Die Presse

„Hut ab vor den Bauern!“

Interview. Die Arbeit im Weingarten sei eigentlich gut bezahlt, sagt der Kamptaler Winzer Fred Loimer. Leute, die sie machen wollen, findet er dennoch nur schwer. Darum arbeitet der Weinbauer rund um die Uhr. Abschalten kann er ohnehin nicht.

- VON JUDITH HECHT

Die Presse: Ihr Wohnhaus ist einen Steinwurf von Ihrem Weinkeller entfernt. Ist das gut? Fred Loimer: Ich kann nie abschalten. Aber das könnte ich wahrschein­lich auch nicht, wenn es weiter entfernt wäre. Als Selbststän­diger denkt man einfach 24 Stunden am Tag an seine Arbeit. Und beim Wein kommt dazu, dass man, wenn man gemütlich am Abend beim einem Glas zusammensi­tzt, wieder darüber spricht.

Es gibt also kein Entkommen? Schwer. Ich muss wirklich weiter weg sein, sonst komme ich auch am Sonntag hierher und drehe meine Runden im Keller. Aber vergangene­n November konnten Sie sich doch loseisen und auf Kur fahren. Ja, zum ersten Mal in meinem Leben. Und ich bin jetzt 53 Jahre alt, und es war dringend notwendig.

Was ist für Sie das Belastends­te an der Selbststän­digkeit? Das kommt darauf an. Wenn man allein ist, hat man wahrschein­lich Existenzän­gste. Wir haben mittlerwei­le zwischen zwanzig und vierzig Angestellt­e, und meine eigene Arbeit hat sich verändert. Plötzlich habe ich ganz andere Probleme, nämlich auch die aller Angestellt­en. Es geht nicht nur um die Verantwort­ung, die ich für sie habe. Es gibt auch Befindlich­keiten. Auf einmal hört jemand auf, und dann findet man wieder keinen Ersatz für ihn.

Mitarbeite­r für den Weinbau zu finden ist schwierig? Nicht nur schwierig, dramatisch. Es gibt anscheinen­d viele Menschen, die Arbeit suchen, aber nicht in der Landwirtsc­haft. Ich weiß aber nicht, warum. Denn die Bezahlung etwa für einen Traktorfah­rer ist gar nicht so schlecht.

Was verdient ein Traktorfah­rer bei Ihnen? Es kommt darauf an, wie gut er ist. Aber etwa zwei-, dreihunder­t Euro über dem Kollektivv­ertrag. Damit ist er etwa bei 1500 Euro netto. Viele pendeln für so einen Betrag täglich nach Wien. Natürlich ist es auch anstrengen­d, und nicht jeder Tag ist schön, aber wir arbeiten hier bio. Eigentlich ist es eine gesunde Arbeit.

Seit wann ist es so schwierig, Arbeitskrä­fte zu finden? Vor zwei, drei Jahren konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Mangel an Arbeitskrä­ften für uns ein Thema werden könnte. Hier ist ständig die Tür aufgegange­n, und dauernd hat jemand nach einem Job gefragt. Aber das ist vorbei.

War für Sie immer klar, dass Sie Weinbauer werden wollen? Es war immer klar und keine bewusste Entscheidu­ng. Ich soll schon als kleines Kind immer gesagt haben: „Ich will Papa werden.“Das habe ich nicht biologisch gemeint, sondern beruflich. Das Traktorfah­ren hat mir so getaugt.

Sie haben die Arbeit Ihres Vaters immer positiv erlebt? Nicht nur. Wenn ich in den Weingarten mitgehen musste, obwohl es heiß war und die Freunde etwas ganz anderes gemacht haben, war ich nicht begeistert. Einmal musste ich sogar einen Zelturlaub mit meinen Freunden abbrechen, weil der Wein zu füllen war.

Ihr Vater hat von Ihnen erwartet, dass Sie ihm nachfolgen? Ja schon, auch wenn nie darüber gesprochen wurde. Er hat mir immer versucht, eine gute Grundhaltu­ng zur Leistung vorzuleben. Haben Sie Ihre Nichtentsc­heidung je hinterfrag­t? Nach der Schule, als ich zu arbeiten begonnen habe. Das waren heftige Jahre. 1985 waren der Weinskanda­l, der den Markt ruiniert hat, und ein extremer Winterfros­t. Auch 1987 war ein extremer Winterfros­t, 1988 ein Spätfrost und 1990 ein verheerend­er Hagel. Danach waren 2000 Hektar komplett hin.

Wie genau Sie die Jahreszahl­en im Kopf haben! Weil diese Ereignisse so prägend waren. In fünf, sechs Jahren hatten wir nur zwei Ernten herinnen. Da habe ich schon überlegt, ob wir hier das Richtige machen. Aber von diesem Zeitpunkt an ist es bergauf gegangen. Und Bauern haben eine gewisse Leidensfäh­igkeit.

Haben Sie die? Ja! Schauen Sie sich an, was einem in dem Beruf alles passieren kann. Wenn ich höre, dass sich Lehrer aufregen, weil darüber diskutiert wird, ob sie pro Woche vielleicht zwei Stunden mehr unterricht­en sollen, kann ich nur sagen: Hut ab vor den Bauern! Sie haben zur Arbeit eine ganz andere Einstellun­g.

War die Übergabe des Betriebs von Ihrem Vater auf Sie einfach? Es gab massive Kämpfe. Wir hatten einen enormen Generation­skonflikt. Übergeben ist etwas Heftiges, vor allem für den, der es tun muss. Das, was hier entstanden ist, ist wahrschein­lich deshalb entstanden. Als ich begann, war dieser Weinskanda­l, der für die Weinwirtsc­haft ein Wendepunkt war. Ich und viele andere in meinem Alter wollten die alte Generation spüren lassen: „Ihr habt einen mächtigen Fehler gemacht!“

Das hört niemand gern. Nein, und mein Vater hat ja auch niemals mitgepansc­ht. Aber es war eine Zeit, in der die Winzer ihren Wein in seiner Qualität nicht einmal selbst geschätzt haben. Man hat halt seine Arbeit gemacht und an die Kunden geliefert. Eine große Idee war nicht dahinter. Und

ist ein Kamptaler Winzer, der nach seiner Ausbildung das Weingut von seinem Vater übernahm. Schon 2000 machte er von sich reden. Da baute er über einem alten Weinkeller einen schwarzen Betonkubus. Seine Weine verkauft er weltweit. Seit 2006 hat Loimer auf biologisch­dynamische Landwirtsc­haft umgestellt und produziert nur mehr Naturweine. die neue Generation wollte und musste alles anders machen. Wir haben andere Sorten ausprobier­t und Weine produziert, die zuvor als fehlerhaft gegolten hätten. Jetzt gibt es auch wieder einen Umbruch mit den Naturweine­n. Aber dafür bin ich noch nicht zu alt, sondern voll dabei.

2006 haben Sie auf biologisch­dynamische­n Weinanbau umgestellt. Was hat diese Umstellung wirtschaft­lich bedeutet? Das haben wir uns mit Sicherheit damals leider nicht so genau überlegt. Die konvention­elle Landwirtsc­haft ist entstanden, um damit besser Geld zu erwirtscha­ften. Die biologisch­e Landwirtsc­haft bringt durch den Wegfall von chemischen Hilfsmitte­ln deutlich mehr Aufwand und geringere Erträge.

Um wie viel sind die Produktion­skosten gestiegen? Sie haben sich verdoppelt.

Und der Wein ist teurer geworden. Im Durchschni­tt ist der Preis unserer Weine in den vergangene­n zehn Jahren um dreißig bis vierzig Prozent gestiegen.

Hatten Sie bei der Umstellung auf biologisch­e Landwirtsc­haft keinerlei wirtschaft­liche Motive? Doch, dahinter steckten durchaus wirtschaft­liche Gedanken: Da die Weine beim konvention­ellen Anbau die Tendenz hatten, alle gleich zu schmecken, dachten wir: Irgendwann wird sich nur mehr der billige Wein durchsetze­n. Wenn man aber individuel­le Qualität produziert, ist der Wein nicht austausch- und vergleichb­ar. Entweder schmeckt dem Kunden unser Wein oder nicht. Und so kriegt man – möglicherw­eise – echte Fans, die treu sind und die Preise zahlen. Und das gibt mir Sicherheit für unsere Zukunft auf dem Markt.

Das Konzept ist aufgegange­n. Es war schnell klar, dass es kein Zurück gibt. Das hängt aber eher mit der Arbeitswei­se zusammen. Wenn ich eine Wirtschaft­lichkeitsr­echnung mache, dann schiele ich öfter immer noch auf die Konvention­ellen, die sich schon leichter tun. Denn die Gefahren und Risken gibt es auch noch zwölf Jahre nach der Umstellung.

Das klingt nach Ängsten. Ja, schon. Ich kann mich an Situatione­n erinnern, in denen ich mir dachte: Den Tag überlebe ich jetzt nicht. Es gibt Jahre, in denen nichts glatt läuft – und womöglich regnet es dann auch noch bei der Ernte. Aber das Wichtigste ist, dass man trotzdem positiv bleibt, auch wenn’s extrem schwierig ist.

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