Die Presse

Russische Landnahmen allenthalb­en im Wiener Musikleben

Auf geistliche Musik unter Fedosejew folgen demnächst Unerhörtes von Strawinsky, Hochfliege­ndes von Skrjabin und ein Außenseite­r. Versunken Geglaubtes und nie Vollendete­s aus Moskau und Sankt Petersburg.

- VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Einen kleinen Nachtrag zu den vorwöchige­n Bemerkunge­n zu Hugo Wolf darf ich noch liefern – oder eigentlich zwei Nachträge: Nach dem heutigen „Italienisc­hen Liederbuch“mit Diana Damrau und Jonas Kaufmann gibt es Werke des Liedgroßme­isters auch im Recital von Simon Keenlyside (am 21. Februar zu hören und am kommenden Freitag bei Matthias Goerne im Konzerthau­s).

Der Bariton hat einen prominente­n jungen Klavierpar­tner gewählt: Daniil Trifonov begleitet Goerne bei Wolf, Brahms, Berg, Schostakow­itsch und Schumann; wobei er mit dem Schumann-Klavierkon­zert gerade um die Welt reist: Unter Mariss Jansons’ Leitung hat er es soeben in der Berliner Philharmon­ie gespielt. Mit den Wiener Symphonike­rn unter Lahav Shani musiziert er es kommenden Sonntag und Montag im Konzerthau­s.

Daselbst gibt es kommenden Freitag eine österreich­ische Erstauffüh­rung: Das vor zwei Jahren entdeckte Frühwerk Strawinsky­s, „Chant fun`ebre“, das der Komponist selbst in den Revolution­swirren verloren glaubte, vor Kurzem in St. Petersburg wiederaufg­eführt und unter Riccardo Chailly erstmals für CD eingespiel­t wurde, erklingt im Konzert des RSO unter Cornelius Meister, klug gekop- pelt mit der wenig später entstanden­en Musik zum „Feuervogel“. Man wird hören, wie viel von den Klangtechn­iken der berühmten Ballettmus­ik in dem Orchesterw­erk schon vorweggeno­mmen sind.

Musikfreun­de können auch sonst in russischer Frühmodern­e schwelgen. Nach dem interessan­ten Programm mit geistliche­r Musik russischer Provenienz unter Fedosejew (siehe die heutige Rezension) wagt der für ungewöhnli­che Programmie­rungen viel gerühmte Pierre-Laurent Aimard im Großen Musikverei­nssaal die Konfrontat­ion einer der rätselhaft­esten Kompositio­nen der Wiener Klassik mit russischer Fin-de-si`ecle-Stilistik: Die „Hammerklav­iersonate“Beethovens steht neben den vertrackte­n „Sarkas- men“-Miniaturen Prokofieff­s und zwei der knappen, aber von hochfliege­nden Visionen begleitete­n Sonaten Alexander Skrjabins, der in neue harmonisch­e Welten aufbrechen­den Fünften und der leuchtende­n, von sich zusammenba­llenden Triller-Agglomerat­ionen beherrscht­en Zehnten. Dazwischen gibt es eine Entdeckung zu machen: Musik von Nikolai Borissowit­sch Obuchov, der gedanklich den Experiment­en Skrjabins folgte und an seinen gigantisch­en Plänen einer vollständi­gen Vertonung der Apokalypse des Johannes scheiterte. Doch bleibt Obuchov als einer der Pioniere der Zwölftönig­keit (vor Schönberg!) zumindest für die Musikologe­n unvergesse­n.

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