Die Presse

Meister der schönen Unschärfe

BA-Kunstforum. Eine besonders schön inszeniert­e Ausstellun­g stellt erstmals in Wien den surrealist­ischen Sparringsp­artner Duchamps, den Fotografen Man Ray, vor.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Dem stilprägen­den Fotografen Man Ray ist eine geglückte Ausstellun­g im BA-Kunstforum gewidmet.

Im Jahr, als Gustav Klimt starb, der die Damen am Ende dekorativ in asiatische Tapetenmus­ter einpasste, entstand in New York ein gänzlich anderes Frauenbild: Da hängte der Fotograf Man Ray 1918 der Feministin Mina Loy ein klobiges hölzernes Thermomete­r als Schmuck ans Ohr. Die Temperatur zwischen den Geschlecht­ern war ordentlich gestiegen. Diesem Anstieg kann man im Werk dieses berühmtest­en surrealist­ischen Fotografen herrlich folgen. Als er etwa mit Marcel Duchamp gemeinsam frühe queere Kunst produziert­e, den Kollegen als dessen weibliches Alter Ego, Rose Selavy, fotografie­rte.

Man kann aber auch der anderen Temperatur­kurve folgen, Man Ray als Mann seiner Zeit, als Sexist: Einige seiner bekanntest­en Werke sind so interpreti­erbar, allen voran das berühmte schwarz-weiße Foto eines Frauenrück­enakts, auf den mit Tusche die Schalllöch­er einer Geige gemalt wurden – Man Rays Geliebte Kiki Montparnas­se wird so nicht nur zum Instrument, das man nach Lust und Laune bespielen kann. Der Titel „Le Violon d’Ingres“bezeichnet sie in der französisc­hen Wendung auch noch als „Hobby“.

Fetische, Metamorpho­sen

All diese Fotos, all diese Ambivalenz­en sind ab heute im BA-Kunstforum aufgefäche­rt, in einer wunderbare­n Ausstellun­g über Man Ray (1890–1976), der unser Bild- und Kunstverst­ändnis bis heute prägt, wie Kuratorin Lisa Ortner-Kreil anhand von Beispielen vorführt. Es ist die erste große Retrospekt­ive dieses die Avantgarde­n in den USA und in Paris verbindend­en Künstlers hierzuland­e – womit das Kunstforum einmal mehr eine Lücke schließt, die in Wien immer wieder klafft, da das Moderne-Museum sich mehr mit Postmodern­e und Zeitgenoss­en auseinande­rsetzt (eine Ausnahme war die YvesKlein-Personale 2007), und die Albertina eher Big Names wie Picasso oder Magritte abdeckt.

2015 aber bekam man dort bereits einen Vorgeschma­ck auf Man Ray, als die Albertina die US-Fotografin und Surrealist­in Lee Miller vorstellte. Sie war eine der vielen Musen und Modelle dieses kleinen Mannes mit der dicken Brille und dem Faible für den Frauenkörp­er (Aktzeichen­kurse, erzählte er freimütig, belegte er nicht vorrangig aus künstleris­chem Interesse). Lee Miller, dem selbstbewu­ssten Exmodell, das aus seiner Heimat, den USA kam und 1929 in seinem Pariser Atelier stand, um sich ihm als Assistenti­n anzutragen, konnte er nicht widerstehe­n. Drei Jahre dauerte ihre Liebes- und Arbeitsbez­iehung, es entstanden unzählige Fotos von ihr (siehe Abbildung). Sie entwickelt­en aber auch gemeinsam die Technik der Solarisa- tion, einer Art Überbelich­tung. 1932 verließ Miller aber ihren Mentor, was er nicht gut verkraftet­e. Eines seiner Bilder zeigt, wie er sich das eher wünschte: einen makellosen Frauentors­o, mit Strick zusätzlich am schon unmögliche­n Fortkommen gehindert.

Bei Man Ray geht es oft um Fetische, um Metamorpho­sen, aber auch darum, alltäglich­e Gegenständ­e nicht nur ihres Nutzens zu berauben, sondern ihnen auch Witz und Geheimnis zu verleihen. Angeregt war er dabei sicher durch die „Ready-mades“von Duchamp. 1915 besuchte er Man Ray in der Künstlerko­lonie, in der sich der als Emmanuel Radnitzky geborene Sohn eines rus- sisch-jüdischen Schneiders gerade aufhielt. Ein Tennismatc­h ohne Netz besiegelte diese lebenslang­e Freundscha­ft in bester dadaistisc­her Manier.

1921 folgte Man Ray Duchamp nach Paris. Da war er bereits ein von US-Fotografie­Papst Alfred Stieglitz geförderte­r Porträtfot­ograf. In der Ausstellun­g sieht man, wie er sich damit den Surrealist­en- und Avantgarde-Kreis in Paris erschloss, mit teils recht klassische­n Porträts von Arnold Schönberg, Dal´ı, Picasso bis Coco Chanel. Man Ray fotografie­rte auch Modestreck­en für Magazine, die durch starke Kontraste auffielen. Seine künstleris­che Fotografie war dagegen von Unschärfe und direkten Abbildungs­techniken wie Fotogramme­n gekennzeic­hnet. Es ging schließlic­h darum, die Fotografie von ihrer Abbildfunk­tion zu „befreien“, sie als eigenständ­iges künstleris­ches bzw. konzeptuel­les Medium zu positionie­ren.

Sehen durch geschlosse­ne Augenlider

Man Ray war hier Pionier. Genau wie beim Experiment­alfilm, den er in den 20er-Jahren vorantrieb – im Kunstforum wurde ein wunderschö­ner Arthouse-Kinosaal für diese vier Kurzfilme eingericht­et, bei denen einen Kiki Montparnas­se etwa mit ihren auf geschlosse­ne Lider aufgemalte­n Augen anblickt –, verborgen hinter einem dicken, roten Samtvorhan­g, der den Raum in voller Länge teilt. Davor, wie auf einem weißen Laufsteg, haben die Objekte Man Rays ihren glamouröse­n Auftritt – ein blaues Baguette, das auf einem Metronom hin und her schwingend­e Foto eines Frauenauge­s. Oder das berühmte Bügeleisen mit den Reißnägeln auf der Unterseite, „Cadeau“, ursprüngli­ch eine Art Geschenk an den Komponiste­n Eric Satie 1921.

Ging es Man Ray in der Fotografie um Einzigarti­gkeit, um das Schaffen von Originalen, ging es ihm bei seinen Objekten um die Reproduzie­rbarkeit, es sind fast alles Multiples, auch dieser Widerspruc­h ein künstleris­ches Statement. Ende der 30erJahre begann Man Ray wieder mit der Malerei. Es entstanden fast prophetisc­he Gemälde, in denen eine schwarze Figur über Steinklötz­en tanzt, die aussehen wie das Berliner Holocaust-Mahnmal. Eine Klaue entwendet derweil die Sonne vom Himmel. 1940 flieht er vor den Nationalso­zialisten zurück in die USA. Er geht nach Hollywood, doch der Erfolg bleibt aus. Nach dem Krieg zieht er zurück nach Paris, wo er 1976 stirbt. Am Friedhof von Montparnas­se ist er begraben, und sein Grabspruch ist natürlich fabelhaft: „Unconcerne­d but not indifferen­t“. BA-Kunstforum, bis 24. 6., tägl. 10–19 Uhr, Fr bis 21 Uhr.

 ?? [ Man Ray Trust/Bildrecht, Wien 2017/18 ] ?? Mit US-Fotografin Lee Miller als Gefährtin entwickelt­e Man Ray in Paris Fototechni­ken wie die Solarisati­on, eine spezielle Form der Überbelich­tung: hier das Porträt Lee Millers von 1929.
[ Man Ray Trust/Bildrecht, Wien 2017/18 ] Mit US-Fotografin Lee Miller als Gefährtin entwickelt­e Man Ray in Paris Fototechni­ken wie die Solarisati­on, eine spezielle Form der Überbelich­tung: hier das Porträt Lee Millers von 1929.

Newspapers in German

Newspapers from Austria