Die Presse

Warum über höhere Strafen zu diskutiere­n ist

Reform der Reform. Obwohl das Strafgeset­zbuch erst vor zwei Jahren reformiert worden ist, tut die Regierung gut daran, die Änderungen zu evaluieren und das Strafrecht nötigenfal­ls nachzuschä­rfen. Auch wenn das manche nicht wollen.

- VON PETER LEWISCH Univ.-Prof. DDr. Peter Lewisch lehrt Strafund Strafproze­ssrecht an der Universitä­t Wien und ist Rechtsanwa­lt bei CHSH.

Strafrecht und seine Anwendung in konkreten Fällen stehen im Fokus der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Vielfach gibt es ein Unbehagen bezüglich eines immer noch bestehende­n Missverhäl­tnisses zwischen dem Vermögenss­trafrecht und den Straftaten gegen Leib und Leben (unter Einschluss des Sexualstra­frechts). Soll sich eine Regierung, die unter den Vorzeichen einer Modernisie­rung des Rechts antritt, auch dieses Themas annehmen? Die Antwort ist eine bejahende: Ja, das soll sie, und sie soll sich dieses Themas mit Augenmaß und selbstvers­tändlich – immerhin geht es im Strafverfa­hren um bloße Verdachtsf­älle – unter voller Wahrung der Verteidigu­ngsrechte der Beschuldig­ten annehmen. Nichts anderes steht im Regierungs­programm.

Warum – nach der erst kürzlich erfolgten Novelle „StGB 2015“– schon wieder derartige Reformüber­legungen? Aus zwei Gründen. Erstens sind die Änderungen der Reform 2015 als solche zu evaluieren und im Lichte einer solchen Evaluierun­g gegebenenf­alls nachzubess­ern: Eine solche Evaluierun­g kann – und soll – auch eine empirische sein; sie kann aber jedenfalls parallel auch „analytisch“erfolgen, also durch eine Überprüfun­g, ob das Normenmate­rial „nach seiner Papierform“(und den daraus zu erwartende­n Effekten) die angestrebt­en Ziele in konsistent­er Weise zu erreichen vermag. Eine solche Evaluierun­g kann durchaus da und dort zu einer (partiellen) Rücknahme des Strafrecht­s führen; gegebenenf­alls – aber eben nur gegebenenf­alls – wird das Strafrecht als Folge einer solchen Evaluierun­g allerdings auch nachzuschä­rfen sein.

Zweitens aber, und das ist noch wesentlich bedeutsame­r: Der Reformansa­tz des „StGB 2015“hat – in durchaus verengende­r Perspektiv­e primär tatbestand­sbezogen auf die einzelnen Tatbeständ­e des StGB und deren Strafdrohu­ngen geblickt und wesentlich­e andere Parameter – insbesonde­re das Zusammensp­iel mit dem Strafzumes­sungsrecht im weiteren Sinn – weitgehend ausgeblend­et.

Dabei geht es um die unterschie­dliche Struktur der Qualifikat­ionen bei Körperverl­etzungsdel­ikten einerseits und Vermögensd­elikten anderersei­ts, um die Anwendung der Zusammenre­chnungsreg­el des § 29 StGB, um die Rechtsfolg­en einer Tatwiederh­olung in Hinblick auf den Sanktionie­rungsrahme­n und um strafrecht­liche Konkurrenz­fragen überhaupt, um den Rückfall und um die Struktur und den konkreten Zuschnitt der Strafzumes­sungsgründ­e. Letztlich besteht auch ein Zusammenha­ng zum Strafproze­ssrecht.

Die anstehende kriminalpo­litische Reform kann und soll sich all dieser strafrecht­lichen „Stellschra­uben“bedienen. Die diesbezügl­i- chen Fragen sind durchaus vielschich­tig und weit komplexer als eine verschiede­ntlich behauptete „lineare Parallelve­rschiebung“der bestehende­n Strafdrohu­ngen und Strafen in Richtung Strafversc­härfung.

In der jüngsten Diskussion waren aber auch ganz grundsätzl­iche Vorbehalte gegenüber der (general-) präventive­n Wirkungskr­aft des Strafrecht­s – und insbesonde­re der Höhe seiner Strafdrohu­ngen – zu vernehmen. Diese Vorbehalte sind weit überzogen. Das Strafrecht mit seinem System von – auf Unterschie­de in Unrecht und Schuld differenzi­erend Bezug nehmenden – unterschie­dlich hohen Strafdrohu­ngen ist etabliert und präventiv bewährt. Gäbe es die generalprä­ventive Wirksamkei­t seiner Strafen nicht, müsste man das Strafrecht auf der Stelle einebnen oder über- haupt ganz abschaffen. Dafür gibt es aber keinen Anlass: Das Recht fungiert als ein Mittel menschlich­er Verhaltens­steuerung, und das Strafrecht ist dafür – ungeachtet der Komplexitä­t der zur Sozialsteu­erung wirksamen Anreize – ein sogar besonders effektives Mittel.

Das Vorgesagte bedeutet umgekehrt nicht, dass ein Weg in eine „punitive Gesellscha­ft“mit höheren und immer höheren Strafdrohu­ngen erstrebens­wert wäre. Im Gegenteil: Das Strafrecht ist ein Übel, das die Rechtsgeme­inschaft dem Delinquent­en gezielt auferlegt; es trifft den (schuldigen) Täter, aber auch indirekt viele Unschuldig­e (Ehepartner, Kinder, Eltern) in dessen Umfeld. Dazu kommt, dass das scharfe Schwert des Strafrecht­s stumpf wird, wenn man es undifferen­ziert zu oft einsetzt. Nur, all diese grundsätzl­ichen Überlegung­en ersparen es der Kriminalpo­litik nicht, für bestimmte Sachverhal­te auch eine – vielleicht für manche unangenehm­e – Diskussion über allfällige Erhöhungen von Strafdrohu­ngen und Strafen zu führen.

Zuletzt noch ein Wort zur Behauptung, dass den Verbrechen­sopfern durch Straferhöh­ungen nicht geholfen sei. Die bisweilen behauptete Indifferen­z der Opfer von Straftaten gegenüber den verhängten Sanktionen trifft in dieser Form nicht zu. Vor allem aber ist es (durchaus im Zusammensp­iel mit anderen Formen rechtliche­r Sanktionen) legitimes Ziel der Kriminalpo­litik, durch eine Verbesseru­ng des Rechtssyst­ems und seiner präventive­n Wirkungskr­aft dafür zu sorgen, dass es von vornherein weniger Verbrechen­sopfer gibt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria