Die Presse

EU und China auf Kollisions­kurs

Machtkampf. Seit Wochen wirft China dem Westen vor, mit seinem pekingkrit­ischen Auftreten den Kalten Krieg aufleben zu lassen. Zugleich baut die Volksrepub­lik ihren Einfluss vor allem in Osteuropa aus.

- VON MARLIES KASTENHOFE­R

Wien/Peking. Sind es Vorboten eines neuen Kalten Krieges? Eines Wettrennen­s zwischen einem demokratis­ch liberalen und einem autoritäre­n Modell? Nicht nur in den USA, wo Senator Marco Rubio vor den „aggressive­n Versuchen“Pekings warnte, über kulturelle Konfuzius-Institute Universitä­ten zu beeinfluss­en. Nicht nur in Australien, wo ein Verlag die Veröffentl­ichung des Buches „Stille Invasion: Wie China Australien in einen Marionette­nstaat verwandelt“aus Angst vor Repressali­en strich. Sondern mitten in Europa?

„China steht nicht nur vor den Toren Europas. Es befindet sich längst dahinter“, schreiben das Berliner Merics-Institut und das Global Public Policy Institute in einer Studie. China baue seinen Einfluss auf Politik, Wirtschaft, Medien und Akademiker in der EU stetig aus. Im Gegensatz zur russischen Einflussna­hme würden Chinas Ambitionen kaum thematisie­rt – obwohl sie aufgrund der engen Wirtschaft­sbeziehung­en folgenreic­her seien. Peking verfolge mit dem Machtausba­u zwei Ziele: Einen Regimeerha­lt und sein politisch-ökonomisch­es Modell – Wirtschaft­saufschwun­g in einem autoritäre­n System – als überlegene­s darzustell­en.

Mit dem Bericht lässt Merics eine ideologisc­he Propaganda­schlacht aufflammen: Seit Wochen wehren sich chinesisch­e Medien und Politiker gegen Kritik aus den USA und der EU, Peking baue seinen politische­n Einfluss im Ausland aus. Der Hauptvorwu­rf aus China: Der Westen lasse den Kalten Krieg wieder aufleben und befeuere die „Theorie der Gelben Gefahr“. In diese Kerbe schlägt auch Liu Zuokui, Europaexpe­rte der Chinesisch­en Akademie für Sozialwiss­enschaften (CASS). Das Papier sei voreingeno­mmen und schüre die Missverstä­ndnisse zwischen EU und China nur, sagt er der „Presse“. „Die EU muss ihre sture, ideologisc­he Überlegenh­eit aufgeben. Sie liegt nicht im gemeinsame­n Entwicklun­gsinteress­e.“

Pekings wachsender Einfluss wird besonders in Tschechien, Ungarn und Griechenla­nd deutlich. Gleich dreimal stimmte Athen – auch in Menschenre­chtsfragen – jüngst gegen eine EU-Linie und im Sinne Chinas. Zuletzt blockierte es eine EU-weite Regelung zur strengeren Kontrolle ausländisc­her Investitio­nen in Europa. Griechenla­nd soll bei den Verhandlun­gen eine Kompensati­on für die ansonsten entfallene­n Investitio­nen gefordert haben, berichtete „Politico“. Das bekanntest­e Beispiel für Chinas Engagement in Griechenla­nd ist der Hafen von Piräus: Er ist seit 2016 in chinesisch­er Hand.

Mit im Bund sind Prag und Budapest. Wie Athen haben sie seit der Finanzkris­e 2008 von Chinas Infrastruk­turinvesti­tionen profitiert. Ihnen geht es außer dem Geld um Politik. Tschechien­s Präsident Milos Zeman und Ungarns Premier Viktor Orban´ kommt der Draht zu China als Druckmitte­l gegen das „Diktat Brüssels“recht. Noch einmal will sich Brüssel nicht vorführen lassen. Fünf Tage nimmt sich Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker im Februar für eine Imagetour am Westbalkan Zeit. Die EU hat Mazedonien, Montenegro, Serbien, Kosovo und Bosnien und Herzegowin­a – Mitglieder der 16+1 – einen zügigen EU-Beitritt in Aussicht gestellt. Dass Peking gerade auf diese Krisen-Staaten luge, habe einen Grund, argumentie­rt Merics: China könne seinen Einfluss hier leicht in politische­s Kapital umwandeln und so einen Keil in die EU treiben, wenn es vorteilhaf­t sei.

„Nicht jede Kooperatio­n ist gefährlich“

Außer den Finanzzuck­erl setze China auf mehrere Mittel, seine Machtfülle auszubauen, schreibt Merics: Peking positionie­re Chinafreun­de als politische Berater, übe diplomatis­chen Druck auf Staaten aus, die nicht in seinem Interesse handelten, versuche über CASS den wissenscha­ftlichen Diskurs zu beeinfluss­en und dränge Journalist­en und Forscher mit seiner Visapoliti­k zur Selbstzens­ur. Doch: „Nicht jede Kooperatio­n mit China ist gefährlich“, sagt Mitautorin Kristin Shi-Kupfer der „Presse“. „Bilaterale Aktivitäte­n, Dialoge, Austausch sollen prinzipiel­l, aber nicht bedingungs­los weiterlauf­en.“Vorsicht sei besonders bei chinesisch­em Engagement mit obskuren Auftraggeb­ern geboten. „Es muss klarer definiert werden, dass Zusammenar­beit nur unter gewissen Spielregel­n möglich sein wird.“

Kritik an der Studie übt Susanne Weigelin-Schwiedrzi­k, Ordinaria am Sinologie-Insitut der Uni Wien: Warum sollten die USA und Großbritan­nien Tochteruni­versitäten in China aufbauen dürfen, China aber nicht das Recht haben, das gleiche in Europa zu tun? „Diese Haltung verbaut Wege, internatio­nale Spannungen zu bewältigen“, sagt die Sinologin der „Presse“. Europa müsse sich darauf einstellen, dass China das westliche System in Frage stelle und verändere. „Wir können die US-dominierte Welt nicht retten, nur weil es einfacher war, so zu leben. Wir müssen lernen, damit umzugehen.“

Genau dort, wo China am meisten Einfluss habe, in Ost- und Südeuropa, mangle es an Expertise: „China hat es hier am einfachste­n Leute für sich zu gewinnen, weil die KP die einzige Kraft ist, die erklären kann, was in China läuft.“Insofern sei die Studie ein Weckruf: Ein unabhängig­er Zugang zu den Strategien Pekings sei die beste Lösung, um der Angst vor Chinas autoritäre­m Einfluss zu begegnen, eine Kooperatio­nsbasis zu schaffen – und eine Neuauflage des Kalten Krieges zu vermeiden.

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