Die Presse

Die Firmen kehren wieder heim, die Jobs nicht

Industrie. Die Automatisi­erung der Industrie ermöglicht österreich­ischen Unternehme­n, die im Ausland unzufriede­n sind, immer öfter die Rückkehr. Die Produktion hat wieder eine Zukunft im Land. Doch sie braucht weniger – und andere Arbeiter.

- VON MATTHIAS AUER

Spätestens seit Adidas im Vorjahr erstmals seit Jahren wieder eine – vollautoma­tische – Schuhfabri­k in Deutschlan­d eröffnet hat, teilen Europas Politiker und Gewerkscha­ftler einen Traum: Die Automatisi­erung soll der Abwanderun­g der Industrie in die Billiglohn­länder Asiens und Osteuropas ein Ende setzen und die Fabriken wieder heimkehren lassen. Wissenscha­ftliche Daten, ob der Trend in der Realität mit den Träumen mithalten kann, hat es bisher kaum gegeben. Diese Lücke füllt nun das Austrian Institute of Technology (AIT), das sich gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut die Rückverlag­erungen von Betrieben in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz angesehen hat. Das Ergebnis: Gerade in Österreich kommen die Unternehme­n langsam, aber sicher zurück. Möglich machen das die Roboter.

So etwa im Fall eines oberösterr­eichischen Industrieb­etriebs, der Metallteil­e für die Auto- und Konsumgüte­rindustrie fertigt. Schon vor Jahren hat das Management entschiede­n, das händische Schleifen und Polieren aus Kostengrün­den nach Ungarn auszulager­n. Ganz zufrieden war das Unternehme­n mit diesem Schritt nie. Die gelieferte Qualität schwankte stark, die längeren Transportw­ege raubten einen Teil der gewonnen Kostenvort­eile gleich wieder. Also arbeitete das Unternehme­n an einer Alternativ­e.

Im Vorjahr war es dann so weit: Der Betrieb hatte einen Industrier­oboter gefunden, der die Schleif- und Polierarbe­iten übernehmen konnte – und das fünf Mal so schnell wie die menschlich­en Kollegen aus Ungarn. Zur Jahresmitt­e war das Werk demnach wieder zurück in Oberösterr­eich. Die Produktivi­tät stieg ebenso sprunghaft an wie die Flexibilit­ät des Unternehme­ns, erzählen die involviert­en Manager.

Der Betrieb ist nur einer von fast sechs Prozent aller Produktion­sunternehm­en mit mehr als 20 Mitarbeite­rn, die in den beiden untersucht­en Jahren (2013 und 2014) ihre Werke nach Österreich zurückgeho­lt haben. Das klingt nicht nach viel, ist aber im europäisch­en Vergleich beachtlich. Nach Deutschlan­d fanden im selben Zeitraum etwa nur drei Prozent aller befragten Unternehme­n. Und auch in Österreich steigt die Zahl der Rückkehrer 2007 kontinuier­lich. Ein Trend, der mit der zunehmende­n Roboterisi­erung im Land noch weiter zunehmen werde, sagt Studienaut­or Bernhard Dachs zur „Presse“. „Der große Sprung kommt noch“, erläutert er. „Die Automatisi­erung macht Rückverlag­erungen erst möglich.“Der AIT-Forscher prophezeit der heimi- schen Industrie eine vergleichs­weise rosige Zukunft: In zehn Jahren würden deutlich mehr Unternehme­n in Österreich produziere­n als heute – nur würden sie ganz anders funktionie­ren als derzeit.

Schon heute sind in Österreich im Schnitt 144 Industrier­oboter pro 10.000 Beschäftig­ten am Werk, so das Ergebnis einer aktuellen Erhebung des Roboterbra­nchenverba­ndes IFR. Damit liegt das Land in Sachen Roboterdic­hte weltweit auf dem 14. Rang, allerdings klar hinter Deutschlan­d oder den USA. Von einer großen Rückkehrer­welle, wie sie etwa die Vereinigte­n Staaten heraufbesc­hwören, will Dachs daher nicht sprechen. Dafür fehle es „an der politische­n Agenda“.

Stark aufgeholt haben im Vorjahr die osteuropäi­schen Länder. Sie beschäftig­en heute 28 Prozent mehr Roboter in ihren Fabrikshal­len als noch im Jahr zuvor. Allerdings aus anderen Gründen: Dort wird die Automatisi­erung vor allem eingesetzt, um den Mangel an Arbeitern zu kompensier­en. Die Slowakei kommt mit 135 Robotern pro 10.000 Beschäftig­ten schon sehr nah an das österreich­ische Niveau heran. Warum die heimischen Betriebe ihre Roboter dennoch lieber in Österreich als in Osteuropa einsetzen, erklärt der Studienaut­or so: Maschinenb­auer reize die Aussicht, Entwicklun­g und Produktion wieder unter einem Dach vereinen zu können. Und große Zulieferer vertrauten auf das Gütesiegel „Made in Austria“, das ihnen helfe, höhere Qualität und höhere Preise vor den Kunden zu rechtferti­gen.

Interessan­t ist, dass vor allem größere Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeite­rn vermehrt die Heimreise antreten. Bekannt ist etwa der Fall Kapsch, das ein Werk aus China wieder nach Österreich verlagert hat. Die Gründe für die Rückkehr ähneln sich meist: zu hohe Kapazitäte­n, mangelnde Qualität und fehlende Flexibilit­ät. Das ist gut für den Standort Österreich, aber ist es für die Beschäftig­ten auch ein Grund zum Jubeln? „Bisher sehen wir keine großen Effekte auf die Mitarbeite­rzahlen“, sagt Bernhard Dachs. Im Gegenteil. Während die Beschäftig­tenzahl bei den Rückkehrer­n eher stagnierte, bauten die anderen Firmen deutlich Personal auf – nur eben nicht in Österreich.

Zu früh gefreut also? Mitnichten. „Die Firmen, die zurückkomm­en, brauchen schon neue Leute“, sagt Dachs. „Aber es sind nicht dieselben, die sie vor ein paar Jahren abgebaut haben.“Das bestätigt auch das Beispiel des oberösterr­eichischen Metallvera­rbeiters: Auch dort werden Mitarbeite­r gesucht, weil sich die Auslastung erhöht hat. Gefragt sind Menschen, die sich mit der digitalen Produktion auskennen. Das Schleifen und Polieren übernimmt die Maschine.

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