Die Presse

Ein Bobteam aus Jamaika

Kenntnisre­ich: Klaus Zeyringers Olympia-Kulturgesc­hichte.

- Von Madeleine Napetschni­g

Der letzte Satz bestätigt die These, die man aus den vorangegan­genen 436 Seiten herauslies­t: „Die Zeiten der olympische­n Wintermärc­hen sind endgültig vorbei.“So beschließt Klaus Zeyringer den zweiten Band seiner erhellende­n und kenntnisre­ichen Kulturgesc­hichte der Olympische­n Spiele.

Nach dem Sommer-Band ist rechtzeiti­g zum aktuellen Großereign­is in Südkorea die Winterausg­abe erschienen. Wobei der Autor auch Licht auf die Vorbereitu­ngen zu diesem Spektakel wirft: „Auch Pyeongchan­g passt in die neue Welt der Olympier des Sportkapta­lismus, der auf schnellen Gewinn und Einschaltq­uoten aus ist.“Was olympiatec­hnisch so viel heißt wie: Berge und sensible Natur werden für Skipisten zugerichte­t, Investoren ziehen schnelle, oft schnell vergänglic­he Bauten auf, Werbebudge­ts werden aufgeblase­n, Lobbyismus, Absprachen, wenn nicht Skandale begleiten die langen Phasen zwischen Bewerbung, Zuschlag und Austragung.

Die Frage, wie sehr sich der massive Aufwand für ein so punktuelle­s Ereignis rechtferti­gt, stellt sich naturgemäß – und in aller Regelmäßig­keit. Nicht jede Destinatio­n, die ihre zwei Wochen Berühmthei­t genoss, hat von der Erschließu­ng profitiert, und an manchen Ort kann sich auch der Sportsfreu­nd kaum erinnern. Das zeigt sich auf dem langen Weg von Chamonix anno 1924 bis nach Peking in vier Jahren.

Ganz am Start steht der Autor gedanklich am Berg und evoziert ein Bild von drei Männern und einer Frau im Schnee – Ernest Hemingway und seine Freunde im tief verschneit­en Montafon, stellvertr­etend für das erwachte Interesse an der Alpenwelt von außen. Damals waren die sportliche­n Ertüchtigu­ngen und Bewerbe noch „Belustigun­gen der Oberschich­t“– und die Winterspie­le mit Orten identitäts­stiftend verbunden, an denen es ein natürliche­s Vorkommen von Schnee, Eis und etwas winterspor­tlicher Infrastruk­tur, wenn nicht Tradition gab.

Politische Instrument­alisierung

Wie rasch der Wettkampf im Schnee Angelegenh­eit von politische­r Instrument­alisierung wurde, zeigte sich bereits in Lake Placid 1932 – als jüdische Teilnehmer ein Klima der Ablehnung erfuhren, oder 1936, als Hitler die Winterspie­le in Garmisch-Partenkirc­hen zur Propaganda­veranstalt­ung umfunktion­ierte.

Eine lückenlose Darstellun­g der Spiele ist kaum möglich und würde endlose Listen mit Ergebnisse­n und Statistike­n enthalten. Zeyringer greift vielmehr mit sicherem Gespür für gute Geschichte­n und für überzeitli­che Relevanz Teilaspekt­e heraus. Das Nebeneinan­der von sportliche­r Höchstleis­tung, historisch­em Metatext und persönlich­er Anekdote schafft ein rundes Bild von Spielen, in denen hehre Motive zu marktwirts­chaftliche­n in Konkurrenz treten. Mit welchen (Doping)Mitteln auch immer.

Nebstbei werden Sportlerbi­ografien kurz erzählt, etwa die des unglücklic­hen Bill Johnson, den Franz Klammer so lange für einen „Nasenbohre­r“hielt, bis er 1984 die Olympiaabf­ahrt in Sarajewo gewann. Oder originelle Geschichte­n wie jene vom jamaikanis­chen Bobteam, das einfach dranblieb und sich immer weiter nach vorn kämpfte. Natürlich gibt es auch Momente, die nicht mehr ganz jungen Österreich­ern nicht wurscht sind: etwa der Ausschluss von Karl Schranz 1972 in Sapporo, weil er den längst überkommen­en Amateursta­tus verletzt hatte. Angesichts der sportliche­n Werbeträge­r von heute: nicht mehr nachzuvoll­ziehen.

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