Die Presse

Fische lernten das Laufen schon im Wasser

Die zur Eroberung des Landes nötige Innovation kam viel früher, zum Herumspazi­eren am Meeresbode­n.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Vor 380 Millionen Jahren stieg der erste Fisch aus dem Meer ans Land und wurde zum Ahnen aller Vierfüßler – wir gehören dazu –, man fand ihn 2008 in Alaska und nannte ihn „Tiktaalik“, in der Sprache der Inuit heißt das „großer Fisch des flachen Wassers“. Für das Leben in der neuen Umwelt musste er viel umbauen, etwa Flossen in Beine, er war der erste, der das tat. Das dachte man zumindest. Aber er war nur der erste, der das Laufen auf dem trockenen Boden der Erde lernte, andere konnten es auf dem nassen des Meeres schon viel früher, und sie können es heute noch, die Kleinen Rochen (Leucoraja erinaccea), ihre Ahnen kamen vor etwa 420 Millionen Jahren.

Sie werden nicht anders gegangen sein als ihre Erben – abwechseln­d auf den beiden Brustfloss­en –, und die benutzen zum Steuern der Muskeln die gleichen Nervenscha­ltungen wie wir, sie verbinden sie auch mit denselben Molekülen mit den Muskeln, und bei den Entwicklun­gsprogramm­e ist es auch so, sogar differenzi­ert: Für unsere Beine und ihre Brustfloss­en sorgen die gleichen Hox- und Foxp- Genvariant­en, für unsere Arme und ihre Schwimmflo­ssen andere, aber auch gleiche. Erkundet hat das Jeremy Dasen (New York): „Die Nervenscha­ltungen, die das Laufen kontrollie­ren, wurden nicht aufgebaut, als unsere ersten Ahnen ans Land krochen, wie man vermutete, sondern viel früher in primitiver­en Fischen“(Cell 8. 2.).

Bei den frühen Rochen lag also alles bereit, warum stiegen sie nicht aufs Land? Bei Tiktaalik vermutete man, er habe sich vor Räubern in Sicherheit bringen wollen, aber Räuber waren auch hinter den Kleinen Rochen her. Vielleicht stand bei Tiktaalik etwas ganz Anderes dahinter, und vielleicht waren die Beine gar nicht die Innovation, die es zur Eroberung des Landes brauchte. Sondern: die Augen. Tiktaalik und andere Übergangsf­ormen glichen Krokodilen, in ihrer ganzen Gestalt, vor allem aber in einem Detail: Die Augen verdreifac­hten in kurzer Zeit ihre Größe und wanderten am Schädel nach oben, das erlaubte beim Schwimmen einen Blick aufs Land, und auf dem Land einen auf reiche Beute: Insekten, die gab es zu Zeiten der Ur-Rochen dort noch kaum.

„Große Augen sind im Wasser fast wertlos, weil der Blick auf das begrenzt ist, was das Tier direkt vor sich sieht“, erklärt Paläontolo­ge Lars Schmitz, der 59 fossile Übergangsf­ormen analysiert hat ( Pnas E2375): „Aber bei einem Blick durch die Luft sind sie sehr wertvoll.“

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