Chaostage in Berlin in der SPD-Schlangengrube
Deutschland. Andrea Nahles soll nun bereits am Dienstag den SPD-Vorsitz von Martin Schulz übernehmen. Der Unmut an der Basis über die Intrigen geht tief – nicht nur bei der Schulz-Schwester. Es brodelt aber auch in der CDU.
Bei den Zwangspartnern der Großen Koalition liegen die Nerven blank. Martin Schulz wird nun schon früher als geplant den SPD-Vorsitz an Andrea Nahles abgeben. Die Fraktionschefin soll bereits am Dienstag bei einer Vorstandssitzung im Willy-BrandtHaus kommissarisch die Leitung übernehmen, und nicht erst später rund um Ostern offiziell durch eine Kür am Parteitag, wie dies die Satzungen vorsehen – es ist dann übrigens schon der fünfte Parteitag der Sozialdemokraten innerhalb von 13 Monaten.
Es muss jetzt offenbar ganz schnell gehen, damit nicht noch mehr Chaos in der Partei ausbricht. Einige prominente SPD-Politiker wie die Vizevorsitzende Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, haben nämlich bereits eine Urwahl für die Bestellung der neuen Parteichefin vorgeschlagen – vielleicht mit dem Kalkül, sich selbst als Kandidatin ins Spiel zu bringen. Ein Argument für eine Urwahl liegt auf der Hand: Gleichzeitig mit dem Mitgliedervotum könnte – quasi nebenbei – auch ein neuer Vorsitzender gewählt werden. Eine Verknüpfung der beiden Fragen gilt jedoch als brisant: So könnte nicht nur Nahles durchfallen, sondern zugleich auch die Regierungsbeteiligung und die Neuauflage der ungeliebten GroKo.
Nahles kämpft offenbar mit einem galoppierenden Vertrauensverlust. Nach dem erzwungenen Verzicht von Martin Schulz auf das Außenministerium am Freitagnachmittag sind die Dinge bei der SPD gefährlich ins Rutschen geraten. Es droht ein Aufstand der Ba- sis. Die Mauscheleien, die Absprache zwischen Martin Schulz und Sigmar Gabriel und das zuletzt zutage getretene gebrochene Versprechen, der Deal zwischen Schulz und Nahles über seine Nachfolge haben den Argwohn der SPD-Mitglieder geweckt. Hinter den Kulissen haben auch Nahles und Olaf Scholz, der Hamburger Bürgermeister und Finanzminister in spe, kräftig an der Demontage des ExSPD-Chefs Gabriel als Außenminister mitgewirkt.
Die Schwester von Martin Schulz formulierte den Unmut an der SPD-Basis aus eigener Betroffenheit. Die SPD habe sich als „Schlangengrube“erwiesen, sagte Doris Harst in der „Welt am Sonntag“. Ihr Bruder sei zum „Sündenbock“gemacht worden. „Dabei könnten sie Martin dankbar sein, nicht nur, weil er in ihrem Sinne Sigmar Gabriel abserviert hat. Mein Bruder ist nur belogen und betrogen worden.“Nach seiner Zeit im Europaparlament in Brüssel und Straßburg habe er die „Schlangengrube“in Berlin unterschätzt.
Während es bei der SPD drunter und drüber geht, rumort es auch weiterhin in der CDU. SPD- Generalsekretär Lars Klingbeil goss bei einem SPD-Empfang in Hamburg weiter Öl ins Feuer. „Wenn wir noch einen halben Tag länger gemacht hätten, dann hätten die uns wahrscheinlich das Kanzleramt auch noch gegeben.“Es ist ein Satz, der das Grummeln in der CDU noch weiter verstärken wird.
Angela Merkel weiß um die Missstimmung in den eigenen Reihen, und sie versuchte in einem Interview mit dem TV-Polit-Magazin „Berlin direkt“am Sonntagabend für den Koalitionsvertrag zu werben und den Verlust des Finanzministeriums zu erklären, der für viel Unmut nicht nur beim Wirtschaftsflügel der CDU gesorgt hat.
„Die Stimmung an der Basis ist mehr als schlecht“, sagte Paul Ziemiak, der Chef der Jungen Union, der sich an die Speerspitze der Merkel-Kritiker setzt – ein wenig so wie Kevin Kühnert, sein Kollege bei den Jusos, der mit Feuereifer gegen die Große Koalition ins Feld zieht und mittlerweile durch Deutschland tourt. Ziemiak und Daniel Günther, der 44-jährige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, treten für eine Erneuerung der Partei ein, die sich auch anhand neuer Köpfe manifestieren müsse – ein Signal für die Post-Merkel-Ära.