„Das ist das Gegenteil der Google-Blase“
Interview. Der Designer und Kurator Ido Bruno leitet seit November das renommierte Israel Museum in Jerusalem. Ein Gespräch über die Inszenierung von Ausstellungen, über lebensrettendes Design und Selfies im Museum.
Ido Bruno, Leiter des Israel Museum in Jerusalem, über die Inszenierung von Ausstellungen, lebensrettendes Design und Selfies im Museum.
Die Presse: Das Israel Museum beherbergt Alte Meister und moderne Kunst, Installationen und die Qumran-Rollen, eine Kutsche, Säulen . . . Eine ziemliche Bandbreite. Ido Bruno: Es ist eine komplizierte Aufgabenstellung, das Neue zu entdecken und zugleich das Erbe zu präsentieren. Gerade heute, da wir so vielen Eindrücken ausgesetzt sind, ohne Unterlass neue, interessante Inhalte geschaffen werden. Da ist die Frage, ob es genug Aufnahmebereitschaft für alte Inhalte gibt, ob man diese Aufnahmebereitschaft schaffen kann. Ich glaube, ja.
Und wie? Zum einen ganz konventionell: Ein Museum soll für viele Menschen zugänglich sein, die Ausstellungen sollten durchdacht ein, neugierig machen . . . Das ist traditionelle Museologie. Aber die ist sehr wichtig! Dann gibt es den digitalen Aspekt. Ich bin als Designer mit dem Mac aufgewachsen, mit dem bunten Cube und wurde seither dauernd mit neuen Entwicklungen, neuer Software, neuen Anwendungen konfrontiert, zum Teil durch meine Studenten: Ich selbst werde zwar älter, aber die Studenten bleiben ja gleich alt. Solche Technologien können ein Fenster öffnen. Nehmen wir etwa das Selfie. Jugendliche machen nicht nur gern ein Bild von sich selbst, sondern von sich selbst zusammen mit etwas anderem: einem Bauwerk, einer Landschaft, einem Gegenstand in einem Museum. Wenn ich nun das Objekt identifizieren kann, das der Besucher aufnimmt – und da gibt es verschiedene technische Möglichkeiten –, kann ich ihm eine Reise anbieten: eine Reise auf einem digitalen Pfad. Ich kann vertiefende Informationen liefern etc. Oder aber eine Reise, die ihn physisch weiter ins Museum führt, zu anderen Objekten, an die er vielleicht gar nicht gedacht hat. Ich kann sagen: Dieses Gemälde ist Jahrhunderte alt. Ich zeige dir ein zeitgenössisches, das sich mit den gleichen Ideen auseinandersetzt. Das ist für mich das Gegenteil der Google-Blase, die ich wirklich hasse, weil sie die Neugierde abtötet.
Oder der Besucher verbindet sich mit anderen Menschen. Wenn jemand ein Selfie macht, teilt er es ja meist. Ja, da gibt es viele Möglichkeiten. Die meisten Museen nutzen neue Technologien nur, um dasselbe zu machen wie früher. Statt auf einer Tafel steht der Lebenslauf des Künstlers halt in einer App. Aber die Art, wie wir Dinge wahrnehmen und wie wir Informationen aufnehmen, ändert sich. Es wird zum Beispiel zunehmend schwierig, Leute dazu zu bringen, Texte zu lesen. Dafür werden sie immer kompetenter, wenn es darum geht, mit visueller Komplexität umzugehen. Das heißt nicht, dass wir keinen Text mehr brauchen. Text wird es immer geben.
Jugendliche texten eine Menge. Ja, 160 Zeichen in der Sekunde. Aber immer häufiger sehe ich, dass sie nicht texten, sondern sich mit dem Mikro aufnehmen. Außerdem ist es ein großer Unterschied, ob du mit der Hand schreibst oder tippst. Ich glaube, dass die Entwicklung hin vom Schreiben zum Tippen zum Reden etwas bedeutet. Ich weiß noch nicht was, dafür ist es zu früh, aber es verändert unsere Wahrnehmung. Wer weiß, vielleicht sitzen wir in zehn Jahren hier und sagen: „Können Sie sich noch erinnern an die Zeit, als alle geredet haben? Heute denken sie nur und schicken die Gedanken weiter.“Oder wir sind dann wieder bei der Handschrift angekommen. Sie haben den konventionellen Aspekt erwähnt: Eine Ausstellung sollte interessant sein, gut überlegt und designt. Können Sie mir ein Beispiel geben? Die Herodes-Ausstellung, an der ich als Designer mitgewirkt habe und die einen fantastischen Kurator hatte. Man muss wissen: Archäologie ist an sich langweilig. Wenn du dich nicht auskennst, schaust du auf einen Stein, der ist alt, die Farben sind ausgebleicht, er steht in keinem Kontext. Er wurde nicht ausgesucht, weil er schön ist, sondern weil man ihn ausgegraben hat. Eine Ausstellung muss aber für alle funktionieren, auch für die, die sich nicht auskennen. Ich habe vorgeschlagen, Herodes’ Trauerzug zu inszenieren, der von Jericho bis zum Herodion führte. Auf so einem Trauerzug wird geredet, da klatscht man, erinnert sich an den Verstorbenen, nicht immer gut. Und am Ende steht man am Grab. Eine Ausstellung passiert in der Zeit. Sie ist nicht dreidimensional, sondern hat vier Dimensionen, so wie eine Oper oder ein Film. Du überlegst dir, wie du den Besucher empfängst, welche Gefühle du wann evozieren willst, welche Höhen und Tiefen es gibt, wann der Besucher ruhen kann, du ihn mit Eindrücken überschüttest.
Sie haben als Designer sowohl Ausstellungen gestaltet als auch medizinische Geräte. Der Unterschied ist gar nicht so groß. Man muss sich überlegen, wie ein Produkt in seiner Umgebung funktioniert: Im einen Fall hast du Chirurgen, Krankenschwestern, technisches Personal, den Patienten – und musst etwas entwickeln, was sich in dieses komplexe Zusammenspiel einfügt. Wenn du eine Schau für Kinder designst, ist es ähnlich: Du hast Eltern, Kinder im Kinderwagen, ältere Kinder, alle müssen etwas finden, was sie anspricht, gleichzeitig musst du den Wünschen des Kurators entsprechen und auf das Reinigungspersonal Rücksicht nehmen. Und am Ende muss es ökonomisch passen.
Wie kam es zu dem erdbebensicheren Schreibtisch, den Sie gemeinsam mit Arthur Brutter entworfen haben? Ich habe damals ein Seminar mit dem Titel „Voller Magen, leerer Magen“abgehalten. In einem ersten Schritt mussten die Studenten jemanden suchen, der alles hat oder zu haben glaubt. Und dann jemanden, der hungrig ist – wirklich oder im übertragenen Sinn. Sie mussten sich überlegen, was diese Menschen brauchen könnten. Dieser Student hat das Foto einer verschütteten Schule in Haiti gesehen und wollte einen erdbebensicheren Schreibtisch designen. Letztlich entwickelten wir ihn dann gemeinsam. Der Tisch wurde in Ausstellungen gezeigt, in die MoMA-Sammlung aufgenommen, aber ich war trotzdem frustriert: Ich wollte ja nicht, dass der Tisch in einem Museum steht, sondern in einem Dorf am Himalaja oder in Südamerika! Mittlerweile arbeiten wir mit der Regierung von Bhutan zusammen und mit den dortigen Betrieben. Nächste Woche werde ich hinfliegen. Die erste Serie an Tischen ist gerade fertig geworden.