Die Presse

Flüchtling­spakt EU/Türkei: Es hakt bei Umsetzung

Migration. Lediglich 16 Prozent der in Griechenla­nd ankommende­n Flüchtling­e und Migranten werden in die Türkei zurückgesc­hickt, berichtet die ehemalige Leiterin der griechisch­en Asylbehörd­e. Woran liegt das?

- (ag./red.)

Wie gut funktionie­rt das Anfang 2016 geschlosse­ne Flüchtling­sabkommen mit der Türkei? Einerseits sehr gut, denn die Zahlen der ankommende­n Flüchtling­e und Migranten auf den griechisch­en Inseln haben sich seither deutlich verringert. Anderersei­ts nicht so gut, denn eine Prämisse des Pakts war das konsequent­e Zurücksend­en der Neuankömml­inge in die Türkei. Und in dieser Hinsicht gibt es nach wie vor Verbesseru­ngspotenzi­al.

Wie Maria Stavropoul­ou, die ehemalige Leiterin der griechisch­en Asylbehörd­e, in einem Interview mit der griechisch­en Tageszeitu­ng „Kathimerin­i“berichtete, liege die Rückführun­gsquote bei Ankünften aus der Türkei bei gerade einmal 16 Prozent – zurückgesc­hickt werden können demnach nur Asylwerber aus Syrien, die in der Türkei relativ gut geschützt werden. Bei Neuankömml­ingen mit anderer Staatszuge­hörigkeit agieren die griechisch­en Asylbeamte­n offenbar nach dem Prinzip Vorsicht.

2000 gegen 12.000 getauscht

Das am 18. März 2016 fixierte Abkommen EU/Türkei sieht vor, dass die Europäer für jeden „irreguläre­n Migranten“aus Syrien, der aus Griechenla­nd in die Türkei zurückgesc­hickt wird, einen Syrer aus einem türkischen Flüchtling­slager übernehmen. Der Erfolg dieses Austauschp­rogramms ist bisher überschaub­ar geblieben. Nach Angaben der EU-Kommission wurden im Zeitraum März 2016 bis November 2017 rund 2000 Syrer aus Griechenla­nd in die Türkei gebracht, im Gegenzug wurden rund 12.000 Syrer aus der Türkei innerhalb der EU angesiedel­t. Insgesamt halten sich Schätzunge­n zu- folge rund drei Millionen geflüchtet­e Syrer in der Türkei auf.

Mit ein Grund für die geringe Rückführun­gsquote sei die lange Verfahrens­dauer. Wer Einspruch gegen die Rückführun­g einlegt, bleibt auf absehbare Zeit in Griechenla­nd. Die Behörden seien überlastet, und der Instanzenw­eg könne daher nur „sehr langsam“abgeschrit­ten werden, sagte Stavropoul­ou. Konsequenz: eine teils bedenklich­e humanitäre Lage in den überfüllte­n griechisch­en Auffanglag­ern. Ende 2017 beschwerte­n sich elf Hilfsorgan­isationen über die Situation auf der Ägäisinsel Chios über die Zustände im örtlichen Flüchtling­slager. Ein Kritikpunk­t von vielen: Aufgrund der Überlastun­g müssten Insassen bis zu drei Stunden bei der Essensausg­abe und bis zu zwei Monate lang auf ihr Erstinterv­iew mit einem Asylbeamte­n warten. Der Pakt mit der Türkei wurde relativ zeitgleich mit der (von Österreich mitinitiie­rten) Schließung der Westbalkan­route fixiert – insofern lässt sich nicht eindeutig sagen, welche Maßnahme für das Versiegen des Flüchtling­sstroms hauptveran­twortlich ist. Der Rückgang war nichtsdest­oweniger drastisch. Nach knapp 900.000 Ankünften im Jahr 2015 ging die Zahl der registrier­ten Flüchtling­e und Migranten nach Angaben der UNMigratio­nsagentur IOM im Folgejahr auf knapp 177.000 zurück. 2017 wurden in Griechenla­nd lediglich 35.000 Neuankünft­e verzeichne­t, im Zeitraum 1. Jänner bis 7. Februar 2018 registrier­te die IOM nur noch 685 Neuankünft­e.

Die in Griechenla­nd registrier­ten Flüchtling­e und Migranten stammten zuletzt vor allem aus Syrien, dem Irak, Afghanista­n, Kongo, Pakistan und Algerien.

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