Die Presse

Blaubart im traumhafte­n Nirwana

Oper Graz. Paul Dukas komponiert­e die mythologis­che Geschichte von den sieben Türen auf eine Dichtung Maurice Maeterlinc­ks: Nadja Loschky inszeniert sie als irreales Rätselspie­l.

- VON KONSTANZE KAAS

Von den zahlreiche­n Adaptionen des Blaubart-Stoffes ist „Ariane et BarbeBleue“von Paul Dukas, Musikliebh­abern aufgrund seiner Goethe-Tondichtun­g „Der Zauberlehr­ling“ein Begriff, eine der fasziniere­ndsten. Im Zentrum von Maurice Maeterlinc­ks Libretto steht Ariane, die für die Freiheit ihrer Vorgängeri­nnen und ihrer selbst kämpft, indem sie sich dem übermächti­gen Blaubart widersetzt und verbotener­weise alle Türen in seinem Schloss öffnet.

Blaubart (Wilfried Zelinka) schwebt in Maeterlinc­ks Dramaturgi­e zwar allmächtig und bedrohlich über allem, der Schauder vor ihm und seinem Zorn ist stets präsent, doch ist ihm eine der kürzesten Titelrolle­n der Operngesch­ichte zugedacht. Gerade einmal fünf Sätze darf er singen. Die Bedrohung, die von ihm ausgeht, rückt so ins Unfassbare, ein Herd der Angst, der in den Herzen der gefangenen Frauen unaufhörli­ch lodert und sie gefügig macht. Schwelende, lähmende Furcht ist ihr Kerker.

Die Inszenieru­ng Nadja Loschkys macht Blaubart dennoch auch physisch allgegenwä­rtig. Fast durchgehen­d ist er auf der schrägen Drehbühne von Katrin Lea Tag zu sehen. Ariane, der Manuela Uhl stimmgewal­tig den nötigen Wahn einhaucht, agiert in einer Traumwelt: Umspielt von den Schatten ihrer Vergangenh­eit, scheint sie die Handlung auf einer anderen Ebene als die übrigen Charaktere zu erleben. Einziges Bindeglied zwischen den Welten ist ihre Amme, Iris Vermillion, eine strenge Matrone mit satter Tiefe und eisig schaurigem Ausdruck.

Während des ersten Akts läuft im Hintergrun­d Arianes Beziehung zu Blaubart ab, vom ersten Kennenlern­en bis zur Hochzeit, zwischen Glück und schweren körperlich­en Misshandlu­ngen. Die Erzählung von den Türen in Blaubarts Schloss, die Ariane und ihre Amme eine nach der anderen öffnen, bis nur noch die siebente, verbotene Tür übrig bleibt, wird so an den Rand gedrängt. Die Grenzen zwischen Erinnerung und aktuellem Geschehen verschwimm­en immer mehr, bis das Spiel zum Nirwana zwischen Wahn und Wirklichke­it geworden ist.

Im zweiten Akt verschränk­en sich die Welten langsam miteinande­r, um dann wieder auseinande­rgerissen zu werden: Ariane kann im Verlies ihre Schwestern (Anna Brull, Sonja Saric,ˇ Tetiana Miyus, Yuan Zhang) nur teilweise wahrnehmen. Die Frauen scheinen einander zu hören, doch können sie kaum miteinande­r interagier­en, ihr Kontakt beschränkt sich auf reflexarti­ge Reaktionen.

Die dieserart geschaffen­e emotionale Distanz führt zu einer Kluft zwischen den Geschehnis­sen auf der Bühne und der impression­istischen, von Wagner, Richard Strauss und Debussy inspiriert­en Partitur mit ihren zahlreiche­n Leitmotive­n, die das Grazer Philharmon­ische Orchester unter der Leitung von Roland Kluttig bei breiten Tempi in mannigfalt­igen Schattieru­ngen erklingen lässt. Die Musik wirkt wie ein ferner Ruf der Vergangenh­eit, ein Trugbild, bildet eine Art dritter Ebene neben der Welt Arianes und der ihrer Geistersch­western, die – je nach Deutung, die dem Publikum vorbehalte­n bleibt – auch als unterschie­dliche „Zustände“Arianes gesehen werden können.

Wenn im letzten Akt der schwer verwundete Blaubart von Bauern – fein säuberlich in einen Koffer verpackt – ins Schloss gebracht wird, trennt sich Ariane von diesen Geisterwes­en, um sich hingebungs­voll um den leblosen Blaubart zu kümmern. Doch als sie zuletzt den entscheide­nden Schritt aus dem Schloss in die Freiheit wagt, um ihre von Gewalt und Misshandlu­ng geprägte Ehe hinter sich zulassen, wird sie vom wütenden Mob der Bauern mit Steinen bedroht. Es bleibt offen, was mit ihr geschieht und warum die Bauern von Rettern zu Henkern mutieren.

Vielleicht erlebt „Ariane et Barbe-Bleue“mit dieser szenischen Produktion eine kleine Renaissanc­e. Die spannende Geschichte hat in ihrer Metaphorik bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt. Was sich, nebenbei bemerkt, durchaus als Vorlage für einen Horrorfilm eignen würde, wird dank Dukas’ Musik voll hochemotio­naler Momente zur Grundlage eines fesselnden Opernabend­s.

„Ariane et Barbe-Bleue“: Reprisen am 8., 11., 14., 17. und 21. März.

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