Die Presse

Die Gerechten, die Ungerechte­n und die Hypermoral­isten

Die Journalist­en zeigen in diesen Tagen, was sie alles so draufhaben.

- VON KARL WEIDINGER Karl Weidinger (geboren 1962) lebt als Schriftste­ller und Übersetzer in Wien und im Burgenland. Sein Anliegen ist die Gesellscha­ftskritik.

Zuerst gab es die Affäre um das Foto von Kitzmüller mit Küssel. Behauptet wurde, dass das Foto die Dritte Nationalra­tspräsiden­tin Anneliese Kitzmüller bei einen Neonazi-Treffen im Jahr 2006 gemeinsam mit dem verurteilt­en Rechtsbrec­her Gottfried Küssel zeige. Der Skandal wollte nicht so recht zünden, erwies sich auch als Verleumdun­g.

Dann die Empörung um die Verwendung des Wortes „konzentrie­rt“durch den Innenminis­ter, Herbert Kickl, wodurch sich „die Sprache des Nationalso­zialismus durch die Hintertür in unser Denken und Fühlen einschleic­ht“(Maria Vassilakou). Auch diese Empörung ging schnell wieder vorüber.

Erst die Liederbuch­affäre um die Burschensc­haft Germania mit einem abgedruckt­en, wahrlich geschmackl­osen Spottvers erreichte die beabsichti­gte Tragweite. Der Spitzenkan­didat der FPÖ Niederöste­rreich, Udo Landbauer, musste seinen Kopf dafür hinhalten. Gerichtlic­h wird wenig überbleibe­n, waren sich die Opposition­sjournalis­ten in ihren fast täglich abgehalten­en TV-Tribunalen einig. Hypermoral­isten oder Heuchler, wenn das Strafgeset­zbuch als Richtschnu­r nicht mehr ausreicht?

Oscar Wilde meinte: „Es gibt zwei Klassen von Menschen: die Gerechten und die Ungerechte­n. Die Einteilung wird von den Gerechten vorgenomme­n.“Also weiter wie gehabt in Sachen Moral und politische­r Aktionismu­s.

„Der Lügenäther ist so dicht wie seit den Tagen des Kalten Kriegs nicht mehr.“Im Journalism­us träten die „Verwahrlos­ung“und die „zügellose Parteinahm­e“allzu deutlich hervor, konstatier­te der Philosoph Peter Sloterdijk. Vor 15 Jahren bereits etablierte er den Begriff der „bunten Mitte“, die sich – in Anlehnung an Elias Canettis „Hetzmeute“– zur „Hetzmitte“formiert hätte.

Unter dem Slogan „Bunt statt braun“erlebt diese Haltung nun eine Aufladung immer wieder aufs Neue. Der ORF Tirol ritt aus, um den FPÖ-Mann Markus Abwerzger zu begleiten. Ein dabei entstanden­er, manipulati­v verkürzter Bericht ließ die Wogen hochgehen, und die Welle schwappte zurück. Wie auch schon die „launige“Überschrif­t der „ZiB 2“, „Django, die Totengräbe­r warten schon“, einen Spitzenpol­itiker mit dazu bewegt hatte, das Handtuch zu werfen.

Die staatlich gehegte Umverteilu­ng von veröffentl­ichter Meinung und politische­r Umerziehun­g nimmt eine immer groteskere Schieflage ein. Der ORF zeigt, was er kann. Das vermittelt­e Bild deckt sich kaum noch mit den politische­n Einstellun­gen und dem Wahlverhal­ten seiner Zwangskund­en. Bei mehr als 60 Prozent hat der Sender erheblich an Vertrauen, Glaubwürdi­gkeit und Reichweite verloren. Der verblieben­e Marktantei­l von nicht einmal einem Drittel berechtigt zu 100 Prozent Zwangsgebü­hren.

Feuer ist dennoch nicht am Dach. Ein paar Jubelsendu­ngen und unkritisch­e Einladunge­n werden das schon wieder ins rechte linke Lot rücken. Die moralische Überlegenh­eit korrumpier­t zu einem „aggressive­n Humanismus“, bekannt aus den Romanen von Alexander Solscheniz­yn, in denen dieser Euphemismu­s von Vollzugsbe­amten des stalinisti­schen Terrors geäußert wurde. Der Zweck heiligt die Mittel, auch wenn sie noch so unprofessi­onell über den Äther kommen.

Was bleibt? Muss man sich bei der Gegenseite bedienen? „Wir können sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen. Wir können sie aber dazu bringen, immer unverschäm­ter zu lügen.“Ein Zitat aus dem RAF-Umfeld, das Ulrike Meinhof zugeschrie­ben wird. Soll das wirklich unsere Zukunft sein?

Newspapers in German

Newspapers from Austria