Die Firmen kehren wieder heim, die Jobs nicht
Industrie. Die Automatisierung der Industrie ermöglicht österreichischen Unternehmen, die im Ausland unzufrieden sind, immer öfter die Rückkehr. Die Produktion hat wieder eine Zukunft im Land. Doch sie braucht weniger – und andere Arbeiter.
Spätestens seit Adidas im Vorjahr erstmals seit Jahren wieder eine – vollautomatische – Schuhfabrik in Deutschland eröffnet hat, teilen Europas Politiker und Gewerkschaftler einen Traum: Die Automatisierung soll der Abwanderung der Industrie in die Billiglohnländer Asiens und Osteuropas ein Ende setzen und die Fabriken wieder heimkehren lassen. Wissenschaftliche Daten, ob der Trend in der Realität mit den Träumen mithalten kann, hat es bisher kaum gegeben. Diese Lücke füllt nun das Austrian Institute of Technology (AIT), das sich gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut die Rückverlagerungen von Betrieben in Deutschland, Österreich und der Schweiz angesehen hat. Das Ergebnis: Gerade in Österreich kommen die Unternehmen langsam, aber sicher zurück. Möglich machen das die Roboter.
So etwa im Fall eines oberösterreichischen Industriebetriebs, der Metallteile für die Auto- und Konsumgüterindustrie fertigt. Schon vor Jahren hat das Management entschieden, das händische Schleifen und Polieren aus Kostengründen nach Ungarn auszulagern. Ganz zufrieden war das Unternehmen mit diesem Schritt nie. Die gelieferte Qualität schwankte stark, die längeren Transportwege raubten einen Teil der gewonnen Kostenvorteile gleich wieder. Also arbeitete das Unternehmen an einer Alternative.
Im Vorjahr war es dann so weit: Der Betrieb hatte einen Industrieroboter gefunden, der die Schleif- und Polierarbeiten übernehmen konnte – und das fünf Mal so schnell wie die menschlichen Kollegen aus Ungarn. Zur Jahresmitte war das Werk demnach wieder zurück in Oberösterreich. Die Produktivität stieg ebenso sprunghaft an wie die Flexibilität des Unternehmens, erzählen die involvierten Manager.
Der Betrieb ist nur einer von fast sechs Prozent aller Produktionsunternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern, die in den beiden untersuchten Jahren (2013 und 2014) ihre Werke nach Österreich zurückgeholt haben. Das klingt nicht nach viel, ist aber im europäischen Vergleich beachtlich. Nach Deutschland fanden im selben Zeitraum etwa nur drei Prozent aller befragten Unternehmen. Und auch in Österreich steigt die Zahl der Rückkehrer 2007 kontinuierlich. Ein Trend, der mit der zunehmenden Roboterisierung im Land noch weiter zunehmen werde, sagt Studienautor Bernhard Dachs zur „Presse“. „Der große Sprung kommt noch“, erläutert er. „Die Automatisierung macht Rückverlagerungen erst möglich.“Der AIT-Forscher prophezeit der heimi- schen Industrie eine vergleichsweise rosige Zukunft: In zehn Jahren würden deutlich mehr Unternehmen in Österreich produzieren als heute – nur würden sie ganz anders funktionieren als derzeit.
Schon heute sind in Österreich im Schnitt 144 Industrieroboter pro 10.000 Beschäftigten am Werk, so das Ergebnis einer aktuellen Erhebung des Roboterbranchenverbandes IFR. Damit liegt das Land in Sachen Roboterdichte weltweit auf dem 14. Rang, allerdings klar hinter Deutschland oder den USA. Von einer großen Rückkehrerwelle, wie sie etwa die Vereinigten Staaten heraufbeschwören, will Dachs daher nicht sprechen. Dafür fehle es „an der politischen Agenda“.
Stark aufgeholt haben im Vorjahr die osteuropäischen Länder. Sie beschäftigen heute 28 Prozent mehr Roboter in ihren Fabrikshallen als noch im Jahr zuvor. Allerdings aus anderen Gründen: Dort wird die Automatisierung vor allem eingesetzt, um den Mangel an Arbeitern zu kompensieren. Die Slowakei kommt mit 135 Robotern pro 10.000 Beschäftigten schon sehr nah an das österreichische Niveau heran. Warum die heimischen Betriebe ihre Roboter dennoch lieber in Österreich als in Osteuropa einsetzen, erklärt der Studienautor so: Maschinenbauer reize die Aussicht, Entwicklung und Produktion wieder unter einem Dach vereinen zu können. Und große Zulieferer vertrauten auf das Gütesiegel „Made in Austria“, das ihnen helfe, höhere Qualität und höhere Preise vor den Kunden zu rechtfertigen.
Interessant ist, dass vor allem größere Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeitern vermehrt die Heimreise antreten. Bekannt ist etwa der Fall Kapsch, das ein Werk aus China wieder nach Österreich verlagert hat. Die Gründe für die Rückkehr ähneln sich meist: zu hohe Kapazitäten, mangelnde Qualität und fehlende Flexibilität. Das ist gut für den Standort Österreich, aber ist es für die Beschäftigten auch ein Grund zum Jubeln? „Bisher sehen wir keine großen Effekte auf die Mitarbeiterzahlen“, sagt Bernhard Dachs. Im Gegenteil. Während die Beschäftigtenzahl bei den Rückkehrern eher stagnierte, bauten die anderen Firmen deutlich Personal auf – nur eben nicht in Österreich.
Zu früh gefreut also? Mitnichten. „Die Firmen, die zurückkommen, brauchen schon neue Leute“, sagt Dachs. „Aber es sind nicht dieselben, die sie vor ein paar Jahren abgebaut haben.“Das bestätigt auch das Beispiel des oberösterreichischen Metallverarbeiters: Auch dort werden Mitarbeiter gesucht, weil sich die Auslastung erhöht hat. Gefragt sind Menschen, die sich mit der digitalen Produktion auskennen. Das Schleifen und Polieren übernimmt die Maschine.