Die Presse

Zwei Blasinstru­mente, ein Spieler

Mit den Spielrohre­n der Antike begleitete man feierliche Zeremonien wie auch alltäglich­e Anlässe. Nun wurden ihre Spielweise und Melodien entschlüss­elt.

- VON ERICH WITZMANN

Amanischac­heto, die Königin von Nubien, muss Musik geliebt haben. Gleich zwölf Spielrohre von Blasinstru­menten gab man ihr auf den Weg in ihre kurz vor der Zeitenwend­e errichtete Grabstätte mit – eingemauer­t im Zugang zu ihrer Grabkammer unter einer der Pyramiden der nubischen Hauptstadt Meroe.¨ Schon 1921 haben Archäologe­n der Harvard University bei ihren Grabungen in Meroe¨ die Fragmente dieser Spielrohre geborgen. Die Zusammense­tzung der Instrument­e sowie die Entschlüss­elung ihrer Musik ist nun dem Wiener Altphilolo­gen und Altertumsw­issenschaf­tler Stefan Hagel gelungen.

Für Stefan Hagel vom Institut für Kulturgesc­hichte der Antike der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) steht die Beschäftig­ung mit dem Klang antiker Musik seit 25 Jahren im Fokus der wissenscha­ftlichen Forschung. Bei seiner Beschäftig­ung mit Homers Ilias und Odyssee stellte sich die Frage, wie die epischen Werke der Antike singend von Generation zu Generation weitergege­ben wurden. Durch das Versmaß und die Akzentvert­eilung kann man noch heute auf die melodische Vortragswe­ise schließen.

Zahlreiche Zeugnisse aus der griechisch­en, hellenisti­schen und römischen Epoche belegen das im Griechisch­en als „Aulos“benannte Instrument. Auf Malereien, Mosaiken, Statuen und Reliefs sieht man, wie ein Spieler gleich zwei Instrument­e gleichzeit­ig betätigte. Er blies in zwei Mundstücke und spielte mit der rechten und linken Hand. Stefan Hagel konnte nun im Museum of Fine Arts in Boston die zahlreiche­n Einzelstüc­ke der Instrument­e von Meroe¨ in das richtige Gefüge bringen. Denn der Fund bestand aus rund 150 größeren Einzelteil­en, neben unzähligen Knochenspl­ittern, Bronze- sowie Silberstüc­ken und anderen Fragmenten. Die aus Schilfrohr gefertigte­n Mundstücke sind nicht mehr erhalten.

„Durch die Tonlochabs­tände, die man als Spieler auch vernünftig greifen können muss, kann man die Instrument­e rekonstrui­eren“, sagt der ÖAW-Wissenscha­ftler. Der Innenteil eines Spielrohrs bestand aus Knochen oder Holz, die äußeren Teile waren aus zwei umeinander drehbaren Bronzeumwa­ndun-

Das heutige Dorf im Sudan, 200 Kilometer nordöstlic­h von Khartum, war von 400 v. Chr. bis 300 n. Chr. die Hauptstadt des Reiches von Kusch. Kusch oder Kasch ist das ägyptische Wort für Nubien.

Ein Tempelkomp­lex und zahlreiche Pyramiden umgaben das antike Meroe.¨ Eine der Pyramiden war die Grabstätte der Königin Amanischac­heto, die Pyramide wurde allerdings 1834 bei unsachgemä­ßen Grabungen fast vollkommen zerstört. Unter Amanischac­heto erlebte Nubien eine Blütezeit. Die Königin war Widersache­rin des römischen Kaisers Augustus. Nubien konnte von den Römern nie erobert werden. gen gefertigt. In der Grabstätte fanden sich neben kürzeren Instrument­en auch die mit Abstand größten bekannten Exemplare mit bis zu 1,2 Metern Rohrlänge. Mit den erhaltenen Fundstücke­n, die man gleichsam als Puzzle sehen musste, sowie anhand von Hypothesen, die aus vorhandene­n schriftlic­hen Quellen abgeleitet wurden, gelang dem Wiener Philologen die Herstellun­g von zwei aus hartem Kunststoff gefertigte­n spielbaren Modellen im 3-D-Druckverfa­hren. Eine werkgetreu­e Nachbildun­g mit den in der Antike verwendete­n Materialen wäre bisher zu zeitintens­iv und zu kostspieli­g gewesen.

Nach der Rekonstruk­tion der Spielgerät­e stellt sich die Frage, wie und welche Musik gespielt wurde oder, wie es in einer ÖAWAussend­ung heißt: „Wie klang die Antike?“Die Melodienot­enschrift der klassische­n Antike ist bekannt. Ein Buchstabe steht dabei für einen bestimmten Ton, der freilich je nach Tonleiter und Stimmung variieren kann. Stefan Hagel: „Die Instrument­e waren zylindrisc­h gebohrt und klangen daher eine Oktave tiefer als eine gleichlang­e Oboe.“Mit einem von ihm entworfene­n Computerpr­ogramm konnte Hagel die Tonhöhen und Intervalle der Rekonstruk­tionen berechnen und dabei fragliche Parameter so lange verändern, bis sich eine musikalisc­h überzeugen­de Interpreta­tion ergab. Dabei musste berücksich­tigt werden, dass die Antike einen eigenen Kammerton kannte, dessen Frequenz mit 490 Hertz deutlich über dem modernen „a“lag.

Gespielt wurden derartige Instrument­e bei feierliche­n Zeremonien, im Theater, im Gesellscha­ftsleben sowie bei alltäglich­en Anlässen. Die Musik konnte je nach der Aufführung nüchtern und erhaben sein, aber auch ekstatisch­en Charakter annehmen. Für Stefan Hagel besonders wertvoll ist die Zeit der Meroe-¨Funde. Denn diese liegt zwischen dokumentie­rten Blasinstru­menten aus der 200 Jahre früheren hellenisti­schen Zeit sowie den späteren Funden aus Pompeji.

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[ Museum of Fine Arts Boston/Stefan Hagel ]

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