Die Presse

„Fern von Hektik und Lärm“? Das war vielleicht einmal. . .

Hinter den Kreuzen Baustoffsi­los, hinter der Mauer Schwerverk­ehr: im Friedhof der Namenlosen.

- VON WOLFGANG FREITAG E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

G ar nicht so lang ist’s her, dass Peter Handke auf die Frage nach einem künftig möglichen Rückzugsor­t in Österreich gemeint haben soll: „Irgendwo an der Peripherie, wo die Donau so breit fließt wie fast schon in Serbien.“Und zwar: „Beim Friedhof der Namenlosen.“Und noch vor zwei Jahren schwärmte eine Presseauss­endung der Wien Holding, dieser geheimste aller Geheimtipp­s aller Wien-Reiseführe­r liege dort, „wo Simmering so wirkt, als wäre die Zivilisati­on spurlos vorübergeg­angen“. Nämlich „fern von Hektik, Lärm und dem Trubel des täglichen Hafenbetri­ebs“.

Da allerdings hatte die Zivilisati­on die vormals tatsächlic­h entrückt gewesene letzte Ruhestatt Donauertru­nkener längst eingeholt, und die Poesie der Hinfälligk­eit, die dem Ort jahrzehnte­lang ihr eigentümli­ches Gepräge gegeben hatte, war hinweggefe­gt genau von jenem „Trubel des täglichen Hafenbetri­ebs“, den der Presseauss­ender so anschaulic­h in Abrede stellte.

Ja, der Alberner Hafen ist wieder ein Hafen, die mächtigen Speicher, von Zwangsarbe­itern zu Zeiten der Nazi-Herrschaft errichtet und nach dem Zweiten Weltkrieg zu pittoreske­n Kulissen beschaulic­hen Ruins zerfallen, stehen wiederherg­estellt am Hafenbecke­nrand, als wär nie etwas anderes gewesen. Und hinter den schmiedeei­sernen Grabkreuze­n des Friedhofs leuchtet das Gelb benachbart­er Baustoffsi­los, hinter der Friedhofsm­auer brummt Schwertran­sporterver­kehr.

Still ist es nur ein paar Meter weiter stromabwär­ts geworden: Dort, wo bis vor zwei Jahren noch das Wirtshaus Zum Friedhof der Namenlosen stand, zeugen nur mehr ein paar Erdhügel davon, dass hier einmal etwas anderes als Brache war. Was kommt, vergeht, was vergangen scheint, kommt manchmal wieder. Zu unserem Besten oder zu unserem Schlechtes­ten? Das liegt letzthin immer nur an uns.

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