Pseudo-Psychologie mit Debussy-Soundtrack
Kammeroper. Das junge Ensemble des Theaters an der Wien reduziert das Meisterwerk „Pell´eas et Melisande“´
Operation gelungen, Patient tot. So mausetot war der wunderbare Claude Debussy schon lange nicht wie einige Tage vor der 100. Wiederkehr seines Todestages. Dem Theater an der Wien fiel dazu eine beschaulich-belanglose Rumpfversion seiner einzigen Oper „Pelleas´ et Melisande“´ ein, die in der Kammeroper respektlos mit Debussys Vorgaben umgeht. Eine Verhöhnung der „Small is beautiful“Doktrin: Dimensionen und Proportionen verschwimmen in Graubereiche, die wenig mit Debussys großer Kunst der klaren Linien und gezielten Strukturen zu tun haben.
Von einer üblicherweise zweieinhalbstündigen Spieldauer wurde mehr als eine halbe Stunde gekürzt – durch Eliminierung der Zwischenspiele (angeblich nach des Komponisten Wünschen in der Erstfassung), des Chores, von Darstellern und Szenenteilen. So sehr Debussy auch den gängigen Operntypus revolutionieren wollte, handelt es sich bei „Pelleas´ et Melisande“´ unzweifelhaft um eine große Oper mit ebensolchem Orchester – das im Original zarte, fragile, subtile Atmosphären zaubert. In der Fassung für 13 Musiker der Belgierin Annelies van Parys klingt das beim Wiener Kammerorchester wie der Soundtrack eines Hollywood-C-Movies – trotz animierter Leitung von Thomas Guggeis, der nur sängerisches Forcieren nicht bremsen konnte oder wollte.
Psychodrama in Vexierbildern
Die Darsteller sind angehalten, ein PsychoDrama in Vexierbildern zu entwickeln – mit kindlichen Doubles und Vervielfachungen von Figuren. Ein Mädchen ist einmal Meli-´ sande, die sich im Wald verirrt, aber am Schluss auch deren Kind. Andrerseits muss der kleine Yniold auch für den jungen Pelleas´ herhalten oder wird später von der Titel-Sopranistin gesungen. Dafür hält sich das „Junge Ensemble des Theater an der Wien“nach Kräften, wenn auch Persönlichkeiten – und die ordnende Regiehand fehl- ten. Der italienische Bariton Matteo Loi gibt als eifersüchtiger Golaud den Ton aller Szenen an, die von der Engländerin Anna Gillingham als Melisande´ träumend nacherlebt werden – vokal professionell, darstellerisch unbeholfen.
Debussys Parlando-Ton trifft der georgische Mezzo Anna Marshania als Genevi`eve am besten, doch wurde ihre Partie sehr beschnitten. Der blutjunge österreichische Bassist Florian Köfler erreicht als Arkel im Finale gestalterisches Format. Dem kolumbanischen Tenorino Julian Henao Gonzales ist hingegen nicht einmal die sonderbare Stimmlage des Pelleas´ genügend tief, sein Akzent im Französischem stört wie sein Gehabe als Jonas-Kaufmann-Abziehbild.
Schmerzlich das Fehlen des Regiehandwerks (Thomas Jonigk/Ausstattung: Lisa Dässler). Es wird mit Vorliebe mit leeren Blicken übers Publikum hinweg gespäht, als drohte das Ungewisse, das Unaussprechliche – unfreiwillige Komik provoziert unterdrückte Lacher im Publikum.