Ich bin schuld
Uni-Evaluierungen erschienen mir als Ausweg. Mit dem Ergebnis nahe null. Zu Müller-Funk.
Wolfgang Müller-Funk sagt im „Spectrum“vom 3. Februar („Der Wille zum Sixpack“): Unsere Universitätsbürokratie behindert die Schaffung von unkonventionellem Neuem. Aber wie ist diese Bürokratie so angewachsen?
Mein Chef an der Technischen Universität München, Heinz Maier-Leibnitz, hatte das elitäre Ziel „Neues durch eigenes freies Denken“ausgegeben; einer seiner Schüler, Rudolf Mößbauer, erhielt den Physik-Nobelpreis. Maier-Leibnitz formulierte ganz ähnlich wie Müller-Funk: Das Neue bedürfe der Freiräume und Nischen. So verschieden sind bei der Innovation Natur- und Geisteswissenschaften nicht, sie brauchen beide Freiräume.
Der Idealforscher, auf den MüllerFunk nostalgisch zurückblickt, der Professor, der nicht zuletzt danach ausgewählt war, dass er „etwas Neues“versprach: Ging sicher zuweilen schief, manchmal waren die „Außenseiter, Häretiker und ,Spinner‘“(Müller-Funk) wirklich nur Spinner, aber das war verkraftbar. Nur, wo soll man den elitären Häretiker, die elitäre Außenseiterin in der wegen des ständigen Trachtens nach Erhöhung der Akademikerrate angestrebten heutigen Massenuni platzieren?
Als ich nach fast 20 Jahren im Ausland 1984 den Ruf auf ein Ordinariat nach Wien erhielt, war ich erstaunt, was die Reformen der Ministerin Firnberg bewirkt hatten: wesentlich mehr Personal. Und dies alles war wie aus heiterem Himmel aus Firnbergs Füllhorn auf die Unis eingestürzt. Der Homo academicus a` la Planck, Kant oder Mendel hatte kaum Assistenten, er musste (und durfte) selbst nachdenken und forschen, ich sollte plötzlich 14 haben, die meisten auf Dauerstellen. Planck, Kant, Mendel hätte das Management des großen Personals nur beim Denken gestört; wie sollte ich Ziele für das ungeheuer angewachsene Personal finden? Wir brauchten Schwerpunkte.
Plötzlich hatte ich 14 Assistenten
Da erschien eine Evaluierung als ein Ausweg – mit erfahrenen ausländischen Evaluatoren. Und die Bewertung der Universitätsangehörigen nach Impact Factor. So begann die erste Evaluierung der Physik in Österreich, und ich war das treibende Glied für die größte Uni, meine Uni Wien. Ich bin also schuld, denn unser Beispiel machte Schule. Das Ergebnis war fast gleich null, aber schon bei dieser Evaluierung konnte man sehen: Solche Unternehmungen würden der Bürokratisierung Vorschub leisten. Was damals noch in den Anfängen steckte, hat sich mittlerweile prächtig entwickelt; Evaluierungen können Institute wochenlang brachlegen und erzeugen Unmengen Papier, heute meist Dateien im Computer. Ich hatte, seit ich in Wien war, ein Ablagekörberl mit der Beschriftung „Permanente Universitätsrevolution“, in der ich all die neuen Erlässe, die Planungspapiere und Evaluierungsberichte (auch meine eigenen) stapelte.
Die Moral von der Geschichte: Augenmaß. Bei der Stellenbesetzung nicht nur auf die Impact Factors schielen (die manipulierbare Häufigkeit des Zitiertwerdens) und auf die Resultate von Evaluierungen. Müller-Funks Klage darüber, dass „der eigene Nachwuchs auf die Straße gesetzt wird, damit er sich andernorts ,bewähre‘“, scheint mir allerdings nicht zu Ende gedacht, denn im nächsten Satz schreibt er: „Solcher Talmiökonomie würde kein kapitalistisches Unternehmen folgen.“Also will er doch die an das Unternehmen (das Institut) angepassten Leute halten? Das Hinauswerfen ist für die Jungen ein Problem (ich habe das erlebt, als ich jahrelang auf kurzfristigen Stellen im Ausland saß), aber die Unsicherheit scheint ein Motor für Innovation zu sein.