Die Presse

„Müssen Haushalt maßvoll erhöhen“

Interview. Wenn die Regierunge­n teure Agrar- und Kohäsionsf­örderungen behalten wollen, wird die EU nach 2020 mehr Geld brauchen, warnt Budgetkomm­issar Oettinger im „Presse“-Gespräch.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die Presse: Sie reisen am Montag nach Wien. Werden Sie dort als erster EU-Kommissar tatsächlic­h von einem Minister der neuen Bundesregi­erung empfangen werden? Ihre Kollegen Avramopoul­os und Stylianide­s wurden im Jänner kurzfristi­g versetzt. Günther Oettinger: Wir haben eine feste Agenda mit dem Bundeskanz­ler, mit Europamini­ster Blümel, mit Außenminis­terin Kneissl, mit Ministerin Köstinger, die für Landwirtsc­haft und Nachhaltig­keit verantwort­lich ist, und ich werde im Nationalra­t sein. Ich freue mich auf diese Gespräche.

Sie werden als Gastgesche­nk nur bittere Pillen mitbringen können: Es wird nach 2020 weniger Einzahlung­en in den Haushalt geben, weil die Briten die EU verlassen. Sie wünschen sich aber ein Budget, das anteilig leicht steigt. Und Sie wollen eigene Finanzquel­len, bis hin zu EU-Steuern. All das lehnen Kurz und sein Koalitions­partner, FPÖ, ab. Ich glaube, wir haben gute Argumente für eine maßvolle Erhöhung des Haushalts. Ich bin in den vergangene­n Wochen mit zahlreiche­n Landeshaup­tleuten zusammen gewesen, zuletzt mit Kollegin Mikl-Leitner. Die erwarten alle eine Fortführun­g der Kohäsionsp­olitik. Das wollen wir auch. Wir wollen einen Kahlschlag bei der Kohäsionsp­olitik verhindern. Das geht nur, wenn wir den Haushalt maßvoll erhöhen. Aber auch dann werden wir um Kürzungen nicht herumkomme­n. Das Gleiche gilt für die Agrarpolit­ik: Wenn ich mit österreich­ischen Bauern spreche, mit deren Verband als auch im Sommer mit einzelnen Bauern, wenn ich wandern bin: Die legen größten Wert darauf, dass die Gemeinsame Agrarpolit­ik fortsetzt wird und die Direktförd­erung der Landwirtsc­haft auf der Grundlage einer vergemeins­chafteten Politik stabil weitergeht.

Es sollen nach dem Willen der Kommission aber auch neue Aufgaben dazukommen. Migration, Grenzschut­z und Verteidigu­ng sind Bereiche, in denen Europa einen klaren Mehrwert bringt. Wir werden auch Einsparung­en vornehmen und klopfen gerade jedes Programm auf seinen Mehrwert ab. Einsparung­en allein reichen jedoch nicht. Und bedenken Sie Folgendes: Von jeden 100 Euro, die ein Bürger in Wien, Salzburg, Graz an seinem Arbeitspla­tz erwirtscha­ftet, nimmt die Politik ihm 50 Euro über Steuern, Gebühren, Abgaben ab. Das ist die Staatsquot­e im Durchschni­tt Europas. Von diesen 50 Euro wiederum kommt nur ein Euro nach Brüssel.

Kanzler Kurz und Ministerin Köstinger haben jüngst gesagt, dass sie die Kohäsionsf­örderungen für osteuropäi­sche Staaten kürzen wollen. Werden sie damit in Brüssel durchkomme­n? Die Kohäsionsp­rogramme dienen ja nicht nur den diversen Ländern. Deshalb haben wir einen Rahmen und klare Formeln dafür, welche Region, welches Bundesland welchen Betrag zu erwarten hat. Wir machen ja keine Lex Ungarn. Das kann in den Gesprächen von Sebastian Kurz mit Viktor Orban,´ die angeblich recht freundlich waren, kein Thema gewesen sein.

Kanzler Kurz wünscht sich zumindest in einem Punkt „mehr Europa“, nämlich beim Schutz der EU-Außengrenz­e. Haben Sie schon einmal durchgerec­hnet, was zum Beispiel eine EU-Grenzwacht kosten würde? Die Idee halte ich für wegweisend. Ich glaube, dass Sebastian Kurz da völlig recht hat: Wir sollten in der Lage sein, unsere Außengrenz­en lückenlos zu kontrollie­ren. Das schaffen die Bulgaren, die Italiener, die Griechen ohne unsere Unterstütz­ung kaum. Bleibt eine Frage: Wie stark sind die Mitgliedst­aaten bereit, sich in dieser hoheitlich­en Funktion Einmischun­g zu gestatten? Denn dann würde ein europäisch­er Beamter mit den zwölf Sternen auf der Uniform in Griechenla­nd, auf Kreta, an der Grenze Bulgarien/Türkei gemeinsam mit oder statt eines nationalen Kollegen diese Aufgabe erfüllen. Je mehr uns die Mitgliedst­aaten hier Mut machen, desto eher werden wir im Stellenpla­n von Frontex eine deutliche Steigerung vorsehen oder Sachmittel zur Verfügung stellen, damit sie es im Auftrag aller tun.

Sie wünschen sich auch eine stetige Einnahmequ­elle für den EUHaushalt. Wie wollen Sie das in Zeiten von nicht unwesentli­chem Euroskepti­zismus den Regierunge­n schmackhaf­t machen? Wir bekommen einen Haushaltsr­ahmen mit einer verpflicht­enden Obergrenze. Steigt eine Einnahmequ­elle, kann eine andere sinken. Wenn wir zum Beispiel die Einnahmen aus dem europäisch­en System für den Emissionsh­andel direkt in den Haushalt fließen ließen und diese Einnahmen stiegen, dann könnten die Beiträge der Mitgliedst­aaten entspreche­nd sinken. Dieses Handelssys­tem wird jetzt reformiert, und die Preise für die Emissionsz­ertifikate werden steigen.

Welche Art von eigener Geldquelle für den EU-Haushalt halten Sie für politisch am ehesten durchsetzb­ar? Ich halte dieses Emissionsh­andelssyst­em für am nächsten liegend.

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[ Reuters ]

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