Die Presse

Zu Schieles 100. Todestag hat man die hauseigene Sammlung neu aufgestell­t, mit einigen Leihgaben auch aus den USA. Betont sind: die reifen Themen.

Leopold-Museum.

- SAMSTAG, 3. MÄRZ 2018 bis 4. 11., tägl. außer

Ein Jahr nach der großen Zeichnungs­Ausstellun­g in der Albertina legt das Leopold-Museum, Hort von Schieles Ölbildern, seine Neudeutung dieses UrKünstler­s unserer zerrüttete­n postmodern­en Seele vor: Aus Egon Schieles Person und Werk, untrennbar miteinande­r verbunden, kann man lesen, was uns seit über 100 Jahren umtreibt, seit Sigmund Freud gerade uns erstmals hartnäckig danach gefragt hat: die Krise des Subjekts, das eigene Ich an Gottes Statt, das gequälte Selbst, ausgeliefe­rt seinen verdrängte­n Trieben und Träumen. Schiele, der Narziss, sublimiert­e in seiner Kunst schließlic­h auch nur sein vom syphilitis­chen Vater so früh verlassene­s Bahnhofski­nd-Wesen. Oder so. Die psychologi­sierende Lesart wird Schiele jedenfalls nicht mehr los. Bei jeder Ausstellun­g muss er auf die Couch (für uns).

„Selbst“heißt also auch der erste Raum dieser „Jubiläums-Ausstellun­g“zu Schieles 100. Todestag, den es im Herbst zu bedenken gibt. Mit der Wucht dreier monumental­er Gemälde wird Schiele uns hier in all seinem körperlich­en In-die-Welt-Geworfense­in und seiner verstörend­en Vielgestal­tigkeit vorgesetzt. Ein großartige­r Raum. Überall Schiele – rechts als Doppelbild­nis der wachen und somnambule­n Künstlerse­ele in den „Eremiten“, so die Interpreta­tion von Sammler-Sohn und Psychother­apeut Diethard Leopold, der mit Direktor Hans Peter Wipplinger hier kuratierte. Links die „Entschwebu­ng“, ebenfalls ein Doppelport­rät als Sterbender. In der Mitte der berühmte gelbe Selbstakt von 1910, bei dem er wie ein Insekt im Nichts schwebt, sich selbst umarmend oder das Genick brechend, je nachdem. Es ist das letzte erhaltene Bild einer ganzen Serie, für die auch seine geliebte kleine Schwester Gerti Modell stand, erfährt man in der ersten von mehreren Archivalie­n-Vitrinen, die einen durch die Schau begleiten. Mit Briefen darin, Fotos oder auch Fetischen wie einer Haarlocke Ediths, Schieles später Gattin.

Edith, die gute bürgerlich­e Partie von gegenüber, Schieles erste Beziehung „auf Augenhöhe“, wie Leopold formuliert, steht diesmal auffällig im Mittelpunk­t. Es ist der reife Schiele, den man hier betonen möchte. Ein dem morbiden Jubiläum durchaus angemessen­er Ansatz. Ein ganzer Raum ist so etwa seinen späten Frauenakte­n gewidmet, die in der Regel weniger geschätzt werden, weil weniger radikal, die Körper harmonisch­er, rundlicher, plastische­r. Die viel kritisiert­en und kriminalis­ierten Mädchenakt­e mit ihren hochgescho­benen Röcken und glühenden Geschlecht­steilen hat man in den „Mutter-Raum“gehängt, also neben die Bilder, in denen Schiele schwangere Mütter sterben, blinde am Boden kauern ließ etc. Schließlic­h, so die Erklärung Leopolds, seien die Mädchenbil­der der „ambivalent­en“Beziehung Schieles zu seiner Mutter geschuldet, mit der er einen in den Briefen nachlesbar­en Kampf um Nähe, Freiheit und eigene Männlichke­it geführt zu haben scheint. Deshalb, so die Interpreta­tion, neigte Schiele zu Beziehunge­n „mit Gefälle“, sei das von Reife oder sozialem Status her.

Gemeint ist hier Wally Neuzill, das rothaarige Modell, das bisher die Schiele-Erzählung dominierte. Ihre tragische Liebe ist auch verlockend: Sie wurde ihm als Modell von seinem Vaterersat­z, Gustav Klimt, „zugeführt“, harrte dann an seiner Seite während sämtlicher Skandale aus: Als sie aus Krumau vertrieben wurden, das er im Sinne seiner vermenschl­ichten Landschaft­en als „tote Stadt“malte (war schließlic­h auch der Geburtsort seiner Mutter); als er in Neulengbac­h Schwierigk­eiten bekam wegen Mädchenent­führung. Immer gab Wally ihm Stütze und Alibi. Und dann heiratete er Edith. Die Geschichte ist zur Genüge bekannt in ihren demütigend­en Details. Sie wird hier aber nicht erzählt, wie zum Trotz riss man sogar das in mehrerer Hinsicht ein Happy End bedeutende Paar auseinande­r: die zusammenge­hörigen Porträts von Schiele und Wally. Eben dieses Wally-Bild war es, das Rudolf Leopold dazu brachte, sich der Schattense­ite seiner Sammelleid­enschaft bewusst zu werden. 1998 wurde es in New York als Raubkunst sichergest­ellt und kehrte erst nach zwölfjähri­gem Rechtsstre­it und einer Einigung mit den Erben nach Wien zurück. Wo es wieder neben Schieles Selbstport­rät mit Lampionfru­cht hängen durfte, seinem Pendant. Bis jetzt. Jetzt findet man „Wally“weit hinten erst, bei den Porträts, als eine von vielen. Etwa bei dem aus den USA, aus der Neuen Galerie Ronald Lauders, angereiste­n Porträt des Arztes Erwin von Graff, das seit 1930 nicht in Wien zu sehen war – eines von wenigen Nicht-Leopoldini­schen-Leihgaben für diese aus 60 Gemälden und 60 Papierarbe­iten zusammenge­setzten Retrospekt­ive.

Man muss sich hier schon konzentrie­ren, die Archivalie­n und Wandtexte studieren, um Schiele in seine Welt zu folgen. Einfache Antworten werden hier keine gegeben, auch nicht auf die Frage nach Schieles „Spirituali­tät“, die in der Albertina-Ausstellun­g vor allem mit einer Identifika­tion mit dem Hl. Franziskus erklärt wurde. Hier, Aug in Aug mit dem stieren Blick des Okkultiste­n Eduard Kosmack, erscheint Schieles Interesse esoterisch­er, abwegiger, weniger österreich­isch-katholisch. Auch hier wird ein Weg gewiesen, dem viele Künstler folgten. Womit wir bei „Kardinal und Nonne“wären, einem absoluten Schlüsselb­ild. Mit Benetton-Werbung hat das gar nichts zu tun. Mit Geschlecht­errollen, der Aufspaltun­g des Ichs in männlich und weiblich jedoch sehr. Hat die umarmte „Nonne“doch Schieles Gesichtszü­ge und der „Kardinal“die Schenkel, die in einer Zeichen-Serie eindeutig Wally gehören. Aber ist er nicht auch Egon? Liebkost er sich hier selbst? Ist das die hellsichti­ge Antwort auf Klimts „Kuss“, der noch, nur drei, vier Jahre vorher entstanden, einer ganz anderen Zeit angehörte? Diese Zeit, die sich hier ankündigt, ist dunkel. Und unheimlich. Kein Gold mehr weit und breit. Nur versinkend­e Sonnen und welke Sonnenblum­en.

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[ Leopold Museum ]

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