Gegenwind für „SPD-Trümmerfrau“
Deutschland. Andrea Nahles sollte die SPD gestern kommissarisch übernehmen. Die 47-Jährige Fraktionschefin aus Rheinland-Pfalz hatte sich ihren Start wohl anders vorgestellt.
Die SPD scheint in diesen Tagen „Murphy’s Gesetz“zu gehorchen: „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“Der Rückzug von Parteichef Martin Schulz und sein Verzicht auf das Außenministerium beruhigten die SPD jedenfalls nur für einen kurzen Augenblick. Längst gibt es wieder Unmut, der sich an Schulz designierter Nachfolgerin Andrea Nahles (47) entzündet. Das ist bemerkenswert. Auf dem jüngsten Parteitag waren Fraktionschefin Nahles die Herzen zugeflogen, auch deshalb, weil ihre leidenschaftliche Rede ein Gegenentwurf zum kraftlosen Schulz-Auftritt gewesen war.
Am gestrigen Dienstag wollte der Parteivorstand Nahles die Aufgaben des Parteichefs übertragen. Spitzengenossen roch das jedoch nach Klüngelei an der Spitze. Die Landesverbände in Berlin und Schleswig-Holstein protestierten. Sie sahen in der vorübergehenden Machtübernahme eine Vorentscheidung zugunsten einer SPDChefin Nahles. Andere formulierten rechtliche Bedenken und bekamen dafür viel Presse.
„Chaostage beenden“
In der medial geschürten Aufregung ging indes unter, dass sich die gewichtigsten Genossen auf die Seite Nahles geschlagen hatten. Malu Dreyer zum Beispiel, die einflussreiche Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz: „Die SPD kann nicht führungslos bleiben“, sagte sie. Die ebenfalls bestens in der SPD verdrahtete Landeschefin in Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, sprach in die Mikrofone vor dem Willy-BrandtHaus: „Die SPD muss die Chaostage hinter sich lassen.“Zu Redaktionsschluss dauerte die Vorstandssitzung noch an.
So oder so muss der Parteichef auch gewählt werden. Der 47-Jährigen Nahles bläst nun Gegenwind aus dem hohen Norden entgegen, genauer aus Flensburg an der dänischen Grenze. Die SPD-Oberbürgermeisterin Simone Lange kündigte überraschend ihre Kandidatur für das SPD-Spitzenamt an. Bundesweit ist Lange, eine ehemalige Kripo-Beamtin ein unbeschriebenes Blatt – und daher ohne Chance auf den Parteivorsitz. Mit ihrer Kandidatur will sie jedoch verhindern, dass Nahles in den nächsten Monaten von den Funktionären „durchgewunken“wird. Eine Gegenkandidatur, so das Kalkül der Flensburgerin, soll eine Urwahl der Mitglieder erzwingen.
Wobei die SPD, zumindest im Vergleich zur CDU, schon bisher basisdemokratische Züge trägt. Allein seit März 2017 gab es vier Parteitage. Die CDU veranstaltete im selben Zeitraum: null. Und nun legen die Genossen ihren mehr als 460.000 Mitgliedern den Koalitionsvertrag zur Abstimmung vor. Von der Nordseeküste bis nach Bayern diskutieren sie deshalb in ihren Ortsvereinen, wie sie es mit einer dritten Großen Koalition unter Merkel halten. Anders als die CDU-Chefin will die SPD-Führung ihren Mitgliedern aber nicht verraten, wen sie an die Spitze der SPDMinisterien hieven will. Das schaffe nur böses Blut und lenke von den Inhalten ab, heißt es. Wobei das Schweigen die Spekulationen naturgemäß erst recht anheizt.
Rote Machtarithmetik
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz scheint als Finanzminister gesetzt. Drei von sechs Ministerien müssen an Frauen gehen. Katarina Barley, Barbara Hendricks und Eva Högl sind die Auserwählten. Hendricks (65) könnte Umwelt- und Barley (49) Familienministerin bleiben. Wobei die umgängliche Barley der „Joker“in der Personalplanung sein dürfte. Wie Högl könnte sie auch ins Justizressort wechseln. Oder wird die Tochter eines britischen Deutsche-Welle-Redakteurs die erste Außenministerin der Republik?
Ihr Name fällt jedenfalls genau so wie jener von Ex-SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Und Gabriel? Der Amtsinhaber lieferte seinen Gegnern eine Steilvorlage, als er Schulz in einem Interview mit einem angeblichen Zitat seiner Tochter beleidigte – „der Mann mit den Haaren im Gesicht“. Das kam schlecht an. Zwar ließ Gabriel streuen, dass ihm der Satz leidtue. Aber im Willy-Brandt-Haus hielt man das für ein durchsichtiges Manöver, mit dem sich Gabriel wieder ins Spiel bringen wolle. Das Problem des Ex-SPD-Chefs geht tiefer: Nahles hatte einst als SPD-Generalsekretärin unter Gabriels Sprunghaftigkeit gelitten.
Dass Gabriel überhaupt noch Chancen eingeräumt werden, hat damit zu tun, dass ihn die Deutschen schätzen, mehr jedenfalls, als das die eigene Partei tut.
Diese vertrackte Personalsituation erbt nun also Nahles, die „Trümmerfrau“der SPD, wie es nun heißt. Denn eine Insa-Umfrage weist ihre Partei nur noch bei 16,5 Prozent aus. Der SPD-Vorsitz ist indes ein Schleudersessel. Seit der Jahrtausendwende hat die Partei inklusive Schulz acht Chefs verschlissen, während an der CDUSpitze in dieser Zeit immer nur eine saß: Merkel.
In der SPD gärt es weiter: Nach dem Rücktritt des glücklosen SPD-Chefs Martin Schulz sollte gestern SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles kommissarisch mit dem Parteivorsitz beauftragt werden. Doch dagegen regte sich Widerstand.
In Berlin kamen am Dienstagnachmittag die Spitzen der Partei zusammen. Begleitet wurde das Treffen von massiver interner Kritik an einem Wechsel an der Spitze ohne Basisbeteiligung. Die Landesverbände in Berlin und Schleswig-Holstein sprachen sich gegen die kommissarische Bestellung von Nahles aus. Stattdessen wollten sie, dass bis zu einem Parteitag einer der Stellvertreter des scheidenden Parteichefs Martin Schulz den Vorsitz übernimmt. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange kündigte sogar ihre Gegenkandidatur zu Nahles beim nächsten Parteitag an.