„Müssen Haushalt maßvoll erhöhen“
Interview. Wenn die Regierungen teure Agrar- und Kohäsionsförderungen behalten wollen, wird die EU nach 2020 mehr Geld brauchen, warnt Budgetkommissar Oettinger im „Presse“-Gespräch.
Die Presse: Sie reisen am Montag nach Wien. Werden Sie dort als erster EU-Kommissar tatsächlich von einem Minister der neuen Bundesregierung empfangen werden? Ihre Kollegen Avramopoulos und Stylianides wurden im Jänner kurzfristig versetzt. Günther Oettinger: Wir haben eine feste Agenda mit dem Bundeskanzler, mit Europaminister Blümel, mit Außenministerin Kneissl, mit Ministerin Köstinger, die für Landwirtschaft und Nachhaltigkeit verantwortlich ist, und ich werde im Nationalrat sein. Ich freue mich auf diese Gespräche.
Sie werden als Gastgeschenk nur bittere Pillen mitbringen können: Es wird nach 2020 weniger Einzahlungen in den Haushalt geben, weil die Briten die EU verlassen. Sie wünschen sich aber ein Budget, das anteilig leicht steigt. Und Sie wollen eigene Finanzquellen, bis hin zu EU-Steuern. All das lehnen Kurz und sein Koalitionspartner, FPÖ, ab. Ich glaube, wir haben gute Argumente für eine maßvolle Erhöhung des Haushalts. Ich bin in den vergangenen Wochen mit zahlreichen Landeshauptleuten zusammen gewesen, zuletzt mit Kollegin Mikl-Leitner. Die erwarten alle eine Fortführung der Kohäsionspolitik. Das wollen wir auch. Wir wollen einen Kahlschlag bei der Kohäsionspolitik verhindern. Das geht nur, wenn wir den Haushalt maßvoll erhöhen. Aber auch dann werden wir um Kürzungen nicht herumkommen. Das Gleiche gilt für die Agrarpolitik: Wenn ich mit österreichischen Bauern spreche, mit deren Verband als auch im Sommer mit einzelnen Bauern, wenn ich wandern bin: Die legen größten Wert darauf, dass die Gemeinsame Agrarpolitik fortsetzt wird und die Direktförderung der Landwirtschaft auf der Grundlage einer vergemeinschafteten Politik stabil weitergeht.
Es sollen nach dem Willen der Kommission aber auch neue Aufgaben dazukommen. Migration, Grenzschutz und Verteidigung sind Bereiche, in denen Europa einen klaren Mehrwert bringt. Wir werden auch Einsparungen vornehmen und klopfen gerade jedes Programm auf seinen Mehrwert ab. Einsparungen allein reichen jedoch nicht. Und bedenken Sie Folgendes: Von jeden 100 Euro, die ein Bürger in Wien, Salzburg, Graz an seinem Arbeitsplatz erwirtschaftet, nimmt die Politik ihm 50 Euro über Steuern, Gebühren, Abgaben ab. Das ist die Staatsquote im Durchschnitt Europas. Von diesen 50 Euro wiederum kommt nur ein Euro nach Brüssel.
Kanzler Kurz und Ministerin Köstinger haben jüngst gesagt, dass sie die Kohäsionsförderungen für osteuropäische Staaten kürzen wollen. Werden sie damit in Brüssel durchkommen? Die Kohäsionsprogramme dienen ja nicht nur den diversen Ländern. Deshalb haben wir einen Rahmen und klare Formeln dafür, welche Region, welches Bundesland welchen Betrag zu erwarten hat. Wir machen ja keine Lex Ungarn. Das kann in den Gesprächen von Sebastian Kurz mit Viktor Orban,´ die angeblich recht freundlich waren, kein Thema gewesen sein.
Kanzler Kurz wünscht sich zumindest in einem Punkt „mehr Europa“, nämlich beim Schutz der EU-Außengrenze. Haben Sie schon einmal durchgerechnet, was zum Beispiel eine EU-Grenzwacht kosten würde? Die Idee halte ich für wegweisend. Ich glaube, dass Sebastian Kurz da völlig recht hat: Wir sollten in der Lage sein, unsere Außengrenzen lückenlos zu kontrollieren. Das schaffen die Bulgaren, die Italiener, die Griechen ohne unsere Unterstützung kaum. Bleibt eine Frage: Wie stark sind die Mitgliedstaaten bereit, sich in dieser hoheitlichen Funktion Einmischung zu gestatten? Denn dann würde ein europäischer Beamter mit den zwölf Sternen auf der Uniform in Griechenland, auf Kreta, an der Grenze Bulgarien/Türkei gemeinsam mit oder statt eines nationalen Kollegen diese Aufgabe erfüllen. Je mehr uns die Mitgliedstaaten hier Mut machen, desto eher werden wir im Stellenplan von Frontex eine deutliche Steigerung vorsehen oder Sachmittel zur Verfügung stellen, damit sie es im Auftrag aller tun.
Sie wünschen sich auch eine stetige Einnahmequelle für den EUHaushalt. Wie wollen Sie das in Zeiten von nicht unwesentlichem Euroskeptizismus den Regierungen schmackhaft machen? Wir bekommen einen Haushaltsrahmen mit einer verpflichtenden Obergrenze. Steigt eine Einnahmequelle, kann eine andere sinken. Wenn wir zum Beispiel die Einnahmen aus dem europäischen System für den Emissionshandel direkt in den Haushalt fließen ließen und diese Einnahmen stiegen, dann könnten die Beiträge der Mitgliedstaaten entsprechend sinken. Dieses Handelssystem wird jetzt reformiert, und die Preise für die Emissionszertifikate werden steigen.
Welche Art von eigener Geldquelle für den EU-Haushalt halten Sie für politisch am ehesten durchsetzbar? Ich halte dieses Emissionshandelssystem für am nächsten liegend.