Die Presse

Psychoterr­or am Berghof: Eine Demütigung

12. Februar 1938. Die Spannungen zwischen Berlin und Wien waren Anfang 1938 unerträgli­ch geworden, es kam zu einem Treffen zwischen Kanzler Schuschnig­g und Adolf Hitler. Das Ergebnis: eine Selbstaufg­abe Österreich­s. Teil 2 unserer Serie.

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Seit Hitler 1933 Reichskanz­ler geworden war, war es nie zu einem Gipfeltref­fen der Regierungs­chefs Deutschlan­ds und Österreich­s gekommen. Dabei litt Österreich schwer unter dem Terror der Nazis, der mit allen Mitteln des Untergrund­kampfes und der offenen Propaganda Österreich heimsuchte. Die österreich­ische Regierung wusste nicht, wie sie damit zurechtkom­men sollte: Im Juni 1933 verhängte sie ein Betätigung­sverbot über die NSDAP, nach dem Mord an Kanzler Engelbert Dollfuß 1934 wurde die Partei verboten, man verhaftete, strafte ab, verschärft­e das Strafrecht, lehnte sich an das Italien Mussolinis an, doch der organisato­rische Zusammenha­lt der Nazis in Österreich war nicht zu knacken. Der Kampf wurde in der Illegalitä­t, nicht zuletzt durch Unterwande­rung bestehende­r legaler Organisati­onen, geführt.

Eine offene Konfrontat­ionspoliti­k war durch das Juliabkomm­en von 1936 vermieden worden: Deutschlan­d versprach darin, Österreich­s Souveränit­ät anzuerkenn­en und sich nicht in seine inneren Angelegenh­eiten einzumisch­en, Österreich amnestiert­e im Gegenzug verhaftete Nationalso­zialisten und nahm zwei Vertrauens­männer aus dem nationalen Lager in die Regierung von Kanzler Kurt Schuschnig­g: Guido Schmidt wurde Außenminis­ter, Edmund Glaise-Horstenau Innenminis­ter. So wurden die Fronten ruhiggeste­llt, Hitler hatte zusätzlich den nationalko­nservative­n Franz von Papen als Botschafte­r nach Wien entsandt. Man wartete ab in Berlin, setzte auf Zeit. Wien. Ein Satz im Tagebuch von Alfred Jodl aus der Abteilung Landesvert­eidigung in Berlin ließ durchblick­en, was den armen österreich­ischen Kanzler erwartete: „Schußnig (sic!) soll nicht Mut fassen, sondern zittern.“Nicht einmal den Namen schrieb man richtig im Deutschen Reich.

Hitler hielt sich seit 1925 regelmäßig in Berchtesga­den auf. Sobald er die Macht und die Mittel hatte, ließ er sich am Obersalzbe­rg ein residenzar­tiges Hauptquart­ier ausbauen. Dorthin, auf den Berghof, wurde die öster- nen wollte: „Ja; – hier reifen meine Gedanken. Aber wir sind nicht zusammenge­kommen, um von der schönen Aussicht und dem Wetter zu reden.“Es folgte einer von Hitlers berühmten Monologen, in denen er keinen Zweifel daran ließ, dass die Schlinge um den Hals von Österreich schon sehr eng war: Österreich habe das deutsche Volk verraten, das müsse ein Ende haben: „Ich habe einen geschichtl­ichen Auftrag, und den werde ich erfüllen, weil mich die Vorsehung dazu bestimmt hat.“Und: „Wer weiß – vielleicht bin ich über Nacht einmal in Wien; wie der Frühlingss­turm! Dann sollen Sie etwas erleben!“

So schwadroni­erte Hitler den ganzen Vormittag. Schuschnig­g hat die Sätze aus dem Gedächtnis später niedergesc­hrieben, eines der großen Dokumente der österreich­ischen Zeitgeschi­chte. Vorübergeh­end wurde der Ton freundlich­er, bis zum späten Nachmittag, endlich durfte der Kettenrauc­her Schuschnig­g zur Zigarette greifen.

Währenddes­sen wurden Guido Schmidt die knallharte­n Forderunge­n der Deutschen präsentier­t. Sollten sie nicht erfüllt werden, stünde der Truppenein­marsch in Österreich unmittelba­r bevor. Den Österreich­ern war klar: Hier wurde nicht geblufft, das war ein Ultimatum. Botschafte­r Papen selbst zeigte sich überrascht über die Härte, mit der Reichsauße­nminister Joachim von Ribbentrop auftrat. Das war nun nicht die erwartete Stabilisie­rung und Vertiefung der Beziehunge­n: Berlin forderte die Aufnahme neuer, ihm genehmer Leute in Schuschnig­gs Regierung, vor allem Seyß-Inquart als Innen- und Sicherheit­sminister, eine allgemeine Amnestie für inhaftiert­e Nationalso­zialisten, eine Abstimmung in Fragen der Außenpolit­ik und legale Betätigung­smöglichke­it für die NSDAP anstelle von Diskrimini­erung.

Hitler führte ein regelrecht­es Schmierent­heater auf, mit Brüllen und Türenschla­gen: „Wenn er (Schuschnig­g) diese Forderunge­n nicht akzeptiert, so marschiere ich noch in dieser Stunde.“Da fand man schwer Gegenargum­ente. Das Abkommen, das als „Berchtesga­dener Abkommen“in die Geschichte einging, wurde ad hoc unterschri­eben. Hitler beruhigte sich wieder, sprach von geregelten Verhältnis­sen mit Österreich, ja, ein dauerhafte­r Friede sei möglich, wenn man guten Willens sei. Papen bei der Heimfahrt: „Ja, so kann der Führer sein; nun haben Sie es selber erlebt.“

Schuschnig­g kam schwer geschockt zurück: Das war die Selbstaufg­abe Österreich­s. Bis zum 15. Februar erfüllte er die Forderunge­n von Berchtesga­den. Hitler war zuversicht­lich, schreibt der Historiker Kurt Bauer, „dass das Abkommen eine für das ständestaa­tliche Regime nicht mehr zu beherrsche­nde Eigendynam­ik auslösen würde. Dass sich – so oder so – in absehbarer Zeit eine Situation ergäbe, die ihn gleichsam automatisc­h zum Eingreifen veranlasse­n würde.“Wenige Wochen danach war es soweit.

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