern im kurzen weiten Rock an, der ihr mehr Beinfreiheit gab. Ein Südtiroler holte im Bob für Italien den sechsten Platz: Luis Trenker, der spätere Filmstar.
1928 im Schweizer Ort St. Moritz waren die Olympischen Spiele schon ein Großereignis für die High Society: In pelzbesetzten Schlitten fuhren Adelige und Superreiche wie die Rothschilds, Astors und Vanderbilts vor. In dieser Frühzeit erlebte man immer wieder Sportarten bei den Winterspielen, die dann nie olympisch wurden: in St. Moritz etwa das Skijöring, bei dem sich der Skifahrer von einem Pferd ziehen ließ. Bei den ebenfalls in St. Moritz abgehaltenen ersten Winterspielen nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dann den Winterpentathlon: Er bestand aus Langlauf, Abfahrt, Degenfechten, Geländeritt im Schnee und Pistolenschießen – auf Menschenfiguren.
1932 fanden die Spiele in Lake Placid im US-Bundesstaat New York statt. Der österreichische Eiskunstlauf-Weltmeister Karl Schäfer prägte dort einen Modetrend: Er trat nicht wie üblich im Trikot, sondern in dunk- lem Anzug und weißem Hemd mit Krawatte auf. Dass der Klub, der die Spiele nach Lake Placid geholt hatte, keine jüdischen Mitglieder unter sich duldete, erregte erfolglose Proteste. Der Ausschluss von Juden, hieß es, habe so wenig zu bedeuten wie dass der Harvard Club keine Männer aus der YaleUni bei sich akzeptiere.
Juden seien willkommen, mehr jüdische Sportler denn je würden Deutschland vertreten – das versprach Hitler für die Spiele im bayerischen Garmisch-Partenkirchen 1936. „Es ist nicht bekannt, dass sich einer der olympischen Herren im Nachhinein beschwert hätte, dass alle diese Garantien der Nazis nicht eingehalten worden waren“, schreibt Zeyringer. Für die Mitglieder des IOC-Komitees gab es Tee bei Richard Strauss, der ihnen am Klavier seine olympische Hymne vorspielte. Die für die Dauer der Spiele abgehängten Zutrittsverbotsschilder für Juden hängte man nach den Spielen wieder auf. Diese Spiele hätten all jene belehrt, die Sport und Politik vermengten, schrieb damals die französische Zeitung „Le Figaro“: Der Sport sei eben sich selbst genug.
Toni Sailer und das Nation Building
Das Fernsehen war zum ersten Mal in Oslo 1952 dabei, übertrug die Eröffnungsfeier live – und damit auch ein Hoppala: Der Flammenträger stürzte kurz vor dem Ziel über ein Kabel. Auch ein Kinofilm wurde produziert. Dessen Kommentator, der Wiener Sportreporter Heribert Meisel, gefiel deutschen Journalisten gar nicht; einer fand „diesen Wiener Charme“unerträglich, er meinte Sätze wie: „Hier liegt die schönste Schanze der Welt, der Holmenkollen. Sie ist wie eine schöne Frau. (. . .) Jetzt lässt sich unsere schöne Frau die Lippen in Gegenwart von hundertfünfzigtausend Menschen nachziehen.“
Gegen den 2009 verstorbenen Tiroler Toni Sailer wurde im Zuge der MeToo-Debatte ein Vergewaltigungsvorwurf publik, der das Bild des großen Skistars trübt. Sailer hat für Zeyringer entscheidend zum österreichischen Nation Building beigetragen: Der Wintersport wurde zur wichtigsten Quelle österreichischen Stolzes. 1956, im Jahr, als Toni Sailer drei olympische Goldmedaillen gewann, meinten noch fast 50 Prozent, Österreich sei keine Nation. Acht Jahre später waren es nur noch 15. Ein weiteres Detail in dieser Geschichte sportlichen Nation Buildings: Große Teile von Sailers Buch „Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg“(1956) schrieb der einst an den Salzburger Bücherverbrennungen beteiligte ehemalige SSHauptsturmführer und Gauamtsleiter Karl Springenschmid.
Keiner freilich wurde so umjubelt wie der Tiroler Karl Schranz, als er 1972 wegen seiner bereits zweiten umstrittenen Olympia-Disqualifizierung vorzeitig aus Japan zurückkam. Eine Menschenmasse empfing ihn, wie man sie bei den WienBesuchen der Queen und John F. Kennedys nicht erlebt hatte. Schranz winkte vom Balkon des Heldenplatzes. „Kollektiver Wahnsinn“, kommentierte die französische Zeitung „Le Monde“. Er habe damals an die Gefahren der Massenmobilisierung denken müssen, sagte später Bundeskanzler Bruno Kreisky. Auch die Musiker Georg Danzer und Andre´ Heller ließen sich damals anstecken, sangen auf einer Single: „Wir pfeif ’n aufs Olympia-Gold, wir haum’s ned gern, waun uns wer rollt.“
Ein aus heutiger Sicht für Österreich eher peinlicher Moment. Fans des heimischen Skisports können aber beruhigt sein: In Zeyringers Buch überwiegen die glorreichen.
Hier liegt die schönste Schanze der Welt. Sie ist wie eine schöne Frau. Jetzt lässt sie sich die Lippen nachziehen. Reporter Heribert Meisel Wir pfeif’n aufs Olympia-Gold, wir haum’s ned gern, waun uns wer rollt. Austropop-Musiker Georg Danzer und Andre´ Heller nach der Disqualifizierung des Karl Schranz in Japan