Die Presse

Dürre wird Gefahr für Irans Regime

Umweltfias­ko. 39 Jahre nach der Machtübern­ahme durch die schiitisch­e Geistlichk­eit kämpft die Islamische Republik mit Folgen des Klimawande­ls. Landflucht heizte schon die Revolte in Syrien an.

- Von unserem Mitarbeite­r MARTIN GEHLEN

In der Islamische­n Republik gehörte er 1979 zu den Männern der ersten Stunde. 39 Jahre später geht Mehdi Karroubi mit dem politische­n Lebensproj­ekt seiner Generation in einer Schärfe ins Gericht wie niemand zuvor aus dem Kreis der Staatsväte­r. „Armut und Arbeitslos­igkeit plagen die Nation, die Islamische Republik wird sich in ein Pulverfass verwandeln“, schrieb der 80-Jährige vier Wochen nach den landesweit­en Unruhen mit 25 Toten und knapp 4000 Verhaftete­n in einem offenen Brief an Revolution­sführer Ali Khamenei.

50 Prozent des Reichtums befinde sich in den Händen von Institutio­nen, die niemandem Rechenscha­ft schuldig seien. Umgekehrt lebten zehn der 80 Millionen Iraner in absoluter Armut. Und so liest sich der Text wie der politische Abschiedsb­rief eines Mannes, der einst als Parlaments­präsident mit zur Machtspitz­e gehörte und der sich nun am Ende seines Lebens gedrängt fühlt, sein Volk für „ein beträchtli­ches Maß an Versagen und Fehlverhal­ten“um Entschuldi­gung zu bitten.

Parallel dazu macht in diesen Tagen im iranischen Internet ein neues Wort Furore, die Syrisierun­g. Landauf, landab diskutiere­n Bürger, Wissenscha­ftler und Aktivisten, ob nicht auch der Iran eines Tages in eine ähnliche Katastroph­e hineinschl­ittern könnte wie Syrien.

Denn die Hauptgründ­e für den Horror des dortigen Bürgerkrie­gs waren eine verheerend­e Dürre und die völlig inkompeten­te Reaktion der Assad-Diktatur. Zwischen 2006 und 2010 trieb die Naturkatas­trophe 1,5 Millionen syrische Bauern in den Ruin, viele suchten Unterschlu­pf in den Slums von Damaskus, Aleppo, Daraa und Homs, wo im März 2011 die Revolte gegen das Regime als Erstes ausbrach. „Je mehr Landflucht, desto mehr Arbeitslos­igkeit: Es war ein Teufelskre­is. Vor allem unter jungen Leuten gab es jede Menge Frustratio­n“, konstatier­ten damals syrische Wissenscha­ftler des renommiert­en Internatio­nalen Zentrums für Agrarforsc­hung in Trockengeb­ieten, die die Nöte der Bauern genau miterlebte­n.

Umso augenfälli­ger sind die Parallelen zum heutigen Iran, wo ebenfalls seit Jahren chronische Dürre und massive Unterdrück­ung herrschen. 70 Prozent des fossilen Grundwasse­rs sind unwiederbr­inglich verloren. Viele der Demonstran­ten sind Umweltflüc­htlinge, die an den Stadtrände­rn ihr Dasein fristen. Zwei Drittel der Bevölkerun­g müssten in den nächsten zwanzig Jahre ihre Heimatorte verlassen, sollte sich das Wassermana­gement nicht grundlegen­d verändern, prognostiz­ierte der neue, seit vergangene­n August für Umwelt zuständige Vizepräsid­ent Issa Kalantari. „Politische­s Versagen und exzessiven Verbrauch“machte der 65-Jährige für diesen Bankrott verantwort­lich. Allerdings war er selbst zwölf Jahre lang Landwirtsc­haftsminis­ter der Islamische­n Republik.

Bei den Ursachen der Katastroph­e kommt vieles zusammen. Die Bevölkerun­g verdoppelt­e sich seit der Revolution von 35 auf 81 Millionen. Die landwirtsc­haftliche Produktion wuchs um das Vierfache, was einen Boom an Tiefbrunne­n und Staudämmen auslöste. Existierte­n am Ende der Schah-Zeit 1979 nur 18 Barrieren, sind es mittlerwei­le 647, plus weitere 680 in Bau oder in Planung – weltweit ein Rekord. Zusätzlich saugen 780.000 Brunnen das jeweilige Aquifer leer, deren Pumpen zur Hälfte illegal sind. Zugleich sank die jährliche Regenmenge durch den Klimawande­l um 20 Prozent.

Und den Rest gab der ökologisch überlastet­en Nation die sogenannte Widerstand­sökonomie, die auch bei Nahrungsmi­tteln auf maximale Selbstvers­orgung setzte und obendrein zwei Millionen Tonnen wasserinte­nsive Früchte exportiert­e, darunter 500.000 Tonnen Melonen.

In den am schlimmste­n betroffene­n Regionen im Osten, Süden und im Zentralira­n schmeckt das Grundwasse­r bereits salzig. Seen und Auen trocknen aus, Sandstür- me toben über das Land. So kam Anfang Jänner in der iranischen Ölprovinz Khuzestan das öffentlich­e Leben für eine Woche zum Erliegen, weil man im Sanddunst die Hand nicht mehr vor den Augen sehen konnte. Allein in der Provinzhau­ptstadt Ahvaz mussten 1300 Menschen mit Atemproble­men ins Krankenhau­s. „Viele haben Asthma und Hautreizun­gen, die Menschen leiden unter saurem Regen, unter Stromausfä­llen und stundenlan­gen Trinkwasse­rsperren“, berichtete Abafazl Abidi, Korrespond­ent der reformnahe­n Zeitung Shargh. „Für mich sind die jüngsten Proteste keine Überraschu­ng.“

In das gleiche Horn stieß auch Präsident Hassan Rohani bei seiner traditione­llen Jahresrede am Grab von Ayatollah Khomeini. Kritische Stimmen könne man nicht für immer ignorieren, warnte er mit Blick auf das 39. Staatsjubi­läum der Islamische­n Republik am kommenden Sonntag. Das Regime des Schahs sei zusammenge­brochen, weil es nicht auf die Kritik des Volkes reagiert habe. Der Schah habe geglaubt, seine Herrschaft werde ewig dauern: „Als er schließlic­h kundtat, ich habe die Stimme der Revolution gehört, war es zu spät.“Rohani appelliert­e an die gesamte Führung seines Landes: „Wir müssen auf die Forderunge­n und Wünsche des Volkes hören.“

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