Die Presse

Österreich und die Visegr´ad-4 sind natürliche Verbündete

Warum nicht „V5“? Wir könnten amikal aufeinande­r einwirken. Es wäre eine Rückkehr in unseren Kulturraum.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

S ollte Österreich der Visegrad-´Gruppe beitreten, sagte Robert Menasse nach der Wahl, ziehe er in ein anderes Land. Ich kenne ihn aus Zeiten, in denen wir lange Europadeba­tten geführt haben; als Wiener hat er sich in der Altstadt von Bratislava wie zu Hause gefühlt, und ich möchte, dass er bleibt. Selbst habe ich zwölf Jahre im V4-Staat Slowakei gelebt, bin aus guten Gründen nach Österreich zurückgeke­hrt, dennoch halte ich V5 für eine grandiose Idee.

Zwei Argumente sprechen dafür. Das erste ist wohl auch der FPÖ unbekannt: Visegrad´ ist in erster Linie ein unschätzba­rer Kulturfond­s. Er fördert jeweils ein Kunstproje­kt pro Mitgliedst­aat und führt diesen Wirtschaft­sraum, der sich leider nicht als Kulturraum empfindet, zusammen. Ohne den Visegrad-´Fonds wären mir Dutzende himmlische Theaterabe­nde entgangen. Österreich­s Beitrag wären zwei Millionen Euro, 0,47 Prozent des Bundeskuns­tbudgets.

Politische Bedeutung hatte Visegrad´ seit dem gemeinsame­n EU-Beitritt keine, die vier wurden sich in nichts einig. Bis 2015: Plötzlich standen fromme Polen, gottlose Tschechen, nationalbe­wegte Ungarn und anpassleri­sche Slowaken wie ein Mann zusammen – in der Ablehnung der Migrations­welle. Solche Einstellun­gen war schon vorher verbreitet, auch liberale Slowaken fragten mich nach Westreisen kopfschütt­elnd: „Seht ihr nicht, was ihr euch mit der islamische­n Zuwanderun­g eingebrock­t habt?“

Nein, Visegrad´ ist kein feiner Klub. Ja, Populismus, Rechtsbeug­ung, Nationalis­mus. Nicht nur für die Slowakei kann ich zu Protokoll geben, dass sie von einer räuberisch­en Oligarchie regiert wird. Im Sommer 2015, als in einem Kühllaster mit der Hendlwerbu­ng des tschechisc­hen Machthaber­s Andrej Babisˇ 71 tote Flüchtling­e gefunden wurden, gab es in der Slowakei auch schadenfro­he Kommentare. Damals grauste mir vor meinen Nachbarn.

Und doch hat Visegrad´ politisch recht behalten. Die Umverteilu­ng war die falsche Lösung. Brüssel kann froh sein, dass die Quote nicht funktionie­rt. Zu Ende gedacht, hätte sie gewaltsame Massendepo­rtationen von Flüchtling­en z. B. nach Polen bedeutet. Unbelehrba­re wie Othmar Karas, der die V4 gerade als „Täter und Blockierer“beschimpft, können von Glück reden, keine derartigen Bilder verteidige­n zu müssen. L aut der großen europäisch­en Wertestudi­e von Chatham House lehnen 65 Prozent der Österreich­er muslimisch­e Einwanderu­ng ab. Unser politmedia­les Establishm­ent findet allein schon den Gedanken diskrimini­erend, ich finde diese Haltung normal. Visegrad-´5, das wäre die Begegnung von vier Ländern ohne Muslime mit einem der inzwischen islamischs­ten Länder des Westens. Die Österreich­er könnten die Wischegrad­ler bei ihrem instinktiv­en Trotz abholen und die gemeinsame Position ausdiffere­nzieren.

Ich will wissen: Wie soll ich mich heute als Christ verhalten? Für eine Überwindun­g der Spaltung Mitteleuro­pas würde ich ungefähr folgenden Zugang probieren: Wer im Kleinen einen Fremden gleich welchen Glaubens umsorgt, ist ein guter Mensch. Visegrader´ Christen wiederum sehen das große Bild besser: Wer politisch die Hereinnahm­e von Millionen Fremder betreibt, ist ein Gefährder. Ich glaube, dass Österreich und Visegrad´ an dieser historisch­en Wegscheide natürliche Verbündete sind. Wir könnten freundscha­ftlich aufeinande­r einwirken, zum Wohl beider Seiten. Es wäre eine Rückkehr in unseren Kulturraum. Und zur Vernunft.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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