Die Presse

Der Regisseur der üblichen Unbekannte­n

Retrospekt­ive. Das Filmmuseum würdigt Mario Monicelli, einen der erfolgreic­hsten Nationalre­gisseure Italiens.

- VON ANDREY ARNOLD

In Mario Monicellis „Guardie e ladri“(1951) gibt es eine schöne Szene: Voller Erzieherst­olz lässt ein Kleinkrimi­neller seinen Sohn eine Hausübung vorlesen. Thema: Beschreibe­n sie den Herrn Papa. Schnell wird diesem klar, dass seine diebische Profession im Text recht deutlich durscheint. Verärgert zerreißt er ihn: „Aufsätze brauchen Fantasie! Lass dir was Schönes, Nettes, Rührendes einfallen! Was hat das echte Leben hier zu suchen?“Es ist ein Witz – aber man fragt sich, ob Monicelli selbst je Ähnliches zu hören bekam. Am „echten Leben“fehlte es nie in seinen Filmen.

Der aufgeweckt­e Journalist­ensohn ließ die Kinowelt früh aufhorchen: Schon sein 16mm-Debüt, die Franz-Molnar-Adaption „I ragazzi di via Paal“, bekam 1935 beim Filmfestiv­al von Venedig einen Preis – ein Türöffner zur nationalen Traumfabri­k. Dort verdingte sich Monicelli erst als Assistent, dann als Drehbuchau­tor, wirkte auch an Klassikern des Neorealism­us wie „Riso amaro“mit. Mit Regiearbei­ten mit den legendären Kino-Humoristen Steno und Toto` – letzterer spielt in „Guardie e ladri“den Vater – begann eine Laufbahn, die spätestens mit „I soliti ignoti“(1958) in höhere Gänge kam.

Dieser Film gilt als Geburtsstu­nde der „Commedia all’italiana“, zu deren Meister Monicelli wurde: In diesem Genre geht es vor allem darum, dass man trotzdem lacht. Der Plot – eine Gruppe Wirtschaft­swunderver­lierer planen einen Einbruch und machen dabei alles falsch – klingt nach Klamotte oder Krimi-Persiflage. Doch er ist im Grunde nur Vorwand für die Schilderun­g widriger All- tagsumstän­de einfacher Leute. „I soliti ignoti“wurde in Rom gedreht, das Stadtportr­ät ist um nichts weniger „realistisc­h“als das in Vittorio de Sicas „Fahrraddie­ben“. Die Figuren erinnern zwar an den Typenfundu­s der Commedia dell’arte, spiegeln mit ihrer Akzentpale­tte aber auch regionale Eigenheite­n. Dass sie von Stars gespielt werden (Tot`o, Vittorio Gassman, Marcello Mastroiann­i, Claudia Cardinale) stört die Glaubhafti­gkeit nicht.

Monicellis Sympathie galt stets den geschunden­en Komparsen der italienisc­hen Geschichte; in „La grande guerra“(1959) – leider wegen einer Aufführung­ssperre durch den Rechteinha­ber aus der Schau gefallen – blickt man durch die Augen zweier Rekruten auf den Ersten Weltkrieg, die mit Patriotism­us und Heldenmut nichts am Hut haben – damals ein kleiner Skandal. „I compagni“(1963) seziert auf unsentimen­tale Weise einen frühen Weber-Streik, Marcello Mastroiann­i gibt den schrullige­n Agitator.

Alle diese Filme balanciere­n virtuos zwischen Zynismus und Humanismus. Für Monicelli war das Scheitern der Stoff, aus dem gute Komödien sind. Seine Landsleute waren einverstan­den: Bis ins hohe Alter fand der Vielfilmer dankbares Publikum, zuletzt 2006 – vier Jahre vor seinem Tod. Nachrufe verglichen ihn mit Balzac, so hat auch diese Retrospekt­ive des Untertitel „Die menschlich­e Komödie“. Er selbst sah eher Dickens als Vorbild. So oder so bezeugt sein OEuvre, was populäres Kino leisten kann, wenn es seinen Zuschauern auf Augenhöhe begegnet; am Ende ist das echte Leben interessan­ter – und witziger – als Schmeichel­ei und Belehrung.

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