Altes anverwandeln und bis ins Heute weiterdenken
Die Atmosphäre im Gasthaus Zum Riesen ist eine ganz besondere. Generationen von Frauen sind hier am Werk. Zuletzt haben eine Architektin und eine Wirtin ihre gestalterische Handschrift hinterlassen.
Am Anfang war die Idee mit dem neuen Badezimmer, das sie für ihre Mutter einbauen wollten. Mit der Restaurierung des barocken Freskos im großen, offenen Stiegenhaus wollte man es dann nicht belassen: „Plötzlich hieß es, wir müssten die Böden darüber entlasten, sonst bricht es herunter“, erzählt die Betreiberin des Gasthauses Zum Riesen im Vinschger Dorf Tarsch, Alexandra Dell’Agnolo. Also wurde eine neue Decke in diesem fünf Jahrhunderte alten Gasthaus eingezogen, damit das Bild noch weitere Hunderte Jahre von der „Lobby“aus bestaunt werden kann.
„Es kam eines zum anderen“, schildert Architektin und Alexandras Schwester, Sylvia Dell’Agnolo, betraut mit dem Umbau und der Sanierung des Hauses. „Als wir beispielsweise die alten Zimmer sanieren wollten, kam plötzlich historistischer Wanddekor zutage.“Also stellte die auf moderne Adaption von historischer Substanz spezialisierte Expertin (Dell’Agnolo – Kelderer Architekturbüro) den ursprünglichen Zustand wieder her.
Schließlich wurde das ganze Haus umgebaut und heizungstechnisch aufgerüstet – ein Jahr lang, mit großer Umsicht und Respekt für die alten Materialien. Hinzu kam ein moderner Ausbau des Dachbodens mit einer kleinen Sauna und einer geräumigen Loggia. Der Bestand wurde schonend angegriffen: Decken wurden zum Teil erneuert, Böden herausgenommen, gereinigt, wieder verlegt, manche Wände entfernt, neue eingezogen. Sodass nun, bei aller Historizität, jedes dieser neun ganz eigenständigen Zimmer über einen modernen Sanitärbereich verfügt.
Mancher Schlafraum erzählt noch aus der Zeit, als man „im Riesen“auf seinem Pilgerweg übernachtet hat – die Dell’AgnoloSchwestern haben die Geschichten aufgeschrieben, mit denen jeder verbunden ist. Die ganz neuen Zimmer wirken pur, schlicht, fokussiert auf das hochwertige Material: heimisches Holz. In Zusammenarbeit mit der Denkmalschutzbehörde wurde fast jedes Teil bearbeitet und in alter Handwerkstradition instandgesetzt: Türen, Fenster, Möbel. Wo sich eine zeitgemäße Lösung – etwa ein cooler Betonboden im Eingangsbereich – anbot, wurde sie auch konsequent umgesetzt. So lebt das Haus nach den Bauarbeiten von einer stilsicheren Verbindung von Geschichte und Gegenwart, aber auch vom Kontrast. Der älteste Teil des Gasthauses und die- ses „Historic Refugium“stammt aus dem zwölften Jahrhundert, das ist der Teil, durch den man das stimmige Ensemble betritt. Der Bau wuchs weiter, bis schließlich um 1600 ein mächtiges Gasthaus mit Erker stand, auf dessen Fassade als Fresko ein Riese dargestellt wurde, der diesen Vorbau zu tragen scheint, daher der Name des Anwesens. Heute noch trifft man sich hier im Dorfswirtshaus (Tarscher Wirt) im Erdgeschoß.
Südtirol ist reich an Beispielen, wie zeitgenössische Architektur die Substanz und den Charakter des Traditionellen rettet. Zu den besonders gelungenen gehört dieses Gasthaus Zum Riesen. Zudem ist auch seine Geschichte nicht die ganz übliche: So wie heute wurde das Haus auch in den vergangenen Jahrhunderten zumeist von Frauen geführt.
Heute sitzt der Gast in mehreren Räumen gemütlich bei Essen und Wein – etwa in einer traditionell getafelten Stube. Oder im „Herrenzimer“, in dem sich moderne Technik hinter Wänden verbirgt, die auch aus einem Wiener Kaffeehaus des Fin de Si`ecle stammen könnte. „Bäuerlicher Jugendstil“, erklärt die Architektin. Und obwohl Kulturgasthof und Refugium mitten im Ortskern liegen, verfügt er über einen Garten, modern zum Sitzen, lauschig zum Dösen. www.zumriesen.it (mad)