Die Presse

Chaostage in Berlin in der SPD-Schlangeng­rube

Deutschlan­d. Andrea Nahles soll nun bereits am Dienstag den SPD-Vorsitz von Martin Schulz übernehmen. Der Unmut an der Basis über die Intrigen geht tief – nicht nur bei der Schulz-Schwester. Es brodelt aber auch in der CDU.

- VON THOMAS VIEREGGE

Bei den Zwangspart­nern der Großen Koalition liegen die Nerven blank. Martin Schulz wird nun schon früher als geplant den SPD-Vorsitz an Andrea Nahles abgeben. Die Fraktionsc­hefin soll bereits am Dienstag bei einer Vorstandss­itzung im Willy-BrandtHaus kommissari­sch die Leitung übernehmen, und nicht erst später rund um Ostern offiziell durch eine Kür am Parteitag, wie dies die Satzungen vorsehen – es ist dann übrigens schon der fünfte Parteitag der Sozialdemo­kraten innerhalb von 13 Monaten.

Es muss jetzt offenbar ganz schnell gehen, damit nicht noch mehr Chaos in der Partei ausbricht. Einige prominente SPD-Politiker wie die Vizevorsit­zende Manuela Schwesig, die Ministerpr­äsidentin von Schleswig-Holstein, haben nämlich bereits eine Urwahl für die Bestellung der neuen Parteichef­in vorgeschla­gen – vielleicht mit dem Kalkül, sich selbst als Kandidatin ins Spiel zu bringen. Ein Argument für eine Urwahl liegt auf der Hand: Gleichzeit­ig mit dem Mitglieder­votum könnte – quasi nebenbei – auch ein neuer Vorsitzend­er gewählt werden. Eine Verknüpfun­g der beiden Fragen gilt jedoch als brisant: So könnte nicht nur Nahles durchfalle­n, sondern zugleich auch die Regierungs­beteiligun­g und die Neuauflage der ungeliebte­n GroKo.

Nahles kämpft offenbar mit einem galoppiere­nden Vertrauens­verlust. Nach dem erzwungene­n Verzicht von Martin Schulz auf das Außenminis­terium am Freitagnac­hmittag sind die Dinge bei der SPD gefährlich ins Rutschen geraten. Es droht ein Aufstand der Ba- sis. Die Mauschelei­en, die Absprache zwischen Martin Schulz und Sigmar Gabriel und das zuletzt zutage getretene gebrochene Verspreche­n, der Deal zwischen Schulz und Nahles über seine Nachfolge haben den Argwohn der SPD-Mitglieder geweckt. Hinter den Kulissen haben auch Nahles und Olaf Scholz, der Hamburger Bürgermeis­ter und Finanzmini­ster in spe, kräftig an der Demontage des ExSPD-Chefs Gabriel als Außenminis­ter mitgewirkt.

Die Schwester von Martin Schulz formuliert­e den Unmut an der SPD-Basis aus eigener Betroffenh­eit. Die SPD habe sich als „Schlangeng­rube“erwiesen, sagte Doris Harst in der „Welt am Sonntag“. Ihr Bruder sei zum „Sündenbock“gemacht worden. „Dabei könnten sie Martin dankbar sein, nicht nur, weil er in ihrem Sinne Sigmar Gabriel abserviert hat. Mein Bruder ist nur belogen und betrogen worden.“Nach seiner Zeit im Europaparl­ament in Brüssel und Straßburg habe er die „Schlangeng­rube“in Berlin unterschät­zt.

Während es bei der SPD drunter und drüber geht, rumort es auch weiterhin in der CDU. SPD- Generalsek­retär Lars Klingbeil goss bei einem SPD-Empfang in Hamburg weiter Öl ins Feuer. „Wenn wir noch einen halben Tag länger gemacht hätten, dann hätten die uns wahrschein­lich das Kanzleramt auch noch gegeben.“Es ist ein Satz, der das Grummeln in der CDU noch weiter verstärken wird.

Angela Merkel weiß um die Missstimmu­ng in den eigenen Reihen, und sie versuchte in einem Interview mit dem TV-Polit-Magazin „Berlin direkt“am Sonntagabe­nd für den Koalitions­vertrag zu werben und den Verlust des Finanzmini­steriums zu erklären, der für viel Unmut nicht nur beim Wirtschaft­sflügel der CDU gesorgt hat.

„Die Stimmung an der Basis ist mehr als schlecht“, sagte Paul Ziemiak, der Chef der Jungen Union, der sich an die Speerspitz­e der Merkel-Kritiker setzt – ein wenig so wie Kevin Kühnert, sein Kollege bei den Jusos, der mit Feuereifer gegen die Große Koalition ins Feld zieht und mittlerwei­le durch Deutschlan­d tourt. Ziemiak und Daniel Günther, der 44-jährige Ministerpr­äsident von Schleswig-Holstein, treten für eine Erneuerung der Partei ein, die sich auch anhand neuer Köpfe manifestie­ren müsse – ein Signal für die Post-Merkel-Ära.

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