Die Meere schwellen rascher an, aber nicht immer und überall
Erwärmung. Eine neue, auf Satellitenmessungen gestützte Prognose, sieht eine Erhöhung der Meeresspiegel bis 2100 um 65 Zentimeter kommen. Einen ähnlichen Größenordnung legte zuletzt der Uno-Klimabeirat IPCC nahe. Diese Werte haben aber regional wenig Auss
Anno 2010/2011 gingen Klimaforschern die Augen über: Die Meeresspiegel stiegen nicht – um erwartete 3,2 Millimeter pro Jahr –, sie sie sanken, 7 Millimeter. Wie konnte das sein angesichts der Erwärmung, die unabwendbar die Meere steigen lässt, weil zum einen Gletscher schmelzen und zum anderen Wasser sich beim Erwärmen ausdehnt?
Schon das Messen der Meereshöhe ist eine hohe Kunst: Man braucht Referenzpunkte an Küsten. Aber nicht nur das Meer hebt und senkt sich, das Land tut es auch: In der Hudson Bay sinkt das Meer, weil sich die Küste um einen Zentimeter pro Jahr hebt, als Spätfolge der Eiszeit, deren Gletscher das Land zusammendrückten, nun entspannt es sich. Am Gelben Fluss hingegen steigt das Meer 25 cm im Jahr, weil das Land wegen Übernutzung von Grundwasser sinkt.
Messungen vom Land sind also mit Vorsicht zu genießen, deshalb halten seit 1993 Satelliten die Meere im Blick, „Topex-Poseidon“und „Jason“: Die können das Problem der Messgenauigkeit reduzieren, aber auch ihre Daten brauchen sorgsame Interpretation: 1991 etwa verdüsterte der Vulkan Pinatubo für zwei Jahre die Erde, damit kühlte er sie, das schlug sich in geringeren Anstiegen der Meere nieder.
„Das Klimasystem ist kompliziert“
Umgekehrt brachte das Klimaphänomen El Nin˜o 2010/2011 ungewöhnlich starke Regenfälle über Australien. Und dort gehen nur sechs Prozent der Niederschläge direkt ins Meer, viele Flüsse tragen ihre Frachten ins Landesinnere und füllen riesige Wannen. Daher das temporäre Sinken der Meere zu dieser Zeit, John Fasullo (US National Center for Climatic Research) bemerkte es und sah darin „eine hübsche Illustration dafür, wie kompliziert unser Klimasystem ist“.
Und nicht nur das Klima spielt mit bei den Meeresspiegeln: Die Hälfte ihres Anstiegs rechnet man Grundwasserentnahmen durch die Landwirtschaft zu, die dann an der Oberfläche abfließen. Umgekehrt haben neue Staudämme in den letzten Jahrzehnten so viel Wasser am Abfließen gehindert, dass der Anstieg der Meere gebremst wurde.
Bei Prognosen muss also viel mit bedacht werden, Steve Nerem (University of Colorado) hat es bei den Satellitendaten versucht, den Pinatubo ebenso eingerechnet wie El Nin˜o: Demnach haben sich die Meere in den letzten 25 Jahren um 2,9 Millimeter (+/- 0,4) im Jahr gehoben, von Jahr zu Jahr ein wenig mehr, 0,084 Millimeter (+/-0,025). Diese beschleunigte Erhöhung wird bis 2100 eine Erhöhung der Meeresspiegel um 65 Zentimeter (+/-12) bringen, ohne die Beschleunigung wären es halb so viel (Pnas 12. 2.).
Der Wert passt relativ gut zu dem, mit dem der Uno-Klimabeirat IPCC zuletzt rechnete: Erhöhung bis 2100 um 26 bis 82 Zentimeter. Allerdings handelt es sich um globale Zahlen mit regional geringem Informationswert: Die Meere sind nicht überall gleich hoch, und die Erwärmung hat nicht überall die gleichen Effekte: Wenn die Gletscher Grönlands so stark schmelzen würden, dass alleine dadurch ein globaler Anstieg um einen Meter käme, würde das Meer direkt bei Grönland um 2,5 Meter fallen, weil Eis weg wäre, dessen Gravitation das Wasser heute hält. Das ist natürlich ein Gedankenexperiment, aber jede Region braucht präzise Prognosen: Der New York City Panel of Climate Change hat eine von 30 bis 60 Zentimeter bis 2050 erarbeitet, deutsche Küstenschützer stellen sich auf 1,7 Meter bis 2100 ein.
Tuvalu absiedeln? Lieber nicht!
Sie werden die Deiche erhöhen, und anderswo braucht es auch regionalspezifische Reaktionen: Gerade wurde publiziert, dass die Bedrohung der kleinen Inselstaaten im Pazifik nicht so drückend ist wie lange angenommen. Zumindest ist sie es nicht bei dem Archipel, das die größten Sorgen machte, Tuvalu. Das wurde nicht vom Meer geschluckt, obwohl der Anstieg dort doppelt so hoch war wie im globalen Schnitt. Im Gegenteil, Tuvalu ist größer geworden (Nature Communications 9. 2.). Paul Kench (Auckland), der es bemerkt hat, empfiehlt, von Absiedlungsplänen Abstand zu nehmen und sich auf Küstenschutz zu konzentrieren.