Die Presse

Ein Milliardär zum Verachten

Film. Ridley Scotts „Alles Geld der Welt“dramatisie­rt die Entführung des Milliardär­enkels John Paul Getty III. Ein billiges Moralstück, das nur von den Schauspiel­ern aufgewerte­t wird.

- VON ANDREY ARNOLD

Er könne sich an diesen Ort erinnern, als ob es gestern gewesen wäre, versichert Milliardär John Paul Getty seinem Enkel, während sie durch die Ruinen der Villa Adriana hatschen. Als er die Kaiserresi­denz bei Tivoli zum ersten Mal sah, hätte er sofort gewusst: In einem früheren Leben war dies sein Zuhause. Vielleicht fragt man sich kurz: Meint er das ernst? Lange währt der Zweifel nicht. Römisches Herrscherb­lut fließt durch die Adern aller Gettys, lässt Opa den kleinen Buben wissen. Und es würde an ihm liegen, die Dynastie weiterzutr­agen.

1973 wird sein vermeintli­cher Liebling, nunmehr ein Teenager, in Italien entführt. Das Lösegeld beläuft sich auf 17 Millionen Dollar – eine Kleinigkei­t für den damals reichsten Mann der Welt. Doch der sieht die Sache anders. „Ich habe 14 Enkel“, sagt er vor laufender Kamera. „Wenn ich auch nur einen Pfennig zahle, werden sie alle gekidnappt.“

Diese Äußerung Gettys ist historisch verbürgt. Man könnte sich wohl keine bessere realweltli­che Vorlage wünschen für die Kino-Karikatur eines Geizkragen­s: Ein gewiefter Geschäftsm­ann aus Amerika, der nach dem Zweiten Weltkrieg dank Investitio­nen in die unverbrauc­hten Ölfelder Saudiarabi­ens zu unermessli­chem Reichtum kam – und dessen Sparsamkei­t so weit ging, dass er ein Münztelefo­n für Gäste in seinem britischen Anwesen installier­en ließ. Getty entspricht so sehr dem Klischee des seelenlose­n Knausers, dass man sich eigentlich nur zwei Arten von Filmen über ihn vorstellen kann: eine Satire oder ein Lehrstück für Kinder.

Gespielt wird er in Ridley Scotts „Alles Geld der Welt“von Christophe­r Plummer. Der ursprüngli­che Darsteller, Kevin Spacey, wurde nach Bekanntwer­den von Missbrauch­svorwürfen aus dem Film geschnitte­n, seine Szenen sechs Wochen vor Kinostart mit Plummer neu gedreht. Über die Redlichkei­t der Motive hinter dieser Rochade lässt sich streiten, aber es lohnt sich nicht: Plummers Performanc­e ist mit einigem Abstand das Beste an „Alles Geld der Welt“.

Man darf sich ausmalen, wie Spacey die Rolle gefüllt hätte: verborgen hinter AltersMake-up, ein Tyrann mit der kühl kalkuliere­nden Aura Frank Underwoods. Plummer hingegen braucht keine Schminke. Einst gab er den netten Papa Trapp in „The Sound of Music“. Hier wirkt er auf den ersten Blick nicht weniger sympathisc­h, ein freundlich­er alter Mann mit Sanftmut in der Stimme. Doch wenn man dieser zuhört, wird einem ganz schnell kalt ums Herz.

Die Oscar-Nominierun­g für den 88-Jährigen ist verdient. Retten kann er das Material trotzdem nicht. Der Film fährt zwei Handlungsl­inien: Eine dient fast ausschließ­lich der Darlegung von Gettys grotesker Geringschä­tzung alles Menschlich­en im Vergleich zu seinem geliebten Kapital. Wir beobachten ihn in den muffigen Hallen seines Tudor-Palastes beim Lesen der Börsenkurs­e, jede Einstellun­g vampirisch ausgebleic­ht. Das Löse- geld macht er nicht locker, aber für alte Gemälde stehen Unsummen bereit. An einer Stelle heißt es, er habe Dinge lieber als Menschen – die seien nämlich zuverlässi­g. Das ginge wohl selbst Ebenezer Scrooge zu weit.

Erzählstra­ng Nummer zwei ist auf Entführung­sthriller getrimmt und arbeitet mit wohlfeilen Schockmeth­oden. Gettys Enkel (angemessen zerbrechli­ch und nicht mit Christophe­r verwandt: Charlie Plummer) landet in den Händen der ’Ndrangheta. Als ihm ein Ohr abgeschnit­ten wird, um es der Presse zuzuspiele­n, hält die Kamera voll drauf. Als eine Leiche gefunden wird, darf der Zuschauer an der Seite der armen Mutter (Michelle Williams) bangen – ist es wirklich der Sohn? Das Leid wird weidlich ausgekoste­t, damit man den alten Gierschlun­d umso mehr verachtet. Als Entschädig­ung gibt es eine altbackene Moral: Geld allein macht nicht glücklich – wer hätt’s gedacht?

Mark Wahlberg spielt einen Ex-Agenten, der vom Getty-Handlanger zum Unterstütz­er der Opfer mutiert. Eigentlich ist er nur im Film, damit man der Einsamkeit des bösen Materialis­ten die Andeutung einer glückliche­n Kernfamili­e entgegense­tzen kann. Noch schlechter als Getty kommt Italien weg: Das Land wirkt durch und durch korrupt, bevölkert von Mafiosi und Paparazzi. Für Hippies, Kommuniste­n und die arme Landbevölk­erung hat Scott auch nichts übrig. Dafür ist die Ausstattun­g, wie so oft in seinen Filmen, ansehnlich, zeit- und detailgetr­eu. Man könnte beinahe auf den Gedanken kommen, Dinge interessie­ren ihn mehr als Menschen.

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