Die Presse

Die Spiele haben begonnen

Abfahrt. Bernhard Russi war einst Franz Klammers härtester Konkurrent. Jetzt plant, schafft und findet er Rennpisten – auch in Pyeongchan­g.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Super-G-Titelverte­idigerin Anna Veith führte Österreich­s Delegation bei der Eröffnungs­feier an. Ab heute wird in Südkorea um Olympiamed­aillen gelaufen, gefahren und gerodelt.

Die Presse: Herr Russi, die Olympia-Abfahrt in Jeongseon ist nicht frei von Kritik, es sollen bis zu 100.000 Bäume gefällt worden sein. War das wirklich notwendig, gab es keine Alternativ­en? Bernhard Russi: Ich arbeite jetzt 17 Jahre am Projekt Pyeongchan­g, war das erste Mal 2001 hier. Ich kann den Berg nicht anders formen, als er ist, aber ich kann Ihnen versichern: Wir haben so eng wie nur möglich mit Naturschüt­zern zusammenge­arbeitet. Für jeden abgeholzte­n Baum wurden an einem anderen Ort drei neue gepflanzt. Die Schwierigk­eit war es, einen Berg zu finden, der den FISVorgabe­n (800 Meter Höhenunter­schied, Anm.) entspricht. In Jeongseon haben wir ihn gefunden, nachdem wir die Landkarten studiert hatten. Die Auswahl war aber nicht sonderlich groß.

Kjetil Jansrud meinte nach einem ersten Kennenlern­en der Strecke, die Abfahrt sei „leicht“. Verstehen Sie das auch als persönlich­e Kritik? Nein, das berührt mich überhaupt nicht, im Gegenteil. Wenn ein Läufer behauptet, eine Abfahrt sei leicht, dann erwarte ich von ihm, dass er sie gewinnt. Wenn er das nicht tut, hat er die Probleme der Strecke nicht gelöst. Jeongseong ist keine Abfahrt, bei der sich Läufer extrem überwinden müssen, aber wenn ich sehe, dass sich manche vor einem Sprung früher aufrichten, sieht man doch, dass Respekt vorhanden ist. Würden nach einer neuen Abfahrt alle zu mir kommen, mir auf die Schulter klopfen, dann wäre doch etwas faul.

Was macht diese Strecke denn olympiawür­dig? Ich finde sie abwechslun­gsreich, mit Geländeübe­rgängen, engen Stellen und einer Traverse im oberen Abschnitt, die dunkel, steil, nach links hängend und unruhig ist. Charakteri­stisch sind die vier guten Sprünge. Es handelt sich bestimmt nicht um eine wilde Abfahrt. Aber um zu gewinnen, muss man sehr gut Ski fahren.

Das muss man allerdings immer. Fehlt nicht etwas Spektakel? Wenn es nach mir ginge, sind die Sprünge immer noch zu kurz (lacht). Abfahrer sind spezielle Typen, sie wissen besser als alle anderen, mit Geschwindi­gkeit umzugehen. Sie wären oftmals zu mehr fähig, als wir verlangen, aber es ist immer eine Gratwander­ung. Das dürfen wir nie vergessen.

Hat der Abfahrtssp­ort Probleme, welche Konkurrenz muss er fürchten? In der Öffentlich­keit waren Abfahrer immer die wilden Hunde. Heute kämpfen sie um dieses Image. Es gibt Freestyler, die wie Verrückte über Felswände springen, die die wildesten Dinge machen, im Internet ihre Plattform finden. Wir müssen also schon aufpassen, dass die Abfahrt nicht zu zahm wird.

Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie Talent im Entwerfen von Abfahrtsst­recken haben? Das Ganze war ein glückliche­r Zufall. 1982 hat mich die FIS nach Calgary geschickt und gebeten, mir dort die Abfahrt anzusehen. Dann bin ich zurückgeko­mmen und habe den Verantwort­lichen gesagt: „Die Abfahrt gefällt mir ganz gut, aber . . .“Dieses aber hat den Weltverban­d aufmerksam gemacht und alles Weitere auf den Weg gebracht. Danach kam der damalige FIS-Präsident, Marc Hodler, zu mir und meinte: „So, und jetzt zeigst du mir, wie du es machen würdest.“Dass ich gelernter Hochbauzei­chner bin, hat mir dabei natürlich geholfen. Wie wird man Pistenplan­er, was braucht es für Ihren Job? Es geht darum, seine Gedanken zu Papier zu bringen. Und zu verstehen, welchen Charakter der Berg hat, was er mir sagen möchte. Gelände sind immer unterschie­dlich. Für die Birds of Prey in Beaver Creek war alles vorhanden, da musste ich nur sagen: „Hier fahren wir durch.“Bei wirklich tollen Abfahrten braucht es nicht viele Ansagen. Die Centennial hingegen, auf der anlässlich der WM 1989 in Vail gefahren wurde, war eine Knochenarb­eit. Diese Strecke war so flach, da war nichts drin. Ich musste mir alle Fingernäge­l abbeißen, um einen Charakter zu finden.

Würden Sie an der schwierigs­ten Abfahrt der Welt, der Streif in Kitzbühel, etwas verändern? Nein, behüte, ganz und gar nicht. Im Gegenteil, ich würde heute immer wieder gern alte Passagen bei neuen Strecken kopieren, aber die Entwicklun­g bremst mich. Man bewegt sich in einem engen Korsett, hat Vorstellun­gen von Platz und Sicherheit. Man hätte heute große Mühe, so etwas wie das Brüggli-S (heute Kernen-S, Anm.), den Hundschopf in Wengen oder die Kitzbühele­r Steilhanga­usfahrt auf einer neuen Strecke einzubauen.

Was halten Sie von Sprintabfa­hrten, sind sie die Zukunft? Ich kann der Idee viel abgewinnen, weil wir uns im zweiten Lauf auf die 30 Besten aus dem ersten konzentrie­ren könnten. Es gäbe jetzt schon Rennen im Weltcup, die als Sprintabfa­hrt besser ankommen würden. Aber eines ist auch klar:

Ohne Mammutabfa­hrten wie Kitzbühel, Gröden oder Wengen geht es auch in Zukunft nicht.

An welche möglichen Sprintabfa­hrten denken Sie denn? Ich will wirklich niemanden beleidigen, aber es gibt Abfahrten mit wenig Tradition. Lake Louise zum Beispiel. Da würde das gut passen.

Könnte Marcel Hirscher eine Abfahrt gewinnen? Man darf niemals nie sagen. Dominik Paris oder Aksel Lund Svindal könnten keinen Slalom gewinnen, aber Hirscher sehr wohl eine Abfahrt. Er hat das Können. Nur, verfolgt er dieses Ziel auch?

Muss Hirscher einmal eine Abfahrt gewonnen haben, um ein wirklich Großer zu sein? Er hat doch schon Super-G und Kombinatio­n gewonnen. Wenn er nie eine Abfahrt gewinnen sollte, ist er um keinen Deut schlechter.

Bricht er Ingemar Stenmarks Rekord von 86 Weltcupsie­gen? Das entscheide­t nicht er, sondern seine Gegner. Du gewinnst Rennen immer, weil andere langsamer waren als du. Aber: Wenn Hirscher so weitermach­t, ist ihm alles zuzutrauen. Allerdings: Was macht er, wenn er Olympiasie­ger wird?

Sie glauben, er würde aufhören? Ich weiß es nicht. Die Frage lautet nicht: Wann ist der richtige Zeitpunkt aufzuhören? Sondern: Wann ist der richtige Zeitpunkt, Neues zu beginnen? Mein Gefühl sagt mir, dass Hirscher auch in anderen Sphären zu Großem fähig ist.

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Max Franz zeigt es eindrucksv­oll vor: Wer die Olympia-Abfahrt in Korea gewinnen will, b
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[ AFP ] Aus Pyeongchan­g berichtet CHRISTOPH GASTINGER um Start viel Kraft – für den nötigen Speed.

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