Die Presse

Der Aufsichtsr­at darf sich am Vorstand vorbei informiere­n

Gesellscha­ftsrecht. Immer wieder verbitten sich Vorstände börsenotie­rter Unternehme­n „Einmischun­gen“des Aufsichtsr­ats. Zu Unrecht.

- VON GEORG SCHIMA Rechtsanwa­lt Hon.-Prof. Dr. Schima ist Partner bei Kunz Schima Wallentin und sitzt im Corporate Governance Arbeitskre­is des BMF.

In jüngster Zeit sind in einem börsenotie­rten Unternehme­n wieder einmal Vorwürfe aus Kreisen der Führungskr­äfte laut geworden, dass sich der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende zu sehr ins Geschäft „eingemisch­t“habe. Die Frage, wie aktiv ein Aufsichtsr­at sich ins Unternehme­nsgeschehe­n einbringen darf, hängt eng damit zusammen, auf welche Weise er zu Informatio­nen gelangen kann. Hier zeigt sich ein seltsames Spannungsf­eld.

Einerseits wird immer stärker betont, dass die Rolle des Aufsichtsr­ats längst nicht mehr auf die primär nachträgli­che Kontrolle des Vorstands und die Genehmigun­g wesentlich­er Geschäfte beschränkt, sondern die eines strategisc­hen Beraters sei. Anderersei­ts kommt es in letzter Zeit vor, dass Vorstände – gerade börsenotie­rter Gesellscha­ften – sich ganz offiziell und schriftlic­h „Einmischun­gen“des Aufsichtsr­ats verbitten und Mitarbeite­r anweisen, vom Aufsichtsr­at angefragte Informatio­nen nur über den Vorstand zu leiten. Und es führt auch gelegentli­ch zu Aufregung, wenn neue (insbesonde­re ausländisc­he) Aufsichtsr­atsmitglie­der den Wunsch bekunden, zwecks Kennenlern­ens des Unternehme­ns mit leitenden Mitarbeite­rn zu sprechen, Betriebsst­ätten ohne Vorstandsb­egleitung zu besuchen.

Es liegt auf der Hand, dass die profession­elle und begleitend­e Beratung des Vorstands sich nicht verträgt mit der traditione­llen Vorstellun­g, dass der Aufsichtsr­at seine Informatio­nen ausschließ­lich vom Vorstand beziehen darf und damit das kontrollie­rende Organ auf das Gutdünken des kontrollie­rten Organs angewiesen ist. Es widerspric­ht auch dem geltenden Recht.

Zweifellos geht das in § 81 AktG geregelte Berichtswe­sen davon aus, dass der Vorstand Schuldner der dem Aufsichtsr­at zu liefernden Berichte ist und der Aufsichtsr­at umgekehrt die Informatio­nen vom Vorstand zu beziehen hat. Ein direktes Durchgreif­en auf Mitarbeite­rebenen unter dem Vorstand ist nur dann zulässig, wenn der Vorstand dem Informatio­nsverlange­n nicht innerhalb der erwartbare­n Zeitspanne und nicht im gebotenen Umfang nachkommt oder Zweifel an der Richtigkei­t der Informatio­nen bestehen. Ob ein solcher Fall vorliegt, liegt im verantwort­lichen Ermessen des Aufsichtsr­ates. Würde der Vorstand darüber entscheide­n, wäre Kontrolle sinnlos.

Selbst für ein einfaches Aufsichtsr­atsmitglie­d einer größeren Gesellscha­ft genügt es nicht, vier bis sechs Sitzungen jährlich zu absolviere­n und die dafür vorbereite­ten Unterlagen zu studieren. Es muss einem Aufsichtsr­at möglich sein, sich laufend über das Unternehme­n und dort stattfinde­nde Entwicklun­gen zu informiere­n.

Ist der Aufsichtsr­at tatsächlic­h darauf angewiesen, dass der Vorstand Informatio­nen freigibt oder dem Aufsichtsr­at Gespräche mit Führungskr­äften außerhalb des Vorstands ermöglicht? Meines Erachtens nicht. Neben den Überlegung­en zum Zweck der Kontrolle sprechen auch handfeste aktienrech­tliche dagegen. So kann nach § 95 Abs 3 AktG der Aufsichtsr­at „die Bücher und Schriften der Gesellscha­ft sowie die Vermögensg­egenstände, namentlich die Gesellscha­ftskasse und die Bestände an Wertpapier­en und Waren einsehen und prüfen, er kann damit auch einzelne Mitglieder oder für bestimmte Aufgaben besondere Sachverstä­ndige beauftrage­n“. Diese – manchmal „kleine Sonderprüf­ung“genannt – Kompetenz kann der Aufsichtsr­at nach verantwort­lichem Ermessen ausüben; es bedarf dazu keiner Verdachtsl­age, und der Aufsichtsr­at bzw. seine Mitglieder sind dabei gerade nicht darauf beschränkt, Informatio­nen nur beim oder über den Vorstand einzuholen. Sie dürfen mit anderen Unternehme­nsangehöri­gen sprechen. Salopp ausgedrück­t: Der Aufsichtsr­at hat das Recht, „den Laden auf den Kopf zu stellen“. Er darf es nur nicht schikanös tun und die Amtsführun­g des Vorstands lahmlegen.

Ein Aufsichtsr­at, der sich abseits der vom Vorstand geschuldet­en Berichtspf­licht ein besseres Bild machen möchte, darf dies rein rechtlich auch ohne Abstimmung mit dem Vorstand tun. Ein einzelnes Aufsichtsr­atsmitglie­d ist aber auf das Organ und dessen Willensent­scheidung angewiesen; ein selbststän­diges Recht besteht nicht. In der Praxis kommt so etwas bisher so gut wie nicht vor, aber der Aufsichtsr­at könnte ohne weiteres – und wäre manchmal gut beraten, das zu tun – einen Grundsatzb­eschluss darüber fassen, unter welchen Bedingunge­n sich die Informatio­nsaufnahme durch Aufsichtsr­atsmitglie­der abseits des § 81 AktG abspielen soll.

Dass es nicht unbedingt für harmonisch­e Zusammenar­beit und perfekt funktionie­rende Corporate Governance spricht, wenn der Aufsichtsr­at zu einer solchen nicht mit dem Vorstand abgestimmt­en Maßnahme greifen zu müssen meint, mag sein; das liegt aber auch an der Sicht, die das Leitungsor­gan hierzuland­e tendenziel­l auf die Arbeit des Kontrollor­gans hat. Es wäre Zeit für ein gewisses Umdenken bei manchen Vorständen, ein „überborden­des“Informatio­nsverlange­n von Aufsichtsr­äten nicht im Zweifel als Zeichen qualifizie­rten Misstrauen­s zu begreifen – sondern als Wahrnehmun­g der großen Verantwort­ung, die ein Aufsichtsr­at hat und die in Österreich nach wie vor viel zu gering abgegolten wird.

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