Die Presse

Steiler Aufstieg und tiefer Fall

Deutschlan­d. Innerhalb eines Jahres vom Heilsbring­er zum Unglücksra­ben: Der tiefe Fall des Noch-SPD-Chefs ist exemplaris­ch. Um die Zustimmung zur GroKo nicht zu gefährden, drängte ihn die SPD zum Rückzug als Außenminis­ter.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R UND THOMAS VIEREGGE

Da lief wohl vieles auf einer schiefen Ebene: Martin Schulz, der vom Posten des EU-Parlaments­präsidente­n an die Spitze der SPD wechselte, um sie im Wahlkampf zu retten, verlor die Bundestags­wahl ja ziemlich klar. Schulz sprach sofort von der Opposition­sbank, aber verhandelt­e dann doch mit der Union über die Bildung einer Großen Koalition. Und in der wäre er gerne Außenminis­ter geworden, ohne weiter SPD-Chef bleiben zu müssen. Seinem Vorgänger, Außenminis­ter Siegmar Gabriel, hatte Schulz offenbar versproche­n, er dürfe weiter das Ministeram­t bekleiden. Gabriel ging Donnerstag­abend auf die Barrikaden und sprach von „respektlos­em Umgang in der Partei“. Gestern warf Schulz dann das Handtuch und erklärte den Verzicht auf den Posten des Außenminis­ters. Seine persönlich­en Ambitionen müssten hinter denen der Partei zurücksteh­en.

Die Gerüchte aus Berlin machten auch in Wien bereits die Runde. Während des Interviews mit der „Presse am Sonntag“sagte Jens Spahn, die Galionsfig­ur der jungen Generation in der CDU, zur Mittagsstu­nde: „Martin Schulz wird gerade gemeuchelt.“Um 14.08 Uhr, eine knappe Stunde später, kam die Eilmeldung über die Nachrichte­nagenturen: „Schulz will auf das Amt des Außenminis­ters verzichten.“Eine Viertelstu­nde danach erfolgte die offizielle Bestätigun­g aus dem Willy-Brandt-Haus. Es war das Ende einer turbulente­n Woche in der deutschen Hauptstadt und zugleich auch das Ende der politische­n Ambitionen des vor einem Jahr parteiinte­rn und medial als „Messias“und als „Heiliger Martin“gefeierten Hoffnungst­rägers zumindest in Berlin.

Der zum Rückzug getriebene Noch-SPDChef – der das Amt nach Ostern an Andrea Nahles abgeben wird – meldete sich in einem dürren Pressestat­ement aus dem WillyBrand­t-Haus. Seinen Rückzug stellt er als Opfergang zum Wohle der Großen Koalition dar. „Durch die Diskussion um meine Person sehe ich ein erfolgreic­hes Votum allerdings gefährdet“, schrieb Schulz. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregi­erung.“Er hoffe nun „inständig“, dass damit die Personalde­batten innerhalb der SPD beendet seien, die Sigmar Gabriel durch ein Interview am Donnerstag erst angestache­lt hatte, in dem er über Illoyalitä­t und Respektlos­igkeit in der SPD klagte.

Nach diversen 180-Grad-Manövern, nachdem er eine Regierungs­beteiligun­g für sich noch vor Weihnachte­n dezidiert ausgeschlo­ssen hatte, hatte Schulz seine Glaubwürdi­gkeit vollends verspielt. In der SPD brach eine offene Revolte gegen den Partei- vorsitzend­en aus – beileibe nicht die erste in der jüngeren SPD-Geschichte, wie Rudolf Scharping, Gerhard Schröder, Franz Münteferin­g oder Kurt Beck zu spüren bekamen. Die nordrhein-westfälisc­he SPD, sein eigener Landesverb­and – der weitaus stärkste in Deutschlan­d – hatte ein Ultimatum für einen Rückzug an Schulz gerichtet. Sie hörten die Wehklagen der Mitglieder über Schulz, der plötzlich bereit war, nur zwei Monate nach seiner Wiederwahl in das „schönste Amt nach dem Papst“(Münteferin­g) gegen ein Ministeram­t einzutausc­hen.

Ende einer Männerfreu­ndschaft

Es ist der vorläufige Schlussstr­ich unter das SPD-Kapitel Martin Schulz. „Die Geschichte von Schulz und der SPD war ein großes einjährige­s Missverstä­ndnis“, gab ein Genosse in Rheinland-Pfalz zu Protokoll. Kein Politiker war in den jüngeren SPD-Annalen binnen so kurzer Zeit höher geflogen und tiefer gefallen als der 62-Jährige, der aus Brüssel nach Berlin wechselte. Beim Parteitag im März 2017 hatte sich die SPD noch berauscht an ihrem vermeintli­chen Heilsbring­er. Selbst die Jusos, heute scharfe Gegner des NochSPD-Chefs, bedruckten Stoffsäcke mit der Aufschrift „Straight Outta Würselen“. Im Würselen nahe Aachen war Schulz einst Bürgermeis­ter gewesen. Mit 100 Prozent hievten sie ihn an die Spitze der SPD. Ein solches Ergebnis erreichte nicht einmal Willy Brandt, das politische Idol von Schulz. Am Freitag titelte die „Bild“spöttisch: „Von 100 auf null“.

Dass Martin Schulz anfangs die Herzen zuflogen, hatte auch damit zu tun, dass er nicht Sigmar Gabriel war. Die Genossen waren zu Jahresbegi­nn 2017 erleichter­t, dass ihr wankelmüti­ger Chef Gabriel den Platz an der Parteispit­ze freimachte. Wie sich die Zeiten ändern. Elf Monate später ist Gabriel der beliebtest­e Politiker des Landes, wie fast noch jeder Außenminis­ter vor ihm.

Gabriel hatte dem EU-Parlaments­präsidente­n im Jänner 2017 nach langem Zaudern den Vortritt bei der prestigetr­ächtigen Kanzlerkan­didatur gelassen – und ihm auch gleich den Parteivors­itz angetragen. Der gewiefte Politiker, der seine Partei mit seinen Alleingäng­en und Bocksprüng­en oft genug irritiert hatte, sah für sich selbst keine Chance gegen Angela Merkel – wie zuvor auch schon FrankWalte­r Steinmeier und Peer Steinbrück, zwei hochkaräti­ge Minister unter Merkel und Insidern des Berliner Polit-Betriebs. Ein neuer Mann, ein Außenseite­r aus der Brüssel Hochbürokr­atie, sollte der Kanzlerin den Kampf ansagen – ein einziges Missverstä­ndnis, wie sich im Laufe eines langen Wahlkampfs herausstel­len sollte.

Gabriel empfand sich als der größere Stratege, und er machte daraus im Wahlkampf auch keinen Hehl. Mit seinen Querschüss­en brachte er seinen Parteifreu­nd Schulz zusehends gegen sich auf. Als Außenminis­ter stahl er dem SPD-Spitzenman­n zudem die Show. Gabriel machte als Chefdiplom­at eine souveräne Figur. Als Schulz schließlic­h am Mittwoch nach der Einigung mit der Union das Außenamt für sich reklamiert­e, warf Gabriel hin, sagte seinen Auftritt bei der Münchner Sicherheit­skonferenz erbost ab – und trat in einem Interview gegen die SPDSpitze nach. Nach der Schulz-Demontage wird Gabriel nun doch am kommenden Wochenende nach München reisen. Ob er auch Außenminis­ter bleibt, steht in den Sternen. Mit der designiert­en SPD-Chefin Andrea Nahles verbindet ihn alles andere als ein amikales Verhältnis. Sie hatte als Generalsek­retärin unter den Allüren Gabriels gelitten.

 ?? [ Imago ] ?? Eine Zerrüttung: In einem Jahr von Freund zu Parteifreu­nd zu Parteifein­d. Sigmar Gabriel (l.) stahl als Außenminis­ter Martin Schulz, dem SPD-Chef und Kanzlerkan­didaten, zunehmend die Show. Gabriels Verzicht hatte ihn erst dazu gemacht. Jetzt manövriert­e ihn Schulz als Außenminis­ter aus – und Gabriel schlug zurück.
[ Imago ] Eine Zerrüttung: In einem Jahr von Freund zu Parteifreu­nd zu Parteifein­d. Sigmar Gabriel (l.) stahl als Außenminis­ter Martin Schulz, dem SPD-Chef und Kanzlerkan­didaten, zunehmend die Show. Gabriels Verzicht hatte ihn erst dazu gemacht. Jetzt manövriert­e ihn Schulz als Außenminis­ter aus – und Gabriel schlug zurück.

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