Adrenalinjunkies auf blankem Eis: Mit 130 km/h der Medaille entgegen
Rodeln. Wolfgang Kindl, 29, soll die Erfolgsserie der heimischen Rodler bei Olympia prolongieren. Seinen Sport empfindet er nicht als gefährlich. „Ich weiß ja, was ich tue.“
Gleich am ersten von drei Wettkampf-Wochenenden bietet sich Österreichs Mannschaft in Südkorea eine der größten Medaillenchancen dieser Winterspiele. Im Rodel-Einsitzer (Samstag 1. und 2. Lauf, Sonntag 3. und 4. Lauf, je 10.50 Uhr) gilt Wolfgang Kindl als aussichtsreicher Kandidat für Edelmetall, selbst der Griff nach Gold scheint nicht außer Reichweite. Erfolge der rot-weiß-roten Rodler haben bei Olympia eine lange Tradition, seit 1992 ist man nie leer ausgegangen. Kindl soll diese Serie nun fortsetzen.
Der Tiroler kennt die Besonderheit von Olympischen Spielen, in Pyeongchang bestreitet er seine bereits dritten. Doch seit Sotschi 2014 hat sich viel getan, Kindl ist mittlerweile fester Bestandteil der Weltspitze. Er ist bei jedem Rennen ein Sieganwärter, seine Rolle im südkoreanischen Eiskanal ist ihm vollauf bewusst: „Ich weiß, dass ich jetzt ein Medaillenkandidat bin.“
Rennrodler sind nicht nur auf den ersten Blick dem Temporausch verfallen. Sie sind Adrenalinjunkies auf Eis, diesen Eindruck gewinnt man sofort. Auf der Bahn in Alpensia werden Spitzen von bis zu 130 km/h erreicht, „das ist schon flott“, sagt Kindl. Allerdings, es geht es noch schneller. Bei den Spielen in Vancouver 2010 wurde die 150-km/h-Grenze gesprengt, eine solche Geschwindigkeit wäre selbst auf Österreichs Autobahnen strafbar, nicht aber bei den Rodlern. Die Gefahr fährt zwar immer mit und ist ein ständiger Begleiter, aber mit dem Wissen, Schlitten und Bahn unter Kontrolle zu haben, „kann es mir eigentlich nicht schnell genug gehen“, versichert Kindl schmunzelnd im Gespräch mit der „Presse“.
Wirklich gefährlich werde es nur dann, wenn man Fehler macht, von der Linie abkommt, dabei sei das Tempo eigentlich nebensächlich. Dass bei der Talfahrt auch eine Menge Adrenalin im Spiel ist, wird kein einziger Rodler im Feld bestreiten, „der Puls schlägt schon ordentlich in die Höhe“. Dabei ist es unerlässlich, im Eifer des Gefechts auch die nötige Ruhe zu bewahren. Ein altes und immer noch gültiges RodlerGesetz besagt: „Wer nicht locker ist, der kann nicht schnell rodeln. Es braucht dazu die optimale Anspannung.“
Im Optimalfall verschmelzen Athlet und Schlitten sprichwörtlich, das Arbeitsgerät gibt dabei immer direktes Feedback. „Man spürt sofort, was der Schlitten unter einem macht. Jeder kleine Rutscher, jede zu scharfe Kante kostet Zeit.“Es sei ein „Spiel auf Messers Schneide“.
Für den gemeinen Zuschauer, der den Rodlern vielleicht gar nur alle vier Jahre anlässlich der Olympischen Spiele bei ihren Hochgeschwindigkeitsmanövern zusieht, sind Fehler längst nicht so augenscheinlich wie für die Sportler. Diese entwickeln mit den Jahren ein immenses Gespür, reagieren mit dem Plus an Erfahrung hochsensibel auf kleinste Veränderungen am Material oder Eis. Und: „Am Video sehe ich verlorene Tausendstelsekunden sehr schnell.“
Als gefährlich sieht Kindl seinen Sport nicht an, es ginge schließlich immer nur darum, erlernte Fähigkeiten umzusetzen. „Ich weiß ja, was ich mache, da ist nichts Unüberlegtes dabei. Gefährlich ist es nur für jene, die es nicht ganz so unter Kontrolle haben“, erklärt der 29-Jährige. Erinnerungen an Olympia 2014 werden wach.
Im Eiskanal von Vancouver hatte der Georgier Nodar Kumaritaschwili in einer Kurve bei über 144,3 km/h die Kontrolle verloren, flog über die Bahnbegrenzung hinaus. Er erlag seinen schweren Verletzungen auf dem Weg ins Krankenhaus. Kumaritaschwili war der erste Sportler, der während eines Wettkampfs bei Winterspielen ums Leben kam. In Pyeongchang hofft man auf sichere Bewerbe.
Ob Abfahrer oder Rodler die größeren Draufgänger sind, darauf wollte sich Kindl nicht festlegen. „Bei Abfahrern wird schnell gesagt, dass sie ihr Leben riskieren, aber das tun wir im Endeffekt natürlich auch.“Am Ende des Tages sei es immer eine Frage der Gewohnheit. „Für Abfahrer ist die Streif vielleicht irgendwann auch nicht mehr gefährlich.“Das sehen die meisten Abfahrer wohl anders.