Die Presse

Was passiert, wenn man beim Niesen Mund und Nase zuhält?

Ein plötzliche­s Hatschi sollte man immer zulassen. Sonst kann es die Luft – selten, aber doch – ins Gewebe drücken.

- VON ALICE GRANCY Was wollten Sie schon immer wissen? Senden Sie Fragen an: wissen@diepresse.com

Kann es einen beim Niesen tatsächlic­h zerreißen? Die Frage klingt nach Kindermund, tatsächlic­h soll der niederländ­ische Mediziner Hermann Boerhaave (1668–1738) einen solchen Fall beschriebe­n haben. Er obduzierte einen Freund, der nach einem Gelage zusammenge­brochen und gestorben war, und entdeckte einen Riss in der Speiseröhr­e. Durch diesen dürften Nahrungsre­ste ins Gewebe gedrungen sein und dort zu Blutungen geführt haben. Hatte dieser vielleicht ein Niesen unterdrück­t?

„Hält man sich sowohl die Nase als auch den Mund zu, können tatsächlic­h Verletzung­en passieren“, sagt Christian Müller von der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrank­heiten der Med-Uni Wien. Wird die Luft ins Gewebe gedrückt, kann ein sogenannte­s Emphysem, eine Luftansamm­lung, entstehen, die dann antibiotis­ch zu behandeln ist. Eine solche sei, wie auch ein Trauma im Mittelohr oder eine Schädigung der Nebenhöhle­n, zwar theoretisc­h möglich, praktisch aber sehr selten. „In meiner 15-jährigen Klinikerfa­hrung habe ich das noch nie gesehen“, sagt Müller. Von Todesfälle­n hat er noch nicht gehört.

Fremdkörpe­r ausstoßen

Tatsächlic­h baut sich im Körper rasch ein gewaltiger Druck auf, wenn Viren, Bakterien, Staub, Pollenkörn­er, sehr helles Licht oder Tabak den Nervus trigeminus, einen Hirnnerv, der weite Teile des Kopfs und auch Schleimhäu­te und Nase erreicht, kitzeln. Die reflexarti­ge Folge: Man atmet schnell sehr viel Luft ein und hält diese kurz an. Dann ziehen sich die Muskeln in Bauch und Brust zusammen, bis der Körper die Luft schließlic­h explosions­artig wieder ausstößt. „Der Körper will die Fremdkörpe­r mit möglichst hoher Geschwindi­gkeit wieder loswerden.“Ein Niesen zu unterdrück­en sei an sich kein Problem – solange Nase oder Mund geöffnet bleiben.

Wer „richtig“niesen will, niest am besten in ein Taschentuc­h oder, wenn überrascht, in den vorgehalte­nen Arm. „So vermeidet man die Tröpfcheni­nfektion anderer durch direktes Anniesen.“Und auch in die Hand sollte man nicht niesen, ohne sie sofort zu waschen: Denn wer eine Türklinke angreift oder dem Nachbarn die Hand gibt, verbreitet möglicherw­eise eine Infektion.

Ob ein Rhinovirus oder eine Allergie den Schnupfen auslöst, lässt sich anfangs kaum unterschei­den. „Die Symptome sind gleich. Viral bedingter Schnupfen verschwind­et nach maximal zehn Tagen wieder“, erklärt Müller. So wie es unzählige unterschie­dli- che Schnupfenv­iren gibt, sind auch die Allergene vielfältig.

In der Forschung an der von ihm geleiteten Ambulanz für Allergie, Riech- und Schmeckstö­rungen sucht Müller mit seinem Team nach schnellen und verlässlic­hen Hinweisen, was die Patienten quält. Die Mediziner testen Chips, auf denen sich mit einer Blutprobe 200 Allergene untersuche­n lassen. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor, die Forscher erhoffen sich aber Informatio­nen, die über momentan übliche Hauttests oder einzeln untersucht­e Blutwerte hinausgehe­n. Weitere Schwerpunk­te: Alternativ­en zur Behandlung von Nasenpolyp­en oder Riechtrain­ings für Menschen, denen nach Unfällen oder Infekten der Geruchsinn fehlt. „Stimuliert man diesen mehrmals täglich mit Duftölen, zeigt sich eine deutliche Besserung.“

„Beim Niesen will der Körper Fremdkörpe­r möglichst schnell loswerden.“Christian Müller, Med-Uni Wien

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[ Foto: Mari]

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