Gegen Frankreichs Cinephile ist Dirty Harry chancenlos
Warner Pictures versuchte, die französische Filmpresse im Vorfeld von Clint Eastwoods neuem Film zu boykottieren. Das ging nach hinten los. Wollte Warner nur Jubeltexte, keine kritischen Analysen?
Clint Eastwoods neuer Spielfilm „The 15:17 to Paris“handelt von den Ereignissen an Bord jenes Zugs von Amsterdam nach Paris, der am 21. August 2015 um ein Haar Schauplatz eines terroristischen Massenmords geworden wäre. Drei amerikanische Burschen (zwei davon aktive Mitglieder der US-Streitkräfte) überwältigten damals mit großem Mut einen marokkanischen Attentäter, der mit einem KalaschnikowSturmgewehr aus einer der Toiletten auf die Passagiere losgestürmt war. Im Film spielen die drei Amerikaner sich selbst, sie sind wie geschaffen für ein Epos heldischer Unbeugsamkeit, wie es Eastwood zuletzt mit „American Sniper“und „Sully“(über jenen Piloten, der eine Passagiermaschine sicher auf dem Hudson River bruchlandete) auf die Leinwände brachte.
So weit, so gut (beziehungsweise klischeehaft), wäre da nicht ein winziges Sandkörnchen in die globale Vermarktungsmaschine der Produktionsund Vertriebsfirma Warner Bros. Pictures geraten. In den USA hatte „The 15:17 to Paris“nämlich vorigen Freitag Premiere – in Frankreich aber schon zwei Tage zuvor. Irgendein Mensch bei Warner nahm diese Asynchronie in der globalen Vermarktung zum Anlass, Frankreichs Filmpresse von den üblichen Vorabvorführungen des Films auszusperren. „Le Parisien“erfuhr, dass dieser Printboykott damit begründet wurde, dass es eben eine weltweite Sperrfrist für Berichte über den Film gebe, die bis Freitag gelte.
Das mag man verstehen, es wird aber durch den Umstand ins Absurde gezogen, dass die drei jungen Heroen seit Wochen in Frankreich auf Werbetour für den Streifen sind und, nolens volens, ausgewählten Hochglanzmagazinen und Fernsehshows angedient werden. Wollte hier ein HollywoodKonzern gefällige Jubelstorys, aber keine kritische Auseinandersetzung?
Dieser Verdacht verdichtet sich, wenn man sich vor Augen führt, dass zum Beispiel die „New York Times“ den Film schon am Mittwoch online rezensierte (und vollmundig lobte). Galt hier die Sperrfrist nicht?
In Frankreich hingegen wird der Film verrissen. Szenen wie aus einer „traditionellen Seifenoper“, urteilte „Le Monde“. „Hier gibt es nichts zu retten“, titelte „Tel´erama“.´ Didier Pe-´ ron von der „Liberation“´ sah den Film in einem „menschenleeren Kinosaal“in Paris und geißelte „eine fälschlich wahrheitsgetreue Fiktion, die vor Ideologie trieft“, wonach die Vereinigten Staaten und ihre Bürger von „messianischen Kräften getragen werden“. Frankreich und Eastwood: Das wird so schnell keine große Liebe mehr.