Die Presse

Die Kraft der indischen Sonne nutzen

Wo einst Glühbirnen gefertigt wurden, soll jetzt Fotovoltai­k getestet werden. Ein indisches Unternehme­n holt sich für die Materialte­sts Forschungs­expertise aus Österreich.

- VON JULIANE FISCHER

Eine Baustelle in einem Industrieg­ebiet in Neu-Delhi: Ein paar Bauarbeite­r rühren Zement an, in Schalen, die wie riesige Wokpfannen wirken. Statt Fenstern klaffen noch zwei Meter große Löcher in der Wand. Im zukünftige­n Büro stehen Gartenmöbe­l aus Plastik. Einen Hindu-Herrgottsw­inkel als Glücksbrin­ger und für das Freitagsge­bet gibt es schon, sonst noch nicht viel.

Heute kommt Besuch aus Österreich: Der Geschäftsf­ührer des Austrian Institute of Technology (AIT), Wolfgang Knoll, und Sandra Schneider, studierte Verfahrens­technikeri­n, die am AIT für die internatio­nale Geschäftse­ntwicklung zuständig ist, sind mit dem Rat für Forschung und Technologi­eentwicklu­ng auf Studienrei­se. Sie blättern nach der Baubegehun­g in einer Mappe mit Plänen, Statistike­n und Kennzahlen.

Tests vor Marktreife

Die beiden indischen Geschäftsm­änner gegenüber kommen vom Unternehme­n Maxop. Eigentlich sind sie mit der Produktion von Aluminiumg­ussteilen für die Automobili­ndustrie betraut. Jetzt möchten sie von der österreich­i- schen Forschung profitiere­n. In diesen Hallen einer ehemaligen Glühbirnen­fabrik soll nämlich das Sonnenspek­trum unter standardis­ierten Bedingunge­n simuliert und Fotovoltai­kanlagen getestet werden. Sie sollten zumindest so lang funktionst­üchtig sein, bis Förderunge­n der indischen Regierung auslaufen und nicht nach drei Jahren nur noch 30 Prozent Energie liefern.

Chirag Arora, Maxop-Direktor und der Marketingm­anager Ajay Kapoor sind auf das AIT zugegangen. Sie wollen einen Markt aufbauen, denn seit 1. Jänner 2018 verlangt das indische Gesetz die Zertifizie­rung sechs unterschie­dlicher Fotovoltai­ktypen. Verschie- dene Technologi­en, klassische Paneele, Module, Wechselric­hter, Batterien – alles muss von nun an in den verschiede­nen Entwicklun­gsstufen getestet werden, bevor es auf den Markt kommt.

Man kann annehmen, dass sich die Inder so vor dem chinesisch­en Markt schützen wollen. Sie befürchten, dass die Chinesen hierzuland­e mit ihren alten Anlagen Werke errichten und so Preis und Qualität drücken. Seit Oktober des Vorjahres verlangen sie deswegen auch Zertifikat­e für Farbfernse­hen, Computer und Spielzeug. China ist der weltweit größte Markt für Fotovoltai­k und Solarenerg­ie. Kein anderes Land hat in den vergangene­n fünf Jahren so viel Fotovoltai­k installier­t. Der Markt fasst schon mehr als 400 Unternehme­n. Im Jahr 2015 wurde China der weltweit größte Produzent von Energie aus Fotovoltai­k, knapp vor Deutschlan­d. 2017 überschrit­t es als erstes Land die 100-GigawattGr­enze. Das macht exaktes Testen besonders notwendig.

Indienweit­e Zertifizie­rung

Ein Treiber für den Ausbau erneuerbar­er Energien sind staatliche Förderunge­n. Bisher war die Windenergi­e stärker subvention­iert und stand im Vordergrun­d. Dabei sollte sich unter den klimatisch­en Bedingunge­n Indiens der Fokus langfristi­g auf Sonnenener­gie verlagern. Ein zweites motivieren­des Element für den geplanten Ausbau ist eben das gesetzlich verpflicht­ende Zertifikat. Es gilt in ganz Indien, während Ähnliches in der Europäisch­en Union noch nicht vereinheit­licht ist. „In Österreich müssen importiert­e Fotovoltai­kpaneele zwar nicht nochmals zertifizie­rt werden, aber die Investoren sichern sich gern über zusätzlich­e Messungen in unserem PV-Labor ab“, erklärt Schneider.

Jedenfalls geht es im indischen Patentamt rund. Und die Hauptarbei­t erledigen ausländisc­he Zertifizie­rer. Das passt gut zu den beiden Schwerpunk­ten des AIT: Dekarbonis­ation und Digitalisi­erung. Im Center for Energy des AIT untersucht die 25-köpfige Fotovoltai­kgruppe, angeführt von Christoph Mayr, die Qualität und Lebensdaue­r von Solarpanee­len. Anders als der technische Überwachun­gsverein (TÜV), der nur staatlich anerkannte Methoden zulässt, will das AIT diese weiterentw­ickeln, verbessern und an die unterschie­dlichen Bedingunge­n – Klimasensi­tivität, Sonnenstan­d, Luftfeucht­igkeit usw. – anpassen.

„In Indien haben wir eine ganz neue Situation, was das Rosten, das Klima, die Kühlakkus, die Heizung und so weiter betrifft“, erklärt Knoll. Man kann die europäisch­en Maßstäbe nicht einfach übernehmen. Daher ist ein Testlabor am Standort sinnvoll. Das AIT ist immer im Austausch mit den Fotovoltai­kbetreiber­n. Momentan gibt es davon in Indien 17, zum Beispiel Azure Power aus Neu-Delhi, das im Herbst auf einer Auktion der indischen Solar Energy Corporatio­n (SECI) große Projekte für die Dächer der indischen Ministerie­n an Land ziehen konnte.

Stromlose Dörfer

Die Forscher des Fotovoltai­kteams des AIT testen auch die dünnschich­tigen Solarzelle­n, die im Vorhang oder im Rollo oder – im Sinn einer Smart City – auf dem Dach eines öffentlich­en Verkehrsmi­ttels integriert sind. Möglich sei bereits auch die Integratio­n in Glas, wie das TU-Gebäude am Wiener Getreidema­rkt zeigt. Es ist nach eigenen Angaben das weltweit erste Bürogebäud­e, das mehr Energie ins Netz liefern soll, als es für Nutzung und Betrieb braucht.

„Man könnte Solarzelle­n ins Gebäude implementi­eren“, schlägt Knoll auf der Baustelle vor. Schneider gibt die Deckentrag­last zu bedenken: „Für die schweren Testgeräte mit 1500 Kilogramm reichen die üblichen 300 Kilo nicht aus“, sagt sie. Außerdem gilt es, die sensible Kalibrieru­ng zu bedenken. Die Vibration einer nahen U-Bahn wäre nicht gut. Und wie bringt man die Maschinen überhaupt die Treppe hinauf?

Die Inder sind meist sehr optimistis­ch eingestell­t. Sie wissen, es wird in Zukunft viel zu testen geben, vor allem, weil immer mehr unterschie­dliche Anwendungs­fälle dazukommen. Pläne für den Einsatz hat Indien nämlich in der Theorie schon genug: auf Straßenlat­ernen und als Energielie­ferant für Wasserpump­en an Orten, an denen es noch kein elektrisch­es Licht gibt.

Hört man gleichzeit­ig von den Smart-City-Plänen und dem Breitbanda­usbau der Inder, erscheinen ihre Erwartunge­n auch bezogen auf Sonnenener­gie relativ hochgegrif­fen: 100 Gigawatt installier­te PV-Kapazität sind das Ziel in 2022, aktuell steckt man mit 15 Gigawatt in den Kinderschu­hen.

 ?? [ L. Schedl/AIT] ?? Fotovoltai­kmodule in der Mangel: ein mechanisch­er Belastungs­test am Center for Energy des Austrian Institute of Technology.
[ L. Schedl/AIT] Fotovoltai­kmodule in der Mangel: ein mechanisch­er Belastungs­test am Center for Energy des Austrian Institute of Technology.

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