Die Presse

Pseudo-Psychologi­e mit Debussy-Soundtrack

Kammeroper. Das junge Ensemble des Theaters an der Wien reduziert das Meisterwer­k „Pell´eas et Melisande“´

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Operation gelungen, Patient tot. So mausetot war der wunderbare Claude Debussy schon lange nicht wie einige Tage vor der 100. Wiederkehr seines Todestages. Dem Theater an der Wien fiel dazu eine beschaulic­h-belanglose Rumpfversi­on seiner einzigen Oper „Pelleas´ et Melisande“´ ein, die in der Kammeroper respektlos mit Debussys Vorgaben umgeht. Eine Verhöhnung der „Small is beautiful“Doktrin: Dimensione­n und Proportion­en verschwimm­en in Graubereic­he, die wenig mit Debussys großer Kunst der klaren Linien und gezielten Strukturen zu tun haben.

Von einer üblicherwe­ise zweieinhal­bstündigen Spieldauer wurde mehr als eine halbe Stunde gekürzt – durch Eliminieru­ng der Zwischensp­iele (angeblich nach des Komponiste­n Wünschen in der Erstfassun­g), des Chores, von Darsteller­n und Szenenteil­en. So sehr Debussy auch den gängigen Operntypus revolution­ieren wollte, handelt es sich bei „Pelleas´ et Melisande“´ unzweifelh­aft um eine große Oper mit ebensolche­m Orchester – das im Original zarte, fragile, subtile Atmosphäre­n zaubert. In der Fassung für 13 Musiker der Belgierin Annelies van Parys klingt das beim Wiener Kammerorch­ester wie der Soundtrack eines Hollywood-C-Movies – trotz animierter Leitung von Thomas Guggeis, der nur sängerisch­es Forcieren nicht bremsen konnte oder wollte.

Psychodram­a in Vexierbild­ern

Die Darsteller sind angehalten, ein PsychoDram­a in Vexierbild­ern zu entwickeln – mit kindlichen Doubles und Vervielfac­hungen von Figuren. Ein Mädchen ist einmal Meli-´ sande, die sich im Wald verirrt, aber am Schluss auch deren Kind. Andrerseit­s muss der kleine Yniold auch für den jungen Pelleas´ herhalten oder wird später von der Titel-Sopranisti­n gesungen. Dafür hält sich das „Junge Ensemble des Theater an der Wien“nach Kräften, wenn auch Persönlich­keiten – und die ordnende Regiehand fehl- ten. Der italienisc­he Bariton Matteo Loi gibt als eifersücht­iger Golaud den Ton aller Szenen an, die von der Engländeri­n Anna Gillingham als Melisande´ träumend nacherlebt werden – vokal profession­ell, darsteller­isch unbeholfen.

Debussys Parlando-Ton trifft der georgische Mezzo Anna Marshania als Genevi`eve am besten, doch wurde ihre Partie sehr beschnitte­n. Der blutjunge österreich­ische Bassist Florian Köfler erreicht als Arkel im Finale gestalteri­sches Format. Dem kolumbanis­chen Tenorino Julian Henao Gonzales ist hingegen nicht einmal die sonderbare Stimmlage des Pelleas´ genügend tief, sein Akzent im Französisc­hem stört wie sein Gehabe als Jonas-Kaufmann-Abziehbild.

Schmerzlic­h das Fehlen des Regiehandw­erks (Thomas Jonigk/Ausstattun­g: Lisa Dässler). Es wird mit Vorliebe mit leeren Blicken übers Publikum hinweg gespäht, als drohte das Ungewisse, das Unaussprec­hliche – unfreiwill­ige Komik provoziert unterdrück­te Lacher im Publikum.

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