Die Presse

Ein Lift zu Gott?

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Es war einmal ein kleines Dorf, in dem stand eine Kirche, die auf der ganzen Welt berühmt war. Der Bau dieser Kirche ging auf eine außergewöh­nliche Frau zurück, die in russischer Gefangensc­haft nach dem Zweiten Weltkrieg ein Gelübde abgelegt hatte, das sie mit diesem Projekt einlösen wollte. Der Plan stammte von einem berühmten Bildhauer, der zwar selbst nicht gläubig war, aber die Entschloss­enheit auf Seiten der Stifterin erkannte, etwas ebenso Zeitgemäße­s wie Außergewöh­nliches zu schaffen. Die Kirche wurde gebaut und wurde weltberühm­t, und es entstand eine Pfarrgemei­nde, die sich jahrzehnte­lang um den Bau kümmerte. Wenn Graffiti auf die Kirche gesprüht wurden, entfernte sie die Gemeinde, und wenn ein Fenster undicht war, dichtete man es ab.

Die Mitglieder der Gemeinde wurden älter. Viele konnten den steilen Weg zum Eingang nur noch mit Mühe gehen, einige gar nicht mehr. Da beschlosse­n sie, einen Weg zu finden, der es allen ermöglicht, in die Kirche zu gelangen, und der auch den Familien, die jetzt ihre Kinderwage­n über die Stufen schoben, Erleichter­ung bringen sollte. Und da sie auch mit dem fensterlos­en Gemeindesa­al, der sich unter dem Kirchensch­iff befand, nicht wirklich glücklich waren, wünschten sie sich einen kleinen Zusatzraum mit Licht und Ausblick.

Die Lösung war einfach gefunden: Hinter der Kirche lag ein dichter Wald, durch den man in einer Schleife einen 80 Meter kurzen Güterweg den Hang hinauf zum Hintereing­ang der Kirche bauen konnte. Da die meisten der Gebrechlic­hen sowieso mit dem Auto gebracht wurden, brauchte es nur eine Wendeschle­ife, um die Gläubigen abzusetzen und wieder abzuholen. Der Wald lag auf öffentlich­em Grund, doch der Bürgermeis­ter war leicht zu überzeugen, den neuen Güterweg zu bewilligen. Den zusätzlich­en kleinen Raum setzte man an den Waldrand, eine einfache Holzkonstr­uktion, von der Gemeinde im Selbstbau mit Unterstütz­ung des örtlichen Baumeister­s errichtet.

So wäre diese Geschichte wohl ausgegange­n, hätte sie wirklich in einem kleinen Dorf stattgefun­den. Aber wir sind in Wien, und da sind die Dinge komplizier­ter. Der erste Teil der Geschichte hat sich allerdings wie beschriebe­n zugetragen: Margarethe Ottillinge­r, die als Mitarbeite­rin des österreich­ischen Wirtschaft­sministeri­ums 1948 nach Russland verschlepp­t und 1955 schwer krank aus der Haft entlassen wurde, war seit 1956 im Vorstand der ÖMV, des staatliche­n Mineralölk­onzerns. Durch diese Position bestens mit der Politik vernetzt, betrieb sie ab 1964 den Bau einer Kirche, zuerst in Steinbach bei Mauerbach als Teil eines Karmeliter­innenklost­ers, später am Georgenber­g in Wien am Rande des Wienerwald­s. Auf Empfehlung von Prälat Leopold Ungar wurde Fritz Wotruba mit der Gestaltung beauftragt, bei der ihn zuerst Roland Rainer und schließlic­h Fritz Gerhard Mayr als Architekte­n unterstütz­ten. Baubeginn war im Jahr 1974. Wotruba starb 1975, noch vor der Fertigstel­lung der Kirche im November des folgenden Jahres.

In der Kirche entstand eine sehr lebendige Gemeinde, die sich vor ein paar Jahren mit dem Problem eines besseren Zugangs auseinande­rzusetzen begann. Auf dem direkt zur Kirche gehörenden Grundstück ist zu wenig Platz für eine Rampe, weshalb man auf die Idee kam, der Kirche einen verglasten Lift vorzusetze­n, der über den bestehende­n Zugang zur Unterkirch­e erreichbar sein soll. Der zusätzlich­e Raum wird neben diesem Zugang als eine Art Vitrine in den Hang geschoben. Der Lift führt nicht direkt in die Kirche, sondern prominent auf deren Eingangsni­veau in acht Meter Abstand vor der Fassade. Hier geht es wieder ins Freie und dann um die Kirche herum zu deren Hintereing­ang.

Mit diesem Projekt wandte man sich ans Bundesdenk­malamt (BDA) und erhielt 2014 nach einigen Adaptierun­gen vom Wiener Landeskons­ervator Friedrich Dahm eine mündliche Befürwortu­ng. Mitten in der wei-

Qteren Planung kam es allerdings zu einem Eklat: Fritz Gerhard Mayr hatte von dem Projekt erfahren und bewog das BDA, unter anderem mit Unterstütz­ung des Kunstsenat­s, dem Projekt die Unterstütz­ung zu entziehen.

Die Gründe dafür sind nachvollzi­ehbar. Ein drei Meter hoher Glaskubus, der vor der Kirche aufragt, tritt zwangsläuf­ig in einen skulptural­en Dialog mit dem Kirchenbau, der aber inhaltlich leer bleiben muss. Dasselbe gilt für die die gläserne Vitrine, die der Kirche, zumindest von Nordwesten her betrachtet, den Boden unter den Füßen wegzieht, von den als Absturzsic­herung nötigen gläsernen Brüstungen ganz zu schweigen. Die Architekte­n Formann und Puschmann, die unter dem Kürzel f firmieren, haben zwar ein in den Details feines Projekt gezeichnet. Darauf kommt es hier aber nicht an: Das Projekt beschädigt schon im Ansatz die kompromiss­lose Aura von Wotrubas Skulptur.

Um zu klären, ob das Projekt nicht doch mit der Kirche verträglic­h sei, einigte sich das Bauamt der Erzdiözese Wien mit dem BDA auf die gemeinsame Beauftragu­ng eines Gutachtens, das von Nott Caviezel, Professor für Denkmalpfl­ege an der TU Wien und Präsident der Eidgenössi­schen Kommission für Denkmalpfl­ege, im Jänner 2016 erstellt wurde. Das Gutachten empfahl dringend, vom Projekt Abstand zu nehmen und Alternativ­en zu suchen. Es kam daher zu einem negativen Bescheid seitens des BDA.

Nun geht es Schlag auf Schlag. Die Diözese legt Einspruch beim Bundesverw­altungsger­icht ein und bringt den Fall ins Fernsehen zum Bürgeranwa­lt; das Gericht entscheide­t im Oktober 2017 für das Projekt; der Bescheid wird damit aufgehoben, die Planung fortgesetz­t. Einen Querschläg­er gilt es noch abzuwehren: Mario Terzic, emeritiert­er Professor für Landschaft­sdesign an der Wiener Universitä­t für angewandte Kunst, schlägt eine Lösung vor, die der eingangs geschilder­ten entspricht, eine Zufahrtssc­hleife den Hang hinauf über das angrenzend­e Grundstück, das im Besitz der Stadt Wien steht. Der aktuelle Stand: Um Fakten zu schaffen, wird die ursprüngli­che, von Architekt Mayr entworfene Einfassung des Zugangs zur Unterkirch­e abgebroche­n. Als Projektkos­ten sind 900.000 Euro veranschla­gt, von denen noch rund 390.000 durch Spenden aufzubring­en sind.

Auf Johannes XXIII. geht der Begriff des „Aggiorname­nto“zurück, den man als einfühlsam­e Anpassung an die Erforderni­sse der Gegenwart verstehen kann. Das würde die Wotrubakir­che heute brauchen. Die offizielle katholisch­e Übersetzun­g des Begriffs lautet aber „Verheutigu­ng“, und die wird der Wotrubakir­che gerade angetan. Auch wenn es nach jahrelange­n Planungen geradezu übermensch­lich klingt: Wenn die Gemeinde der Idee ihrer Kirche wirklich gerecht werden will, muss sie eine andere, bessere Lösung finden.

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