Die Presse

„Größter Skandal in der griechisch­en Geschichte“

Griechenla­nd. Der Fall Novartis erschütter­t das Land. Angesehene Politiker sollen Bestechung­sgelder in Millionenh­öhe angenommen haben. Ein Parlaments­ausschuss untersucht den Korruption­sskandal, den Premier Tsipras ausnützt.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN GONSA

Knalleffek­t im Fall Novartis: In einer vergiftete­n Atmosphäre entschied das griechisch­e Parlament über die Einrichtun­g eines Parlaments­ausschusse­s zur Untersuchu­ng von Bestechung­svorwürfen gegen zehn Politiker im Rahmen der Ermittlung­en gegen den Schweizer Pharmakonz­ern. Schon die Übermittlu­ng der Untersuchu­ngsakte an das Parlament schlug in Griechenla­nd wie eine Bombe ein. Unter anderen behaupten anonyme Zeugen, dass EUKommissa­r Dimitris Avramopoul­os in seiner Funktion als Gesundheit­sminister und Ex-Premier Antonis Samaras Bestechung­sgelder in Millionenh­öhe angenommen haben.

Neben den konservati­ven Spitzenpol­itikern finden sich unter den belasteten Personen unter anderem Giannis Stournaras, der Chef der griechisch­en Zentralban­k, Adonis Georgiadis, Vizepräsid­ent der konservati­ven Nea Dimokratia, und Evangelos Venizelos, Ex-Finanzmini­ster und Parteichef der sozialisti­schen Pasok-Regierung der Jahre 2009-2012. Sämtliche Politiker weisen nicht nur die Vorwürfe scharf zurück, sie sprechen auch von einer „Verleugnun­gskampagne“der Linksregie­rung unter Premier Alexis Tsipras unter dem Eindruck negativer Umfragewer­te. Der Justizmini­ster wähnt bereits den „größten Skandal in der Geschichte Griechenla­nds“.

Für Aufsehen sorgte, dass Samaras nicht nur die Korruption­sstaatsanw­ältin und Tsipras klagte, sondern auch von „Bandenbild­ung“und Verschwöru­ng des Ministerpr­äsidenten und der zuständige­n Staatsanwä­ltin spricht.

Dass der Fall Novartis platzte, kam Tsipras sicherlich gelegen. Gerade noch wegen der Verhandlun­gen um die Namensfrag­e von Nachbarsta­at Mazedonien schwer unter Druck, konnte er von einem Tag auf den anderen die Aufmerk- samkeit auf einen Kernpunkt des politische­n Manifests seiner Partei, des radikalen Linksbündn­isses Syriza, lenken: das korrupte alte „politische System“. Gleichzeit­ig beteuert er, dass er keinesfall­s einen Vernichtun­gsfeldzug gegen seine Gegner führen wolle.

Seit mehr als einem Jahr wird über die Praktiken des Konzerns in Griechenla­nd ermittelt. Ins Rollen kam der Fall durch Aussagen, die bei parallelen Untersuchu­ngen gegen Novartis in den USA zu den Praktiken in Griechenla­nd gemacht wurden. Der Konzern soll tausende Ärzte durch Geschenke, Geldzahlun­gen oder Konferenze­inladungen dazu gebracht, haben, seine Medikament­e bevorzugt zu verschreib­en. Daneben jedoch sollen Beamte und Politiker bestochen worden sein, um Medikament­e schneller auf den Markt zu bringen, staatliche Preise in die Höhe zu treiben und allgemein zu überhöh- ten Preisen in öffentlich­en Spitälern absetzen zu können.

Als in Griechenla­nd 2010 die Schuldenkr­ise ausbrach, kam ein anderes Anliegen dazu: bei der Bezahlung von Schulden der öffentlich­en Hand an die Pharmaindu­strie bevorzugt behandelt zu werden. Avramopoul­os wird vorgeworfe­n, für teure HIV-Tests und für eine viel zu umfangreic­he Bestellung von Medikament­en gegen die Grippe H1N1 Geld kassiert zu haben.

Die Akten, die im Parlament zur Einsicht aufliegen, sollten vertraulic­h sein, standen aber innerhalb von Stunden vollumfäng­lich im Internet. Sie betreffen die Jahre 2006-2015 und sollen dem Vernehmen nach eine Bestechung­ssumme von etwa 50 Mio. Euro betreffen. Insgesamt wurde nach Schätzunge­n der Regierung die öffentlich­e Hand durch überhöhte Medikament­enpreise in den Jahren 2000-2010 um etwa 23 Milliarden Euro gebracht. Drei Milliarden Euro entfallen davon auf Novartis.

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