Um Knopf und Kragen
Humor ist, wenn man trotzdem lacht“– dieser Aphorismus des Deutschen Otto Julius Bierbaum, den man auch unter den Pseudonymen Martin Möbius und Simplicissimus kennt, meint das: Man lacht über Dinge, die eigentlich gar nicht lustig sind, weil man eben mit Humor gerade schwierige Situationen leichter bewältigen kann. Man kann es auch wie Joachim Ringelnatz sehen: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.“Ein deutscher Landsmann und Berufskollege von Ringelnatz, Werner Finck, formulierte es so: „An dem Punkt, wo der Spaß aufhört, beginnt der Humor.“
Was macht ganz generell den österreichischen Humor aus, und wodurch unterscheidet er sich etwa vom bundesdeutschen? „Österreichischer Humor“, so diagnostizierte einer, der es wissen musste, der Komiker Fritz Muliar, „ist so wie die österreichische Nation ein Produkt jahrhundertelanger Duldsamkeit, jakobinischen Kämpfertums und bekämpften Jakobinismus, katholischer Weihrauchschwadendiplomatie und böhmisch-hussitischer Schweigementalität.“Österreichischer Humor sei tolerierte Intoleranz und weite geistige Enge, Provinz und Großstadt, Duckmäusertum und Größenwahn, italienische Leichtigkeit, slawische Seele, verblödelte Wahrheit und lachende jüdische Trauer, meinte Muliar: „Vor allem aber ist unser Humor Erinnerung, Verklärung und Bekenntnis. Zur weiten und nahen Vergangenheit, zu Schmach und Lumperei, zu Humanität und zu dem Land, dem er entstammt: dem Vielvölkerstaat der elf Sprachen unter einer Flagge und dem Kleinstaat, der – bei allem Streben nach Modernität – Siegelbewahrer der Vergangenheit ist. In unserer Republik, in der Deutsch, Kroatisch, Ungarisch, Slowenisch gesprochen und gedacht wird, ist bei aller nationalistischen Verblödung doch ein gewisser Hang zur Buntheit latent.“
Die ambivalente Beziehung des Österreichers zu seinem Land und vor allem des Wieners zu seiner Heimatstadt schwankt zwischen Hass und Liebe. Karl Kraus brachte es auf den Punkt: „Ich, der Heimat treuer Hasser, will aus dieser Gegend weg – blau war nie das Donauwasser, doch die Spree hat noch mehr Dreck!“Und Sigmund Freud ließ sich zu folgender Bemerkung hinreißen: „Österreich, das ist ein Land, über das man sich zu Tode ärgert und in dem man trotzdem sterben möchte.“Oder Helmut Qualtinger, der sanftmütig-scharfzüngige Ur-Wiener: „Das Problem für jeden Wiener: Man kann es in Wien nicht mehr aushalten, aber woanders auch nicht.“Und noch ein wenig schärfer: „In Wien musst erst sterben, damit sie dich leben lassen, aber dann lebst lang.“
„Wie schön wäre Wien ohne die Wiener“, formulierte Georg Kreisler, und Fritz Kortner sprach: „Anderswo machen die Leute aus ihrem Herzen eine Mördergrube, in Wien machen sie aus ihrer Mördergrube ein Herz.“Auch Alfred Polgar äußerte sich zu diesem Thema: „Wien bleibt Wien – und das ist wohl das Schlimmste, was man über diese Stadt sagen kann.“
Aus dieser Mentalität erwuchsen Satire, Kabarett, Witz, Anekdote und Karikatur als zeitgeschichtliche Dokumente. Das gilt sowohl für die Demokratie, in der die freie Meinungsäußerung nicht mit einem Begräbnis endet, wie auch für die Diktatur, in der man tun und lassen kann, was die Regierung vorschreibt, und in der man zu allem, was nicht verboten ist, gezwungen wird. Österreich hat in den 100 Jahren seit 1918 beides erlebt. In Österreich, das sich von Deutschland hauptsächlich durch die gleiche Sprache unterscheidet, entwickelte sich eine eigene Nestroy’sche Art, autoritären Ständestaat, Nazi-Diktatur und Demokratie zu glossieren.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches zählte der neue Rumpfstaat Republik DeutschÖsterreich nur noch sechs Millionen Bürger. Karl Kraus befand: „Es ist an sich eine unerträgliche Vorstellung, als Einwohner eines Kleinstaates mit einem derartigen Übermaß an Vergangenheit konfrontiert zu werden.“Er blickte im Groll zurück, indem er die Kaiserhymne umdichtete: „Gott erhalte, Gott beschütze vor dem Kaiser unser Land . . .“Die „gute alte Zeit“war jedenfalls endgültig vorbei, von der Karl Farkas sagte, sie verdanke ihr Renommee ohnedies nur dem Umstand, dass ältere Leute schon ein schlechtes Gedächtnis haben. Für Friedrich Torberg war der Untergang des alten Österreich „eine der katastrophalen Humorlosigkeiten der Weltgeschichte“.
In der neuen Republik wird der Adel per Gesetz abgeschafft. Daraufhin lässt sich Adalbert Graf Sternberg neue Visitenkarten drucken: „Adalbert Sternberg aus jenem Geschlecht, welches im Jahre 800 von Karl dem Großen geadelt und im Jahre 1919 von Karl Renner entadelt wurde.“
Als Kaiser Karl am 1. April 1922 in Madeira, erst 34-jährig, stirbt, erinnert sich ein Wiener an einen großen Vorteil der Monarchie: „Damals hat man noch genau gewusst, in welchen Hintern man kriechen muss. Jetzt gibt es so viele Hintern, dass man den Überblick verliert!“
Der „Anschlussgedanke“hatte in den 1920er-Jahren Hochkonjunktur. Zur politischen Radikalisierung mit paramilitärischen Verbänden beider Großparteien – Heimwehr auf der Rechten, Republikanischer Schutzbund auf der Linken – trug die katastrophale wirtschaftliche Lage mit hoher Arbeitslosigkeit und Inflation bei. Sprüche wie der folgende zeugen von der weit verbreiteten Zukunftsangst dieser Jahre: „Das ist bei Neuösterreich das Fatale – man fragt sich: Ist’s Ouvertüre oder schon Finale? Man blickt nach Osten in Richtung des versunkenen Zarenreiches und fragt sich: Welcher Unterschied besteht zwischen Russland und Österreich? – In Russland herrscht der Bolschewismus, in Österreich der Vollbeschissmus.“
Karl Kraus urteilt über Prälat Ignaz Seipel, den Parteiobmann der Christlich-Sozialen und zweimaligen Bundeskanzler einer Alleinregierung: „Ich habe nichts gegen Seipel. Er hat für mich als Politiker den einen Fehler, dass er Priester ist, und als Priester, dass er Politik treibt.“Seipel selbst sagt einmal auf die Frage, wie er die Erfordernisse eines Politikers mit den Ansprüchen eines Professors der Moraltheologie vereinbaren könne: „Erstens sage ich weder in der Politik noch in meinen Vorlesungen alles, was ich weiß, und zweitens gibt es so vieles, was wir alle miteinander nicht wissen.“
Anfang der 1930er-Jahre, als der Antisemitismus um sich greift, soll Karl Farkas, der brillante Blitzdichter im Wiener Kabarett Simpl, einen Reim auf das von einem Besucher zugerufene Schimpfwort „Judenbengel“machen. Und das gelingt ihm famos. Farkas nimmt eine Rose aus einer Vase auf einem Publikumstisch und sagt: „Das ist die Rose, / Hier ist der Stängel, / Ich bin der Jud / Und dort sitzt der Bengel.“
Den ab 1933 nach dem Rücktritt aller drei Präsidenten des Nationalrates autoritär regierenden christlich-sozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, den die Österreicher ob seiner geringen Körpergröße wie bekannt „Millimetternich“nannten, beerbte nach dem niedergeschlagenen Aufstand der Sozialdemokraten und seiner Ermordung durch den Nazi Otto Planetta Kurt von Schuschnigg an der Spitze der Regierung. Kurz vor dem „Anschluss“Österreichs an Hitler-Deutschland wird der Literat Anton Kuh von Schuschnigg aufgefordert, ihn in dessen Büro aufzusuchen und seine Einschätzung der politischen Lage zu erläutern. Später sagt Kuh dazu: „Am selben Tag packte ich die Koffer und fuhr nach Paris. Weil ein Land, das meinen Rat braucht, rettungslos verloren ist!“– Bis unmittelbar vor dem „Anschluss“waren Karl Farkas und Fritz Grün- baum im Simpl aufgetreten, das der Familie Goldfarb gehörte und nun arisiert wurde. Grünbaum versteckte sich zunächst, wurde dann aber in ein Gestapo-Notgefängnis in der Karajangasse gebracht, wo er sich mit dem jungen Sozialisten Bruno Kreisky eine Zelle teilte. Kreisky, dem später ebenso wie Karl Farkas die Emigration gelang, erzählte über diese Zeit: „Wir mussten den ganzen Tag nur gehen, fortwährend gehen. Da blickte einmal der kleine Grünbaum zu mir herauf und sagte: ,Und die draußen glauben, wir sitzen!‘“Selbst im Konzentrationslager Dachau behielt Fritz Grünbaum noch seinen Humor. Als er einmal nach Seife verlangte, die man ihm nicht gab, war seine Reaktion: „Wer kein Geld für Seife hat, soll sich keine KZ leisten!“1941 kam dieser große Humorist in Dachau zu Tode. Auch Jura Soyfer, Peter Hammerschlag und Paul Morgan wurden in Konzentrationslagern ermordet. Und Egon Friedell kam der Verhaftung durch die Gestapo 1938 mit Selbstmord zuvor.
Einer der ersten Flüsterwitze, die in der nunmehrigen „Ostmark“in Umlauf kamen, war dieser Sager: „Schweigen ist Gold, Reden ist Dachau.“Jetzt kam die ganze Subtilität des jüdischen Witzes, der nicht vordergründig ist, sondern Tiefgang hat und die gesamte menschliche Situation auslotet, zur Geltung: „Ein Jude verlässt das Gestapo-Gebäude in Wien, da begegnet ihm ein SSMann. Bewusst provozierend fragt er den Juden, der gerade ein langes Verhör hinter sich hat und nach Hause gehen möchte: ,Wohin wollen Sie so eilig? Sie kommen von hier nur weg, wenn Sie mir diese Frage beantworten können: Welches meiner beiden Augen ist ein Glasauge?‘ ,Das linke‘, sagt der Jude wie aus der Pistole geschossen. ,Woher wissen Sie das?‘, kontert der SS-Mann. ,Es blickt so menschlich . . .‘“In solchen Flüsterwitzen, deren Erzählen freilich existenzbedrohend war, überlebte der jüdische Humor. Der Witz wurde gewissermaßen als Waffe gegen die Unterdrücker eingesetzt. Als sich die Niederlage der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg abzeichnet, fragt man sich: „Wer ist der geizigste Mensch auf dieser Welt? Es ist Propagandaminister Joseph Goebbels, denn der hat schon zwei Jahre den Sieg in der Tasche und gibt ihn nicht her. – Und wer ist der größte Preistreiber? Der ,Führer‘ Adolf Hitler, denn der lässt überall plakatieren ,Sieg um jeden Preis!‘“
Die ersten Jahre der Zweiten Republik sind durch die Besatzung der vier Siegermächte geprägt. In der Sowjetzone, in der die Wiener Bevölkerung mit diversen Mangelerscheinungen konfrontiert ist, kursiert der Spruch: „Was ist der Unterschied zwischen Marx und Murks? – Marx ist die Theorie!“Über den volksnahen ÖVP-Nachkriegskanzler Leopold Figl sind bald Witze über dessen Vorliebe für niederösterreichischen Wein in Umlauf. Über seinen Nachfolger, den Staatsvertragskanzler Julius Raab, kursieren Anekdoten über dessen autokratischen Führungsstil innerhalb der ÖVP und Sprüche wie dieser über das Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre: „Die Deutschen verdanken das Wirtschaftswunder ihrem Fleiß, ihrer Strebsamkeit und ihrer Ausdauer. Das österreichische Wirtschaftswunder hingegen ist wirklich ein Wunder.“
Jetzt brach die goldene Ära des Wiener Kabaretts an. Neben der Simpl-Truppe um Karl Farkas und Ernst Waldbrunn etablierte sich mit Gerhard Bronner, Carl Merz, Helmut Qualtinger, Georg Kreisler und Peter Wehle ein zweiter Hotspot. Klassiker wie „Der g’schupfte Ferdl“, „Die alte Engelmacherin“und vor allem „Der Papa wird’s schon richten“sind zeitgeschichtliche Dokumente. Anfang der 1960er-Jahre erregten sich die Österreicher über das Einpersonenstück „Der Herr Karl“aus der Feder von Carl Merz und Helmut Qualtinger. Darin verkörpert „Quasi“einen opportunistischen Wiener, der sich zeit seines Lebens als besonders anpassungsfähig erweist. Das Volk tobte aber auch über einen amerikanischen Fernsehreport des Journalisten David Brinkley, der die Österreicher als „Volk von Fressern und Faulenzern“bezeichnete. Dazu Karl Farkas: „Ein Patriot ist ein Mann, der sofort fuchtig wird, wenn ein Fremder sich so über Österreich äußert, wie er selbst es ständig tut.“
Das Unbehagen der Menschen mit der Großen Koalition und dem Proporz artikulierten einst Carl Merz und Helmut Qualtinger in dem immer noch aktuellen satirischen Text „Lob der Koalition“: „Wenn Sie sich in einem Land befinden, in dem eine Partei regiert, während eine andere die Opposition stellt, dann sind Sie in einer Demokratie. Wenn Sie in einem Land sind, in dem eine Partei regiert und keine die Opposition macht, weil sie verboten ist, dann ist das eine Diktatur. Wenn Sie sich in einem Land befinden, wo zwei Parteien regieren, die sich zugleich die Opposition machen, dann sind Sie in Österreich.“
In einem kursorischen Rückblick auf die Politik im Spiegel des Humors seit 1918 darf natürlich der sozialdemokratische Langzeitkanzler Bruno Kreisky, Bildungsbürger aus jüdischer Familie, nicht fehlen. Seine Pressekonferenzen gerieten zu amüsanten politischen Talkshows. Die Physiognomie Kreiskys hatte es dem legendären „Presse“Karikaturisten Gustav Peichl (Ironimus) angetan: „Wenn die politische Karikatur noch nicht erfunden wäre, für Kreisky müsste man sie erfinden.“Der Kanzler lieferte Bonmots en masse. „Eines Tages trifft Sozialminister Alfred Dallinger Bundeskanzler Kreisky in der Milchbar des Parlaments, in der viel, aber wenig Milch getrunken wird: ,Du, Bruno, a paar Reporter wollen wissen, wie viel i verdien!‘ Darauf der Kanzler: ,Na und? Hast es ihnen g’sagt, oder hast es ihnen erklärt?‘“
Der österreichische Humor sagt viel über die Mentalität der Bürger dieses Landes aus. Karl Farkas: „Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit.“Hannes Androsch et al.: „Es ist unser großes Geschick, Beethoven zu einem Österreicher gemacht zu haben und Hitler zu einem Deutschen.“Oder Hans Weigel: „Nach der Ausrufung der Republik wurde der Adel in Österreich abgeschafft. An seine Stelle ist der Besitz eines Abonnements bei den Konzerten der Wiener Philharmoniker getreten.“Zur Politik der Republik fand Hans Peter Heinzl die vielsagenden Worte: „Staatsmänner sind Politiker, die Probleme zu lösen haben, deren Entstehung auf sie selbst zurückzuführen ist.“