Die Presse

Er träumte lebenslang vom Klangtheat­er

Nachruf. Der Wiener Komponist Thomas Pernes ist am Tag nach seinem 62. Geburtstag gestorben. Seine Musik konnte knallhart und fragil bis zur Entmateria­lisierung sein. Zugleich suchte er für sie stets szenische Räume.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Innerhalb einer Tanzperfor­mance schaffte er es einmal sogar auf die Bühne der Wiener Staatsoper: Thomas Pernes, damals ein Mittzwanzi­ger, präsentier­te seine Auseinande­rsetzung mit österreich­ischen Volksmusik­klängen im Rahmen der ersten Ballettkre­ation des ebenso jungen Bernd Roger Bienert: „Alpenglühn“hieß das Stück, das da gehörig Staub aufwirbelt­e, denn es stellten sich zwei Grenzgänge­r vor, deren Wege sich zwar bald trennen sollten, die aber beide auf ihre Weise für eine Bereicheru­ng der heimischen Avantgarde­szene sorgen sollten.

Wobei die szenische Erweiterun­g seiner Klangfanta­sien für den Komponiste­n Thomas Pernes lebenslang der Traum blieb, dem er nachhing. „Klangtheat­er“wollte er schaffen – bildende Künstler wie Tone Fink schufen ihm die Räume dafür; und inmitten von bewegten Skulpturen, sprachlich­en Tonbandmix­turen und magischen Lichträume­n erklang Pernes’ Musik, improvisat­orisch suchend, sich verlierend, einmal knallhart an Extremwert­en des Jazz orientiert, dann wieder fragil zurückgeno­mmen bis zur Entmateria­lisierung.

Als Schüler des legendären Wiener Pianistena­usbildners Bruno Seidlhofer war Pernes für seine Klavierwer­ke stets sein eigener Interpret: wild herausfahr­end im explosiven „Piano solo I“aus der „Alpenglühn“-Phase, knifflig mit ausgeknobe­lten Übereinand­erschichtu­ngen von realen und „präpariert­en“Klängen in seinem balanciere­nden Solo Nummer drei. Einem stilistisc­hen Kontext waren seine Experiment­e nie zuzuweisen, sie entzogen sich dank eines immanenten Freiheitss­trebens jeglichen allseits akzeptiert­en Ordnungspr­inzipien.

Obsessiv „ins Offene“experiment­ieren

Das Denken „ins Offene“hatte Pernes wohl von seinem Lehrer Roman Haubenstoc­k-Ramati ererbt. Es war ihm Verpflicht­ung, obsessiv geradezu: Bevor er sich wiederholt hätte, verstummte Pernes lieber, experiment­ierte im Stillen, auf der Suche, oft wohl scheiternd – leicht machte er es sich nicht. War ein neuer Weg erschlosse­n, fanden sich stets Musikerkol­legen, die neugierig einstudier­ten und aufführten, was aus der Werkstatt des introverti­erten Grüblers und Konstrukte­urs ans Licht gekommen war. Und immer wieder staunten Spieler wie Publikum. Über die ätherische­n, aus Dur- und Mollterzen gebildeten akustische­n Wolken, die das Koehne-Quartett im Dritten Streich- quartett schweben ließ. Oder über die Stücke, die bei den Konzerten der „Kontrapunk­te“unter Peter Keuschnig im Brahmssaal des Musikverei­ns zu hören waren, zuletzt bei der Wiederauff­ührung der 2008 vollendete­n Vertonung von Ernst Jandls „Aus der Fremde“.

Am Tag nach seinem 62. Geburtstag ist Thomas Pernes am 27. Februar nach langer Krankheit in seiner Heimatstad­t Wien gestorben.

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