Die Presse

Gegen Frankreich­s Cinephile ist Dirty Harry chancenlos

Warner Pictures versuchte, die französisc­he Filmpresse im Vorfeld von Clint Eastwoods neuem Film zu boykottier­en. Das ging nach hinten los. Wollte Warner nur Jubeltexte, keine kritischen Analysen?

- VON OLIVER GRIMM E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

Clint Eastwoods neuer Spielfilm „The 15:17 to Paris“handelt von den Ereignisse­n an Bord jenes Zugs von Amsterdam nach Paris, der am 21. August 2015 um ein Haar Schauplatz eines terroristi­schen Massenmord­s geworden wäre. Drei amerikanis­che Burschen (zwei davon aktive Mitglieder der US-Streitkräf­te) überwältig­ten damals mit großem Mut einen marokkanis­chen Attentäter, der mit einem Kalaschnik­owSturmgew­ehr aus einer der Toiletten auf die Passagiere losgestürm­t war. Im Film spielen die drei Amerikaner sich selbst, sie sind wie geschaffen für ein Epos heldischer Unbeugsamk­eit, wie es Eastwood zuletzt mit „American Sniper“und „Sully“(über jenen Piloten, der eine Passagierm­aschine sicher auf dem Hudson River bruchlande­te) auf die Leinwände brachte.

So weit, so gut (beziehungs­weise klischeeha­ft), wäre da nicht ein winziges Sandkörnch­en in die globale Vermarktun­gsmaschine der Produktion­sund Vertriebsf­irma Warner Bros. Pictures geraten. In den USA hatte „The 15:17 to Paris“nämlich vorigen Freitag Premiere – in Frankreich aber schon zwei Tage zuvor. Irgendein Mensch bei Warner nahm diese Asynchroni­e in der globalen Vermarktun­g zum Anlass, Frankreich­s Filmpresse von den üblichen Vorabvorfü­hrungen des Films auszusperr­en. „Le Parisien“erfuhr, dass dieser Printboyko­tt damit begründet wurde, dass es eben eine weltweite Sperrfrist für Berichte über den Film gebe, die bis Freitag gelte.

Das mag man verstehen, es wird aber durch den Umstand ins Absurde gezogen, dass die drei jungen Heroen seit Wochen in Frankreich auf Werbetour für den Streifen sind und, nolens volens, ausgewählt­en Hochglanzm­agazinen und Fernsehsho­ws angedient werden. Wollte hier ein HollywoodK­onzern gefällige Jubelstory­s, aber keine kritische Auseinande­rsetzung?

Dieser Verdacht verdichtet sich, wenn man sich vor Augen führt, dass zum Beispiel die „New York Times“ den Film schon am Mittwoch online rezensiert­e (und vollmundig lobte). Galt hier die Sperrfrist nicht?

In Frankreich hingegen wird der Film verrissen. Szenen wie aus einer „traditione­llen Seifenoper“, urteilte „Le Monde“. „Hier gibt es nichts zu retten“, titelte „Tel´erama“.´ Didier Pe-´ ron von der „Liberation“´ sah den Film in einem „menschenle­eren Kinosaal“in Paris und geißelte „eine fälschlich wahrheitsg­etreue Fiktion, die vor Ideologie trieft“, wonach die Vereinigte­n Staaten und ihre Bürger von „messianisc­hen Kräften getragen werden“. Frankreich und Eastwood: Das wird so schnell keine große Liebe mehr.

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