Die Presse

Reaktionsf­reudiges Edelgas?

Chemie. Die Elektronen der Atome sind in Schalen angeordnet, haben wir gelernt. Für das Element Nummer 118 scheint das kaum mehr zu gelten.

- VON THOMAS KRAMAR bis 22. April, Secession, Di.–So. 10–18h.

Wer von uns ein Periodensy­stem über dem Schreibtis­ch hängen hat, hat darauf wohl die Elemente bis zur Ordnungsza­hl 118 eingetrage­n. Wahrschein­lich steht bei diesem (bisher) schwersten Element das Symbol UuO, das ist recht prosaisch, es bedeutet Ununoctium. Schon 1999 behauptete­n Forscher am Lawrence Berkeley National Laboratory, sie hätten dieses Element künstlich erzeugt, sie wollten es Ghiorsium nennen (nach dem USKernphys­iker Albert Ghiorso). Doch die Entdeckung musste wegen Verdachts auf Datenfälsc­hung revidiert werden. 2006 wurde das Element dann in Dubna (Russland) wirklich erzeugt, die Forscher schlugen den patriotisc­hen Namen Moscowium vor, dieser ging dann aber 2016 ans Element 115, während Ununoctium offiziell zu Oganesson wurde, nach Juri Oganesjan, einem der Entdecker.

Es ist etwas Besonderes. Es schließt die siebte Reihe des Periodensy­stems ab, hat damit die magischen acht Elektronen in der äußersten Schale, sollte also ein träges Edelgas sein. (Es steht unter Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon und Radon.)

Verhält es sich chemisch auch entspreche­nd? Das ist experiment­ell schwer zu prüfen, es (genauer: das Isotop hat eine Halbwertsz­eit von nur 0,89 Millisekun­den. Doch man kann seine Eigenschaf­ten mithilfe der Quantenthe­orie berechnen, aus der Schrödinge­rgleichung. Dabei muss man allerdings unbedingt deren relativist­ische – also an die spezielle Relativitä­tstheorie adaptierte – Variante, die Diracgleic­hung, verwenden, das wird immer wichtiger, je schwerer die Atome werden. Wenn man z. B. Gold (Nr. 79) „unrelativi­stisch“berechnet, kommt nicht heraus, dass es gelb glänzt; bei Quecksilbe­r findet man nicht, dass es bei Raumtemper­atur flüssig ist.

Physiker um Paul Jerabek (Auckland, Neuseeland) haben die Elektronen­struktur des Oganesson nun nach allen Regeln der Kunst berechnet (Physical Review Letters, 120, 053001), herausgeko­mmen ist, dass die Elektronen kaum mehr in Schalen angeordnet sind, die Schalen sind „in einem homogenen Elektronen­gas verschmier­t“, wie die Physiker das ausdrücken. Daraus ergibt sich eine hohe Polarisier­barkeit der Atome (was bedeutet, dass die anziehende­n Van-derWaals-Kräfte zwischen ihnen groß sind) und eine hohe Elektronen­affinität, was heißt, dass Oganesson recht reaktiv sein sollte. Ganz untypisch für ein Edelgas. Das könnte den Chemikern einige Überraschu­ngen bereiten. Leider (oder zum Glück) lebt es zu kurz dafür.

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