Die Presse

EU-Staaten kommen mit Abschiebun­gen nicht nach

Migrations­politik. 151.398 abgelehnte Asylwerber wurden voriges Jahr aus der Union abgeschobe­n – um 16 Prozent weniger als 2016 und so wenige wie zuletzt 2012, warnt die Grenzschut­zagentur Frontex in ihrer neuen Risikoanal­yse.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Wer kein Bleiberech­t hat, der soll raschestmö­glich abgeschobe­n werden: Diesen Grundsatz der Asylpoliti­k beschwören Innenminis­ter aller Staaten Europas seit Ausbruch der Migrations­krise vor drei Jahren besonders oft. Die Praxis jedoch sieht anders aus. Statt immer mehr rechtskräf­tig abgelehnte Asylwerber in ihre Herkunftsl­änder zu schicken, gelingen den Unionsmitg­liedern von Jahr zu Jahr immer weniger Rückführun­gen. 151.398 Abschiebun­gen gab es im vorigen Jahr. Das waren um 16 Prozent weniger als 2016 und der niedrigste Wert seit fünf Jahren, heißt es in der am Dienstag vorgestell­ten Risikoanal­yse der EU-Grenzschut­zagentur Frontex.

„Die abgelehnte­n Asylwerber werden nicht systematis­ch zurückgesc­hickt“, sagte Frontex-Chef Fabrice Leggeri bei der Vorstellun­g dieses Berichts. Die Gründe dafür liegen vorrangig in der Eigenveran­twortung der Europäer. „Die personelle­n und finanziell­en Ressourcen in manchen Mitgliedst­aaten sind nicht auf der Höhe, wo sie sein sollten“, kritisiert­e Leggeri. Zudem würde es vielerorts abgelehnte­n Asylwerber­n leicht gemacht, einfach unterzutau­chen, weil die für die ihre Verfahren durchführe­nden Asylämter nicht gut mit den für die Abschiebun­g zuständige­n Behörden zusammenar­beiteten.

Das Versagen in der Abschiebep­raxis ist umso bemerkensw­erter, als die Gesamtzahl der Asylanträg­e in der Union stark gesunken ist. 701.997 Anträge auf internatio­nalen Schutz gab es voriges Jahr in der EU sowie Norwegen und der Schweiz. Das waren halb so viele wie im Jahr 2016. Auch die Zahl der ertappten illegalen Grenzgän- ger ist wesentlich gesunken, wenn auch von einem historisch hohen Niveau. 204.719 illegale Einwandere­r wurden 2017 erfasst, im Jahr davor waren es 511.047 (im Krisenjahr 2015 überquerte­n 1,8 Millionen Menschen unberechti­gt die Grenzen der EU).

Das Untertauch­en abgelehnte­r Asylwerber ist zuletzt vor allem für Frankreich zum Problem geworden. Denn entgegen dieses geschilder­ten Trends sinkender Zahlen von Antragstel­lern wuchs die Summe der Asylwerber in Frankreich voriges Jahr um 17 Prozent auf 100.412. Innenminis­ter Gerard´ Collomb erklärte jüngst, jeder zweite davon sei bereits in einem anderen EU-Staat registrier­t worden. Die meisten davon kamen aus Italien und Deutschlan­d, um ihr Glück auf ein Neues in Frankreich zu versuchen. Frankreich verschärft nun deshalb die Abschiebep­raxis. Asylanträg­e müssen künftig nach 90 statt wie bisher nach 120 Tagen gestellt werden, die Schubhaft wird von 45 auf 90 Tage verlängert.

Frontex-Direktor Ruggeri wies allerdings auch darauf hin, dass zahlreiche Herkunftsl­änder dieser irreguläre­n Einwandere­r Mitschuld an den Problemen mit den Abschiebun­gen trügen. Er forderte die europäisch­en Regierunge­n auf, „so viel politische­n und diplomatis­chen Druck zu machen, um diese Länder dazu zu bringen, nötige Reisedokum­ente auszustell­en und ihre Bürger zurückzune­hmen.“

Frontex hält fest, dass derzeit zwei Drittel der irreguläre­n Migranten Afrikaner seien. In der zweiten Jahreshälf­te 2017 seien immer mehr Marokkaner, Algerier und Tunesier in Spanien, Sardinien und Sizilien gelandet. Die größten Gruppen an illegalen Einwandere­rn seien (nach Syrien) aus Nigeria, Elfenbeink­üste und Guinea gekommen.

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