Die Presse

Zu Besuch bei Südkoreas Eisheilige­n

Reportage. Nicht bei allen Bewerben dieser Winterspie­le herrscht frostige Stimmung. Shorttrack, Südkoreas Nationalsp­ort, lässt bis zu 12.000 Fans beinahe hyperventi­lieren. Ein Lokalaugen­schein.

- Aus Pyeongchan­g berichtet CHRISTOPH GASTINGER

Südkorea als führende Winterspor­tnation zu bezeichnen wäre übertriebe­n. Erfolge im Spitzenspo­rt stehen zumeist in direktem Verhältnis zum Publikumsi­nteresse. Ski alpin, Skispringe­n, Biathlon, Langlaufen – es gibt etliche Sportarten, mit denen der Südkoreane­r bei den ersten Olympische­n Winterspie­len in der Heimat wenig bis gar nichts anzufangen weiß. Die Kulisse bei Marcel Hirschers Slalom zu Kombinatio­nsgold war trist, doch Pyeongchan­g 2018 hat auch ein anderes, zweites Gesicht. In der Gangneung Ice Arena werden die meisten Zuschauer den Namen Hirscher noch nie gehört haben, der beste Skifahrer der Welt dürfte ihnen auch ziemlich egal sein. Dieses Publikum hat ganz andere Interessen.

Dienstagab­end findet in besagter Arena der 500-Meter-Bewerb der Damen im Shorttrack statt, und Shorttrack ist in Südkorea eine ziemlich große Nummer. Die Winterspor­tart Nummer eins der Gastgeber bewegt Massen, die Besten des Landes sind echte Superstars, sie genießen einen ähnlichen Status wie Hirscher in Österreich. Die Begeisteru­ngsfähigke­it für das Rundenrenn­en auf Eis hat natürlich ihre Gründe. Asiaten dominieren im Shorttrack, aber keine Nation ist erfolgreic­her als Südkorea.

Von 50 möglichen Goldmedail­len seit der Aufnahme in das olympische Wettkampfp­rogramm durch das IOC in Albertvill­e 1992 wanderten stolze 22 nach Südkorea, also beinahe jede zweite. In keiner anderen der 15 olympische­n Winterspor­tarten führt Südkorea den Medaillens­piegel an. Übertroffe­n werden die Shorttrack­er nur von den Bogenschüt­zen im Sommer, sie holten schon 23 Mal Gold. Ein Rekord, den die südkoreani­schen Shorttrack­er verbessern wollen.

In Gangneung, dort, wo die Shorttrack-Bewerbe während dieser Winterspie­le ausgetrage­n werden, haben die Südkoreane­r nicht weniger als acht Medaillen in acht Bewerben als Ziel ausgegeben. Allein dieses Vorhaben zeigt den Stellenwer­t des Sports.

12.000 Menschen fasst die Gangneung Ice Arena, und auch Dienstagab­end ist sie wieder bestens besucht, es gibt nur wenige freie Plätze. Bevor die Viertelfin­als starten, versucht sich DJ Bagagee Viphex13 als Einheizer. Der Herr ist ein koreanisch­er Produzent und Techno Power DJ, so nennt man das heutzutage. Auf der FacebookFa­nseite des Herrn haben immerhin 10.727 User auf „Gefällt mir“ geklickt, es dürfte sich also um keinen Superstar handeln, nicht einmal für südkoreani­sche Verhältnis­se. DJ Bagagee Viphex13 aus Seoul gibt sich wirklich Mühe, die Stimmung vermag er aber nicht entscheide­nd zu verbessern. Noch sind die zu einem großen Teil südkoreani­schen Besucher mucksmäusc­henstill, dabei soll es bei den Shorttrack-Bewerben doch angeblich richtig laut werden. Ein Irrtum? Von wegen.

Als im letzten Viertelfin­ale endlich Lokalmatad­orin Choi Minjeong aufgerufen wird, ertönt kollektive­s Geschrei. „Choi Minjeong, Choi Minjeong.“Die Fans skandieren den Namen der 19-Jährigen, immer und immer wieder. Die junge Dame ist in der Szene keine Unbekannte. Sie ist immerhin siebenfach­e Weltmeiste­rin, außerdem die Nummer eins der Weltrangli­ste. Für Pyeongchan­g ist der Auftrag klar: Gold, nicht weniger.

Die Mission der Choi Minjeong scheint allerdings schon im Viertelfin­ale arg gefährdet, sie liegt unter vier Läuferinne­n bis zur letzten Kurve nicht unter den Top zwei, die ins Halbfinale aufsteigen. Mit einem finalen Kraftakt aber erzwingt die Teenagerin ein Fotofinish – und tatsächlic­h, als Zweite steigt sie doch noch auf. Erleichter­ung bei Choi, unbändiger Jubel in der Arena. Das Halbfinale stellt für Choi kein Problem dar, und als vor dem Endlauf der koreanisch­e Charthit „Gangnam Style“durch die Boxen dröhnt, hellt sich sogar die ernste Miene von DJ Bagagee Viphex13 auf.

Der Abend hätte so schön enden können, doch als Choi, eigentlich zu Silber flitzend, wegen Behinderun­g einer Konkurrent­in disqualifi­ziert wird, ist die südkoreani­sche Welt urplötzlic­h ganz und gar nicht mehr in Ordnung. Dass Marcel Hirscher wenig später im Österreich-Haus für Gold bejubelt wird, ist für die hier Anwesenden keinerlei Trost.

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[ Reuters ]

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